Interview

Bayerns neue Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler): "Noten wird es nach wie vor geben"

Die neue Ministerin für Unterricht und Kultus, Anna Stolz (Freie Wähler), spricht im AZ-Interview über die Chancen von KI an Schulen trotz ihrer Gefahren. Und erklärt, warum eine Viertelstunde für die Verfassung reicht.
von  Kathrin Madl und Maximilian Neumair
Anna Stolz (Freie Wähler) ist seit dem 8. November die neue bayerische Ministerin für Unterricht und Kultus.
Anna Stolz (Freie Wähler) ist seit dem 8. November die neue bayerische Ministerin für Unterricht und Kultus. © IMAGO/Sven Simon

Die 41-jährige Anna Stolz ist seit zwei Wochen die neue Kultusministerin. Zuvor war sie unter ihrem Vorgänger Michael Piazolo Staatssekretärin. Seit 2018 sitzt die studierte Juristin und ehemalige Bürgermeisterin für die Freien Wähler im Landtag. Mit der AZ spricht sie darüber, was sich jetzt im Schulwesen ändern soll.

AZ: Frau Stolz, das Kultusministerium wird wieder von den Freien Wählern geführt. Warum ist das Ministerium in besseren Händen bei den Freien Wählern als bei der CSU?
ANNA STOLZ: Es geht nicht um bessere oder schlechtere Hände, sondern darum, Bildung für Bayern zu gestalten und allem voran die Kinder stark zu machen. Starke Kinder brauchen starke Lehrkräfte und da haben wir in den letzten fünf Jahren schon einige Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Stichwort Lehrermangel: Der Freistaat hat eine Expertenkommission zum Thema Lehrkräftebildung eingesetzt. Wann werden Ergebnisse präsentiert und wie kann man den Beruf wieder attraktiver machen und so Nachwuchs gewinnen?
Die Lehrerbildungskommission arbeitet frei und selbstständig. Wann mit Ergebnissen zu rechnen ist, kann ich also nicht mit Sicherheit sagen. Ich rechne aber im nächsten Sommer damit. Der Personalmangel ist die große Herausforderung unserer Zeit. Ohne starke Lehrkräfte werden wir all die Themen, die ich auf meiner Agenda habe, wie Digitalisierung, seelisches Wohlbefinden der Kinder und Sport, in der Form nicht umsetzen können. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag 6.000 zusätzliche Stellen festgeschrieben. Hinzu kommen 3.000 Stellen für multiprofessionelle Teams, Verwaltungsangestellte und Schulassistenzen.

Bayerns Kultusministerin Anna Stolz: "Die Lehrerausbildung muss attraktiver werden"

Sind bei den 6.000 neuen Lehrkräften die Stellen rausgerechnet, die wegen der Pension ohnehin neu besetzt werden müssten? Oder sind es tatsächlich 6.000 Stellen zusätzlich obendrauf?
Es sind 6.000 neue Stellen obendrauf. Man muss auch betonen, die Maßnahmen aus der letzten Legislatur greifen nun. Es wurden 1.000 zusätzliche Studienplätze für das Grundschullehramt und fünf zusätzliche Lehrstühle an drei Standorten für Sonderpädagogik geschaffen. Das werde ich fortsetzen. Und im moderaten Umfang auch den Quer- und Seiteneinstieg. Lehrkräfte müssen mehr Zeit für die pädagogische Arbeit haben. Dafür muss Entlastung geschaffen werden und dadurch auch bessere Rahmenbedingungen und Attraktivität.

Das klingt sehr theoretisch. Können Sie konkreter werden?
Schon die Lehrerausbildung muss attraktiver werden. Dazu gehört mehr Flexibilität und auch mehr Praxisphasen während des Studiums.

