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Bei den Klima-Klebern im Knast: Die AZ besucht inhaftierte Aktivisten

13 Aktivisten sitzen in München in Haft. Die AZ hat sie besucht und mit ihnen über den Gefängnisalltag und wie lange sie weitermachen gesprochen.
von  Christina Hertel
Sechs Aktivisten der Gruppe "Die Letzte Generation", die über Weihnachten in Haft saßen, werden am Donnerstag wieder auf freien Fuß kommen.
Sechs Aktivisten der Gruppe "Die Letzte Generation", die über Weihnachten in Haft saßen, werden am Donnerstag wieder auf freien Fuß kommen. © Matthias Balk/dpa

München - Bevor Malte Nierobisch, 19 Jahre alt, in München seine Hände auf dem Asphalt festklebte, packte er einen Rucksack. Er steckte ein Buch von Greta Thunberg, das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch ein. Etwa zwei Wochen ist das her, seitdem sitzt er im Gefängnis. Eigentlich hätte er im Oktober sein Soziologie-Studium in Duisburg beginnen sollen. Er sagt: Er weiß, dass er jetzt nicht mehr hinterherkommt. Und er weiß nicht, wie er die Kosten für das Gerichtsverfahren bezahlen soll. Aber er klingt nicht so, als würde ihn das stören.

Klima-Kleber im Knast: Drei Bücher als Statement

Die Bücher habe er eingepackt, weil er wusste, dass er hier landen könnte, so erzählt er es in einem Spielzimmer der JVA Stadelheim. An der Wand hängt ein Bild von zwei Rehen im grellgrünen Gras. In der Ecke sitzt ein Teddybär. Daneben stehen Stühle so groß wie Schemel. Es gibt keine Glaswand, keine Handschellen, keine gestreifte Häftlingskleidung. Etwa eine halbe Stunde hat Malte Nierobisch Zeit. Dann führt ihn ein Wärter mit einem dicken Schlüsselbund am Gürtel zurück zu seiner Zelle.

Die Demokratie ist in Gefahr, glauben die beiden Linken

13 Klimaaktivisten sitzen in der JVA Stadelheim hinter Gittern. Das ist nicht ihre Strafe, weil sie den Verkehr blockierten. Sie sind in Haft, weil die bayerische Polizei und die bayerischen Gerichte fürchten, dass sie das wieder tun könnten. Präventivhaft heißt die Maßnahme, gedeckt durch das Polizeiaufgabengesetz.

Ist die Demokratie in Gefahr? Nicole Gohlke und Adelheid Rupp von der Linken sind davon überzeugt. Die AZ hat sie ins Gefängnis begleitet.
Ist die Demokratie in Gefahr? Nicole Gohlke und Adelheid Rupp von der Linken sind davon überzeugt. Die AZ hat sie ins Gefängnis begleitet. © Daniel von Loeper

Spontane Demo gegen das PAG

Vor gut vier Jahren stimmte die Landtags-Mehrheit dem Gesetz zu, die Staatsregierung hatte argumentiert, so Terroranschläge zu verhindern. Dass nun keine Islamisten, sondern Klimaaktivisten in Haft müssen, empört viele. Mehr als 1.000 Menschen demonstrierten vergangenes Wochenende spontan vor dem Gefängnis. Plötzlich ging es nicht mehr darum, wie nervig es ist, wegen ein paar Idealisten mit Kleber an den Händen im Stau zu stehen, sondern um die Frage, ob die Demokratie in Gefahr ist.

Klimaprotest am Stachus in der vergangenen Woche.
Klimaprotest am Stachus in der vergangenen Woche. © dpa

Nicole Gohlke und Adelheid Rupp sehen das so. Beide sind von der Linken. Nicole Gohlke sitzt im Bundestag, sie demonstrierte schon viel in ihrem Leben: gegen Rassismus, gegen die Globalisierung, gegen den Sparzwang an den Unis. Doch 30 Tage ins Gefängnis musste sie nie. Auch Adelheid Rupp nicht. Sie ist die neue Chefin der Linken in Bayern, eine Anwältin. Früher in den 80er Jahren besetzte sie Häuser und nahm an Sitzblockaden teil. Ziviler Ungehorsam, so sieht es die 64-Jährige, hat in Deutschland eine Tradition - und ist von der Versammlungsfreiheit gedeckt.

Letzte Generation: Mündliche Verwarnung vs. Präventionshaft

Vor Kurzem vertrat Rupp eine Aktivistin der "Letzten Generation" vor Gericht. Sie hatte auch eine Straße blockiert. Eine Strafe bekam die junge Frau nicht, bloß eine mündliche Verwarnung. Rupp nennt das einen "Freispruch zweiter Klasse".

Dass nun andere für die gleiche Aktion präventiv 30 Tage in Haft sollen, hält Rupp für völlig unverhältnismäßig. Zusammen mit Nicole Gohlke will sie erfahren, wie es den Aktivsten im Münchner Gefängnis ergeht. Die AZ hat die beiden Politikerinnen begleitet. Ein Gefängnisbesuch bei Malte Nierobisch, der gerade sein Studium verschiebt, bei Lars Werner, der seinen Job als Psychologe kündigte, und bei Judith Beadle, deren zwei Kinder gerade in Berlin auf sie warten.

