Interview

Bayern rutscht bei Landtagswahl 2023 nach rechts: "Da ist eine ganz große Wut"

Ist das Ergebnis der CSU nun gut oder schlecht? Und warum gehört die AfD auch in Bayern zu den Wahl-Gewinnern? Das sagt eine Expertin.
von  Natalie Kettinger
Anhänger der AfD und andere am Tag der Deutschen Einheit auf dem Marienplatz.
Anhänger der AfD und andere am Tag der Deutschen Einheit auf dem Marienplatz. © Sachelle Babbar / imago

München - Jasmin Riedl ist Professorin der Politikwissenschaften an der Bundeswehr-Universität München. Die AZ hat mit ihr über das Ergebnis der Landtagswahl gesprochen.

AZ: Frau Riedl, die CSU ist noch weiter abgerutscht als 2018. Wie bewerten Sie das?
JASMIN RIEDL: Es ist weder ein Sieg – schließlich war das Ergebnis von 2018 schon ein historisch schlechtes – noch ein Desaster. Das Ergebnis liegt im Rahmen dessen, was die Umfragen der letzten Wochen erwarten ließen. Ich könnte mir vorstellen, dass in der CSU jetzt ein ganz kleines bisschen Erleichterung darüber herrscht, dass man nicht noch schlechter abgeschnitten hat.

Es ist also keine Meuterei gegen Parteichef Markus Söder zu befürchten?
Nein. Ich würde sogar die These in den Raum stellen, dass auch bei 36,0 Prozent niemand an seinem Stuhl gesägt hätte.

"Ich könnte mir vorstellen, dass in der CSU jetzt ein ganz kleines bisschen Erleichterung darüber herrscht, dass man nicht noch schlechter abgeschnitten hat", sagt Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl.
"Ich könnte mir vorstellen, dass in der CSU jetzt ein ganz kleines bisschen Erleichterung darüber herrscht, dass man nicht noch schlechter abgeschnitten hat", sagt Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl. © Patricia C. Lucas Photography

CSU-Wählerschaft: "Viele haben keine Lust auf einen ergrünenden Söder"

Die Freien Wähler hingegen haben zugelegt und werden Forderungen stellen. Hat sich Söder zu früh auf diesen Koalitionspartner festgelegt?
Ja und nein. Er hat sich mit dieser frühen Festlegung einerseits einen strategischen Nachteil mit Blick auf Koalitionsverhandlungen und wahlkampftaktische Verhaltensweisen eingefahren, der dafür gesorgt hat, dass Hubert Aiwanger so ein bisschen machen konnte, was er wollte. Auf der anderen Seite war es ein wichtiges Signal an die CSU-Basis und -Wählerschaft, zu sagen, dass die Grünen auf keinen Fall als Partner infrage kommen. Das war wichtig, weil viele dort keine Lust auf einen ergrünenden Söder haben.

Er hat sich damit allerdings abhängig von den Freien Wählern gemacht.
Ja, aber mit der Flugblatt-Affäre konnte er nicht rechnen. Und ich würde behaupten, dass die Freien Wähler in der neuen Legislatur auch dann ein weiteres Ministerium gefordert hätten, wenn sie nicht zugelegt hätten. Das machen kleine Koalitionspartner einfach: neu justieren, wenn sich die Zusammenarbeit bewährt hat.

"Es wurde stets auf die Grünen draufgehauen"

Lassen Sie uns auf die Ampel-Parteien schauen, die alle verloren haben. Zuerst zu den Grünen. Ist an deren schlechterem Abschneiden das bisweilen konfuse Auftreten auf Bundesebene Schuld – oder dass sie im Freistaat von CSU und FW zu Hauptgegnern erklärt wurden?
Ich würde nicht von konfus sprechen. Die Grünen, sowohl im Bund als auch im Land, stehen für Veränderung, gesellschaftspolitisch, wirtschaftspolitisch, klimapolitisch. Das ist etwas, was nicht alle Menschen mittragen oder mittragen wollen. Das ist ein Problem – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Ampel-Regierung im Landtagswahlkampf sehr dominant war, insbesondere die Grünen. Eigentlich kann man sagen: Egal, welcher programmatische Vorschlag auf Bundesebene, von welcher Partei auch immer kam, es wurde stets auf die Grünen draufgehauen. Das hat sicher dazu beigetragen, dass es hier bei den Stimmen ein bisschen schlechter aussieht. Ein weiterer Punkt ist: Die Grünen haben 2018 einen enormen Aufschwung erfahren, mit dem viel Hoffnung verbunden war. Die hat sich in der Legislaturperiode aber nur zum Teil materialisieren können, weil die Grünen ja weiter in der Opposition waren.