Anna Stolz mit Ministerpräsident Markus Söder bei der Ernennung zur Ministerin.
Anna Stolz mit Ministerpräsident Markus Söder bei der Ernennung zur Ministerin. © picture alliance/dpa

Nach der Ausbildung folgt der Dienstantritt. Inwiefern ist es noch zeitgemäß, dass die Zuweisung in der Regel erst etwa drei Wochen vor Antritt der Stelle beginnt? Eine Wohnung in so kurzer Zeit zu finden, ist schwierig.
Ich habe bereits eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit den Themen Einstellung und Versetzung befasst. Wir müssen bei unseren Planungen natürlich auch immer sehen, wo welcher Bedarf ist und wie wir diesen dann bestmöglich decken können. Konkret verfolge ich aber den Ansatz, dort Ausbildungskapazitäten zu schaffen, wo viele Lehrkräfte gebraucht werden. Das ist etwa in Oberbayern der Fall – vor allem in München.

"Künstliche Intelligenz ist eine große Chance"

In der Corona-Pandemie hat man deutlich gesehen, wie weit her es in Bayern mit der Digitalisierung an Schulen ist. Wie sieht die digitalisierte Schule von morgen aus?
Die Digitalisierung muss zügig vorangetrieben werden. Ausstattung mit Tablets und Endgeräten muss Standard sein. Die digitalen Klassenzimmer sind schon jetzt weitestgehend aufgestellt. Und: Wir müssen uns intensiv mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Es gibt aktuell bereits einen Schulversuch, "KI at School", der Stiftung Bildungspakt Bayern. Ich begreife den digitalen Wandel und KI an Schulen als Chance: Wir können dadurch die Kinder und Jugendlichen sehr viel individueller fördern und auch entlasten. Die Arbeits- und Lebenswelt verändert sich rasant. Es wird alles digitaler, deswegen müssen wir jetzt ganz offen und intensiv diskutieren, welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen in dieser Welt von morgen brauchen.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands, hält vor dem Hintergrund des digitalen Wandels das klassische Notensystem für nicht mehr zeitgemäß. Wie sehen Sie das?
Ich stehe zu Noten. Noten geben Schülern eine Rückmeldung, wo sie stehen, und sind auch Ansporn. Gleichzeitig ist mir wichtig, bei Kindern keinen Druck zu erzeugen. Ich bin offen für Gespräche über Art und Umfang der Leistungsnachweise. Auch digitale Prüfungsformate werden vermehrt kommen. Aber: Noten wird es nach wie vor geben.

Um damit auch die Gefahr zu unterbinden, dass Schüler mit KI betrügen?
Zunächst einmal ist KI eine große Chance, die wir nutzen sollten. Sie birgt selbstverständlich auch Herausforderungen. Aber auch die werden wir lösen.

"Die Verfassungsviertelstunde soll der politischen Bildung mehr Raum geben"

Die Unterschrift auf dem Koalitionsvertrag war noch nicht ganz trocken, da hat das Vorhaben der Verfassungsviertelstunde schon für Aufregung gesorgt. Was können Lehrer in 15 Minuten schon anreißen?
Ich stelle mit Erschrecken fest, dass in Teilen der Gesellschaft Antisemitismus und Extremismus zunehmen. Gerade deshalb ist es unerlässlich, eine klare Haltung zu zeigen und Zeichen zu setzen. Das Schulengagement in der Wertebildung ist bereits enorm. Mit der Verfassungsviertelstunde wollen wir das Engagement systematisieren und noch mehr sichtbar machen. Dazu werde ich im Frühsommer ein Konzept vorlegen.

Aber ist das Thema denn nicht derart wichtig, dass es eine Dreiviertelstunde, also eine ganze Schulstunde, einnehmen müsste?
Natürlich kann man sich über die Zeit Gedanken machen. Wertebildung, Demokratieerziehung und politische Bildung findet jetzt schon fächerübergreifend statt. Mit der Verfassungsviertelstunde soll der politischen Bildung noch mehr Raum gegeben werden.

Trotzdem ist seit dem 7. Oktober auch in Bayern die Zahl der antisemitischen Vorfälle gestiegen. Auch wenn schon bisher viel getan wurde, war es vielleicht nicht genug?
Die Schule hat eine Schlüsselfunktion bei der politischen Bildung, bei Antisemitismus- und Extremismusprävention. Aber Schule kann nicht der alleinige Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen sein. Das kann Schule nicht leisten. Lehrer vermitteln sehr engagiert und erfolgreich Wertebildung und Demokratieerziehung. Die Aufgabe, mit der wir konfrontiert sind, ist aber eine gesamtgesellschaftliche. Die Schulen in Bayern werden dazu ihren Anteil leisten und sich gegen jede Form von Antisemitismus wehren.

