"Begreifen, dass sie hier sicher sind": Willkommensgruppe in Münchner Schule
München - Vor dem Schultor flattert die blau-gelbe Flagge der Ukraine im Wind, flankiert von einer weißen Friedensfahne mit Weltkugel, Friedenstaube und Menschenkette.
In der Aula können Feuchttücher und Suppendosen gespendet werden, Jugendliche sammeln mit dem Verkauf von Kuchen Geld, und an den Wänden hängen Zettel mit Grußformeln auf Deutsch, Englisch und Ukrainisch.

Der Krieg ist im Münchner Gymnasium Trudering sehr präsent - erst recht, seitdem sich in einem kleinen Raum im Keller 20 geflohene Jugendliche einer Willkommensgruppe über ihre Deutschlehrbücher beugen.
Ukrainische Kinder an Münchner Schule: Verunsicherung ist groß
Auf den ersten Blick lässt sich kaum erahnen, wie sehr das Leben der Jugendlichen aus den Fugen geraten ist. Doch die Fragen, die sie am Mittwoch an den Besuch aus der Staatsregierung richten, lassen erahnen, wie tief die Verunsicherung ist.
"Ich hatte vor, im Mai meinen Abschluss zu machen und an der Universität zu studieren", erzählt etwa Elftklässler Matvii, der wegen seiner guten Deutschkenntnisse schon den normalen Unterricht besucht. Er will ebenso wie andere Schülerinnen und Schüler von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wissen: "Was passiert mit unseren Abschlüssen?"
Milena und Mykita sind zwar noch jünger, machen sich aber ebenfalls Gedanken über ihre Zukunft. "Welche Berufe sind Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren in Deutschland zukunftsträchtig?", übersetzt eine Dolmetscherin Mykitas Frage an die beiden Politiker. Milena sorgt sich: "Welche Chancen haben ukrainische Programmierer ohne Deutschkenntnisse?"
"Es kann niemand langfristig in einem Wohnzimmer bleiben!"
Yeva, Andrey und Kira treibt die Wohnsituation um. Zwar leben die meisten der Jugendlichen aus der Truderinger Willkommensgruppe nicht in einer Notunterkunft, sondern wurden gemeinsam mit ihren Familien - meist nur den Müttern und Geschwistern - von Münchner Privatleuten aufgenommen.
Wegen der mangelnden Privatsphäre für beide Seiten und der fehlenden Perspektive auf eine eigene Wohnung dennoch ein riesiges Problem, wie Nina Stehr vom Elternbeirat betont. "Es kann niemand langfristig in einem Wohnzimmer bleiben!" Unsicherheit über die Zukunft also auch hier.
Bildungsforscher: "Ein strukturierter Tag kann viel Halt geben"
Wie wichtig deshalb gerade die Anbindung an das vertraute System Schule ist, betont Bildungsforscher Heinz Reinders von der Universität Würzburg. "Dass man die Willkommensklassen einrichtet, daran führt kein vernünftiger Weg vorbei. Den Kindern überhaupt Schule zu ermöglichen, ist ein humanitärer Akt, der keine Alternative kennt."
"Wir reden von Kindern, die aus einer wahnsinnig großen Not heraus kommen, die eine wahnsinnig große Verunsicherung erleben mussten", verdeutlicht Reinders. Ein strukturierter Tag könne da viel Halt und Orientierung geben, erst recht angesichts der fremden Umgebung.
Rund 400 Willkommensgruppen haben bayerische Schulen bereits auf die Beine gestellt; letztlich soll laut Piazolo jeder, der dies wünscht, ein Angebot bekommen. Der Besuch ist freiwillig, bevor nach drei Monaten Aufenthalt dann die Schulpflicht greift. Mit Blick auf diese Phase ist Reinders eines besonders wichtig: "Ich sehe die Schulpflicht hier eher als psychosoziales Angebot zur Stabilisierung dieser Kinder - und nicht, um den Bildungskanon durchzudrücken."
Ukrainisch sprechende Kinderpsychologin hilft als Mitarbeiterin
Die Schulleiterin des Gymnasiums Trudering, Susanne Asam, erlebt in ihrer Willkommensgruppe zwar durchaus eine hohe Lernbereitschaft, sieht aber ebenfalls die andere Seite. "Wenn die hier ankommen, sind die total eingeschüchtert, trauen sich kaum zu reden."
Umso dankbarer ist sie, dass sie mit Alina Golota - die Mutter einer der neuen Schülerinnen - eine ukrainisch sprechende Kinderpsychologin als Mitarbeiterin gewinnen konnte. "Auch mir wollten die Jugendlichen anfangs nicht sagen, wie es ihnen wirklich geht", schildert Golota. "Ich musste ihnen als erstes zu verstehen geben, dass sie jetzt in Sicherheit sind. Sie mussten begreifen, über den Körper begreifen, dass sie hier sicher sind."

Doch dieses Begreifen ist selbst für Profis wie Golota ein schwerer und langer Prozess. Die 44-Jährige ist gemeinsam mit ihrer 13-jährigen Tochter aus Irpin geflohen, zehn Tage waren sie auch in Butscha - Städte im Kiewer Umland, deren Namen nun um die Welt gegangen sind.
Als sie von ihrer traumatisierten Tochter spricht, bricht Golota die Stimme, Tränen laufen ihr über das Gesicht. "Meine Tochter hat immer gesagt: Mama, versprich mir, dass wir sicher sind, dass wir auch sicher bleiben werden." Und sie habe immer nur sagen können: "Für den jetzigen Moment sind wir in Sicherheit" - nicht wissend, was in wenigen Minuten oder Tagen passieren würde.