Bayerische Integrationsgesetz: Demonstration in München

München - Der Gegenwind wird schärfer: Anfang der Woche kritisierte die Wirtschaft die restriktive Auslegung des seit August geltenden deutschen Integrationsgesetzes im Freistaat – und am heutigen Samstag ruft ein breites Bündnis zur Demonstration gegen das geplante bayerische Integrationsgesetz auf, das nach dem Willen der Landesregierung am 1. Januar in Kraft treten soll. Die AZ erklärt, was für massiven Ärger sorgt.
Was stört die Handwerks-, Industrie- und Handelskammern? Eigentlich gewährt das deutsche Integrationsgesetz Flüchtlingen während der Ausbildung und bei einer Anstellung für weitere zwei Jahre ein Aufenthaltsrecht. Eigentlich. Denn im Gesetz steht der Halbsatz, dass dem nur so ist, wenn „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“.
Das bayerische Innenministerium hat dieses Schlupfloch genutzt – und am 1. September die Ausländerbehörden angewiesen, eine Ausbildung nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen zu genehmigen. Weil diese Regelung zu großer Verunsicherung in den Betrieben führt – bleibt der Azubi? Bleibt er nicht? – fordern die Kammern laut SZ in einem Brief an Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Anweisung zurückzunehmen. „Bayerns Handwerk sucht händeringend nach Auszubildenden und die Staatsregierung tut alles, um Flüchtlinge vom Ausbildungsmarkt fernzuhalten. Das ist Irrsinn“, sagt auch der bayerische FDP-Landesvorsitzende Albert Duin. Zu Beginn des Ausbildungsjahres waren in Bayern 27 000 Lehrstellen unbesetzt.
Wer ruft am Samstag zur Demonstration auf? Dem „Bündnis gegen das bayerische Ausgrenzungsgesetz“ haben sich rund 60 Gruppierungen angeschlossen, darunter: Gewerkschaften und Flüchtlingsräte, SPD, Grüne und Linke, aber auch Juristen- und Ärzte-Vereinigungen.
Was sind die Hauptkritikpunkte am geplanten Gesetz? „Es trieft vor Sanktionen und Sanktionsandrohungen und leistet keinerlei positiven Beitrag zur Integration, denn für entsprechende Maßnahmen gibt es keinerlei Finanzierungszusagen“, sagt Bernhard Baudler, der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beim Bündnis vertritt. Schon der Ton sei „repressiv“ und gehe in Richtung „AfD-Wortwahl“.
So sollen Migranten auf die bayerische „Leitkultur“ verpflichtet werden. „Dieses Wort sehen wir politischen Kampfbegriff, der in einem Gesetz nichts verloren hat“, sagt Baudler. Kritik an dem Begriff äußerten auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx. Für die Opposition ist er ein „Unwort“, geeignet ein „Feuerwerk des Rassismus“ zu zünden.
In der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs sollten Kinder von Geflüchteten, die in Rückführungszentren untergebracht sind, nicht mehr zur Schule gehen dürfen. Das sorgte für einen Sturm der Entrüstung und etliche Verweise auf die Schulpflicht sowie die UN-Kinderrechtskonvention. Die CSU lenkte ein, änderte den Entwurf, aber: „Jetzt sollen diese Kinder in den Einrichtungen selbst in besonderen Klassen unterrichtet werden und haben keine Chance, wieder auf die Regelschulen zu gehen, die sie vorher besucht haben“, sagt Bernhard Baudler.
Der „Schwimmbad-Paragraf“ sorgt für besonders großen Unmut: Er besagt, dass „nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer“ vor dem Betreten von Bädern, Bibliotheken oder anderen öffentlichen Einrichtungen auf die geltenden Vorschriften hingewiesen werden können. Das sei „Racial Profiling“ und schon deshalb „völlig absurd“, weil niemand erkennen könne, ob man es mit einer Asylbewerberin zu tun habe, „oder vielleicht mit der französischen Generalkonsulin“.
Außerdem sollen Asylunterkünfte künftig mit „Orten der Kriminalität“ gleichgestellt werden, zu denen die Polizei – auch ohne richterlichen Beschluss – jederzeit Zutritt hat.
Ebenfalls in der Kritik: Flüchtlinge, die einen Sprachkurs nicht „erwartbar“ bewältigen, sollen demnächst selbst dafür zahlen. „Aber was mit ,erwartbar’ gemeint ist, weiß niemand“, sagt Baudler.
Der Bayerische Landtag hat im Juli die Enquete-Kommission „Integration in Bayern aktiv gestalten und Richtung geben“ eingesetzt, die Empfehlungen für eine erfolgreiche Integrationspolitik im Freistaat erarbeiten soll. Sie wird ihren Bericht Ende 2017 vorlegen. Opposition und Bündnis fordern, dass die Beratungen über das bayerische Gesetz bis dahin ausgesetzt werden – doch so lange will die CSU nicht warten. Sie will das Gesetz spätestens im Dezember verabschieden. Beim Bündnis ist man für den Fall gewappnet. Bernhard Baudler: „Wir haben vier Juristen, die eine Verfassungsklage in Karlsruhe vorbereiten.“
Die „Demonstration gegen das geplante Ausgrenzungsgesetz“ beginnt am Samstag um 12 Uhr vor dem DGB-Haus in der Schwanthalerstraße 64.