"Ich bedaure es sehr, dass das Ministerium keinen Staatssekretär mehr hat"

Eine Herausforderung wird auch die Ganztagsbetreuung von Grundschülern ab dem Schuljahr 2026/27. Kommunale Spitzenverbände klagen, das sei nicht machbar. Die Weichen müssten schon jetzt gestellt sein, um dem Anspruch gerecht zu werden. Sind sie aber nicht.
Ich nehme die Sorgen und Nöte der kommunalen Spitzenverbände und der Bürgermeister sehr ernst. Es sind bereits Gespräche geplant. Mir ist wichtig, dass für die Kommunen eine ganz hohe Flexibilität geschaffen wird bei der räumlichen Ausgestaltung des Ganztagsanspruchs. Ich sehe darin auch eine große Chance, weil der Ganztag es so vielleicht ermöglicht, dass Schule sich noch mehr öffnet für die Gesellschaft. Ich denke an multifunktionale Gebäudenutzung – sofern das vor Ort möglich ist. Auf diese Weise könnten auch Vereine und andere Akteure aus der Gesellschaft hinzukommen. Schule sollte nicht nur Teil der Gesellschaft, sondern Mittelpunkt sein.

Zum ersten Mal seit der Nachkriegszeit muss das Ministerium ohne Staatssekretär auskommen. Wie sehr fehlt dieser Posten?
Ich bedaure es sehr, dass das Ministerium keinen Staatssekretär mehr hat. Es ist wichtig, viel vor Ort an den Schulen zu sein. Das werde ich auch weiter tun. Das heißt aber auch, es muss im Ministerium einiges anders organisiert und umstrukturiert werden. Das beinhaltet zum Beispiel neue Gesprächsformate, die gebündelt werden – womöglich auch ganz unbürokratisch in digitaler Form. Ab und an wird aber auch eine Vertretung für mich vor Ort einspringen.

Sie haben eben von Ideen zur Entbürokratisierung gesprochen. Was planen Sie konkret?
Ich will vor allem die Schulfamilie mit eigenen Ideen einbinden. Die kultusministeriellen Schreiben, die sogenannten KMS, werden kürzer und leichter verständlich. Ein weiterer Punkt sind Dokumentations- und Kontrollpflichten der Lehrer. Ich will das wesentlich unkomplizierter gestalten und verschlanken.

"Das Urteil hat die bayerische Praxis bestätigt"

Am Ministerium finden gerade Bauarbeiten statt. Auch die ein oder andere Schule könnte an vielen Stellen einen Umbau vertragen. Das würde mehrere Milliarden verschlingen. Das Geld ist ohnehin knapp, wie sollen da baufällige Schulen saniert werden?
Ich möchte es mir nicht zu einfach machen, aber da ist zunächst einmal der Sachaufwandsträger, also Städte und Gemeinden bei Grund- und Mittelschulen oder der Landkreis bei weiterführenden Schulen gefragt. Der Freistaat lässt die Kommunen aber nicht im Stich und unterstützt sie mit Förderungen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollen neben Legasthenie auch alle anderen behinderungsbedingten Leistungsdefizite im Zeugnis vermerkt werden. Wird so nicht noch mehr diskriminiert?
Wir werden das Urteil genau analysieren und auswerten – und gegebenenfalls Hinweise zur Weiterentwicklung aufgreifen. Die Klage wurde 2010 eingereicht. Diese beanstandete Verwaltungspraxis wird aber schon seit 2016 nicht mehr in Bayern praktiziert. Das Urteil hat also im Grundsatz die aktuelle bayerische Praxis bestätigt. In Bayern wird immer der Einzelfall geprüft, das muss auch so sein. Grundsätzlich wird sich durch das Urteil aber in Bayern nach jetzigem Stand nichts ändern.

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