"FDP und SPD haben es in Bayern traditionell schwer"

Deutlich schlimmer hat es die Liberalen getroffen, die nach einer Legislaturperiode wieder aus dem Landtag geflogen sind. Welche Mitverantwortung trägt hier die Bundes-FDP?
Neben dem negativen Ampel-Effekt haben sowohl die FDP als auch die SPD es in Bayern fast schon traditionell schwer, weil die gesellschaftlichen Konfliktlinien zwischen Zentrum und Peripherie, Stadt und Land, sehr ausgeprägt sind. Beide Parteien werden als Parteien für den städtischen Raum wahrgenommen und können im ländlichen Raum nicht richtig Fuß fassen. Bei den Freien Demokraten kommt hinzu, dass ein kleiner Teil ihrer Wählerschaft zum selben Pool gehört wie bei CSU und Freien Wählern – vor allem, wenn es um wirtschaftspolitische Themen geht. Außerdem überlegen Wählerinnen und Wähler strategisch, wo ihre Stimme am meisten bringt – und die Umfragewerte für die Freien Demokraten waren zuletzt so schlecht, dass sich abzeichnete, dass sie nicht in den Landtag einziehen. Auch das hatte einen Effekt.

Sie haben die Sozialdemokraten bereits angesprochen. Droht ihnen über kurz oder lang ein ähnliches Schicksal?
Also noch sind sie ein Stück davon entfernt. Nichtsdestotrotz ist ihr Ergebnis unfassbar schlecht. Dabei hatte man nach der Landtagswahl 2018 eine Innenschau gemacht, und es ist auch irgendwann gelungen, dass sich Partei und Fraktion hinter Florian von Brunn sammeln. Er hat sich sehr angestrengt, Präsenz im Landtagswahlkampf zu zeigen – aber es verfängt einfach nicht. Die Aussichten für die SPD in Bayern sind nicht gut.

"Derartige Wut, dass man Partei wie AfD wählt – in großen Teilen rechtsradikal und menschenfeindlich"

Ganz anders die AfD: Sie gehört in jedem Fall zu den Gewinnern dieser Wahl, obwohl sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Warum?
Weil sie ein einfaches Angebot auf komplexe Probleme formuliert. Der zweite Punkt ist, dass dieser populistische Sprachstil – wir da unten gegen die da oben - in gewissen Kreisen verfängt. Diese Spaltung – wir gegen die – kann die AfD unglaublich gut.

Ist das ein Beleg dafür, dass auch die bayerische Gesellschaft zerrissen ist?
Ja. Es hat etwas damit zu tun, dass sich Menschen politisch, wirtschaftlich oder kulturell abgehängt fühlen. Und dass aus diesem Gefühl heraus offenbar eine derartige Wut erwächst, dass man bereit ist, eine Partei wie die AfD zu wählen – wohl wissend, dass sie in großen Teilen mittlerweile rechtsradikal und menschenfeindlich ist. Es gibt ganz offenbar eine große Wut in der Gesellschaft, die sich in einem solchen Wahlergebnis entlädt. Das halte ich demokratisch für höchstproblematisch.

Bundespolitik: Für Grüne und SPD wird es mit der FDP ungemütlicher

Welche Auswirkungen wird die Bayern-Wahl auf die Bundespolitik haben?
Auch in Hessen war es für die FDP extrem knapp, das ist insgesamt eine sehr harte Abstrafung. Das wird dazu führen, dass es für Grüne und SPD in der Ampel-Koalition ungemütlicher mit der FDP wird.

Und was hat der Ausgang dieser Wahl für Folgen für die K-Frage innerhalb der Union?
Unmittelbar erstmal keine. Markus Söder ist unglaublich gut darin, die Stimmung in der Gesellschaft zu erspüren und aufzugreifen. Vielleicht sagt er jetzt "mein Platz ist in Bayern" – aber das hat er 2020 auch gesagt. Lassen wir also noch einmal eineinhalb Jahre ins Land gehen und schauen wir dann, was passiert. Ich glaube, dass dieses Wahlergebnis Markus Söder weder davon abhält noch darin bestärkt, den Kampf um die Kanzlerkandidatur ein zweites Mal auszufechten. Das wird die Stimmung innerhalb der Union und der Gesellschaft sein – und wenn er den Eindruck hat, dass es gelingen könnte, wird er erneut ins Gefecht ziehen.

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