"Den Umständen entsprechend gut"

"Wie geht es dir?", ist bei allen drei Besuchen die Frage, die Nicole Gohlke als Erstes stellt. Die Antwort ist jedes Mal die gleiche. Den Umständen entsprechend gut. Niemand schimpft, niemand klagt, niemand zweifelt. "Ich hab ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen", sagt Malte Nierobisch. "Nahrung und Wasser sind woanders auf der Welt ein Problem. Da beschwere ich mich nicht."

Malte Nierobisch (19).
Malte Nierobisch (19). © Letzte Generation

Jeden Morgen geht in seiner Zelle um 7 Uhr das Licht an, jeden Tag hat er eine Stunde Hofgang, wo er seine Mitstreiter trifft. Dreimal die Woche darf er duschen.

Hungern für das Klima

Vor ihm auf dem Tisch in dem Besucherraum liegt sein Block, in dem er seine Gedanken aufschreibt. Darin steckt auch eine Erklärung von Wolfgang, einem Umweltingenieur. Seit acht Tagen sei er im Hungerstreik, erzählt Malte Nierobisch. Außer Wasser und Tee nehme Wolfgang nichts mehr zu sich. "Über fünf Kilo hat er sicher schon abgenommen."

In krakeliger Schreibschrift hat Wolfgang auf drei Seiten seine Forderungen aufgeschrieben. Es sind die gleichen, für die sich die Letzte Generation auf der Straße festklebt: Die Regierung muss eingestehen, dass sie die globale Erhitzung um 1,5 Grad nicht mehr stoppen kann. Die Regierung muss sich deutlicher dafür einsetzen, dass dem globalen Süden die Schulden gestrichen werden. Und sie muss ein Tempolimit von 100 km/h und das 9-Euro-Ticket einführen. Erst wenn ein Punkt erfüllt ist, will Wolfgang wieder essen.

Den Alltag unterbrechen

Wolfgang ist nicht der Einzige, der verzichtet. "Ich würde auch lieber meine Therapeuten-Ausbildung fertigmachen, irgendwann eine Praxis haben", sagt Lars Werner. Er ist 30 Jahre alt, sitzt im gleichen Spielzimmer der JVA, eine halbe Stunde, bevor der Wächter Malte Nierobisch hereinlässt.

Lars Werner.
Lars Werner. © Letzte Generation

Seinen Job als Psychologe warf Lars Werner im März hin, seitdem lebt er von Erspartem und von Spenden. Als einen "schmerzhaften Schritt" bezeichnet er das - und als einen notwendigen. Lars Werner spricht mit ruhiger, klarer Stimme. Er muss den Alltag der Menschen unterbrechen, weil dieser die Katastrophe herbeiführt - so sieht er es.

"So lange es sich nicht abnutzt, machen wir weiter"

"Warum behindert ihr Menschen? Warum blockiert ihr nicht die Rüstungsindustrie, Kreuzfahrtschiffe, Ölkonzerne?", wollen Gohlke und Rupp wissen. "Ich habe über 30 Mal Ölpipelines abgedreht. Es wurde ignoriert”, sagt Lars Werner. Aber wenn sich Aktivisten auf Straßen festkleben, wenn sie Kunstwerke mit Kartoffelbrei bewerfen, "bekommt die Normalität einen kleinen Riss”, meint er. Es sind immer wieder die gleichen Aktionen, seit Monaten - trotzdem berichten die Medien immer noch. "Es hat sich noch nicht abgenutzt. Deswegen machen wir weiter."

Den Verkehr lahm zu legen, ist für Lars Werner ein Mittel zum Zweck, um Aufmerksamkeit zu erlangen. "Es ist kein Vorwurf gegen den einzelnen Autofahrer. Ich verstehe, wenn die Leute wütend sind." Aber wann hört es auf? Lars Werner weiß es nicht. "Natürlich ist es schwer, von meinen Liebsten getrennt zu sein. Gleichzeitig habe ich gerade das Gefühl, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen."

Frauengefängnis: Telefonverbot für Mütter

Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern, neun und 12 Jahre alt, habe sie noch gar nicht telefoniert, sagt Judith Beadle. Sie kann ihnen nur Briefe schreiben. Beadle, 42 Jahre alt, sitzt ein paar Straßen weiter im neuen Münchner Frauengefängnis. Außen ein roter Bau, innen muss man durch lange Gänge mit weißen Gitterstäben vor den Fenstern. "Pro Besuch dürfen drei Tafeln Schokolade sowie ein Getränk mitgebracht werden." Dieses Schild hängt im Eingangsbereich, wo man die Jacke, die Tasche, das Handy abgeben muss.

In Haft: Judith Beadle (42).
In Haft: Judith Beadle (42). © Letzte Generation

"Fehlt dir etwas?”, will Adelheid Rupp wissen. "Schokolade? Tabak?" Judith Beadle schüttelt den Kopf, lächelt. Sie sitzt in einem Büro, "Stoppt den fossilen Wahnsinn” steht auf ihrem grünen T-Shirt. "Am Anfang haben nicht alle veganes Essen bekommen. Aber das ist schon okay”, sagt sie. "Wir wussten um das Risiko der Haft, aber egal, wie hoch es wäre, wir lassen uns nicht unterkriegen.”

In ihrer Zelle, so beschreibt sie es, steht ein Bett, ein Schreibtisch, ein Klo. Die meiste Zeit des Tages schreibe sie Briefe, weil sie dann das Gefühl hat, jemand würde mit ihr sprechen. "Meine Kinder vermisse ich schon total. Aber ich mache das ja auch für sie."

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