Baustellen-Chaos: 1969 startet der große München-Umbau

Von Flugtaxis und Zukunftsmobilität: vor 50 Jahren startet in München der große Umbau. Und die bayerische Landeshauptstadt versinkt im Baustellenchaos.
Karl Stankiewitz |
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U-Bahn-Bau am Bahnhofsvorplatz 1969
Stadtarchiv München 4 U-Bahn-Bau am Bahnhofsvorplatz 1969
Bauarbeiten in der Fußgängerzone anno 1969
Stadtarchiv München 4 Bauarbeiten in der Fußgängerzone anno 1969
Stadtarchiv München 4
Stadtarchiv München 4

Von Flugtaxis und Zukunftsmobilität: vor 50 Jahren startet in München der große Umbau vor den olympischen Spielen. Und die bayerische Landeshauptstadt versinkt im Baustellenchaos.

München - U-Bahn-Bau und neuer Stachus: Genau 50 Jahre ist es her, als die Stadt mit ewigen Staus im Baustellen-Chaos versank. Reporter Karl Stankiewitz hat damals berichtet. Und erinnert sich hier.

Autofahrer sollen die Innenstadt sowie die Ausfallstraßen meiden, wird offiziell empfohlen. "Schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht fest, dass die Verkehrsführung im Raum München das letzte Nadelöhr der Europastraße von Skandinavien bis Sizilien sein wird", hat die Industrie- und Handelskammer im Mai 1969 gemahnt. Und am 16. Juni muss ich auswärtigen Zeitungen melden: "Olympiastadt kaum zugänglich. Straßen und Flughafen blockiert".

München versinkt im Baustellen-Chaos

Neue Straßentunnel, neue Fußgängerzone, neue Bahnhöfe Es geht jetzt – wortwörtlich – drunter und drüber. Die Hauptgeschäftsstraße zwischen Marienplatz und Stachus ist aufgerissen. Unten wühlen "eiserne Maulwürfe" die lang umkämpfte Trasse für die Stammstrecke der künftigen S-Bahn, während oben eine große, beispielhafte Fußgängerzone mit Steinen aus der DDR gepflastert wird. Täglich ändert sich die Verkehrsführung. Stadtpläne vom Vorjahr sind eh überholt. Noch fataler erleben die 1,28 Millionen Münchner das "größte unterirdische Verkehrsbauwerk der Welt": den Untergrund-Stachus.

Stachus-Baustelle: ein Loch ohne Boden

Streng nach Zeitplan entstehen auf sechs Etagen unter anderem eine 9.000 Quadratmeter große Ladenstadt, 50 Rolltreppen, eigene Autostraßen, Lastenaufzüge, eine Polizeiwache, sich kreuzende Untergrundbahnen. Die Sonnenstraße müssen die Fußgänger zeitweise auf einem viel zu schmalen Holzsteg überqueren. Am 26. November 1970 wird das Jahrhundertbauwerk feierlich eröffnet. Aus den 13,5 Millionen Mark, die der Stadtrat ursprünglich dafür bewilligt hat, sind nach und nach 145 Millionen geworden. Ein Loch ohne Boden.

Heiße Brennpunkte des Münchner Stadtumbaus sind 1969 außerdem die sehr umstrittene Untertunnelung des Altstadtrings (Prinz-Carl-Palais) und dessen brutaler Durchbruch an der Maximilianstraße. Auch der Mittlere Ring ist, mindestens im östlichen Bogen, dem Verkehr nicht mehr gewachsen,reklamiert das bayerische Innenministerium. Weil sich das nötige Raumordnungsverfahren verzögert, ist frühestens 1971 mit dem Ausbau eines Autobahnrings und Fernstraßennetzes rund um München zu rechnen.

München versinkt im Stau

Vorerst will man Autofahrer mittels aufklappbarer Schilder durchschleusen. Jeden Tag ist Stau angesagt, sowohl in der Innenstadt wie im Umland. Die Sommersaison verheißt nun ein potenziertes Chaos. Nicht nur für Fußgänger, Radler und Autofahrer, sondern auch für Flugreisende. Im August soll der längst überforderte Flughafen Riem wochenlang total gesperrt werden. Ausgerechnet in der Hauptreisezeit, weil man die 600 Arbeiter, die das Rollfeld ausbessern und verlängern sollen, nur dann von den Autobahnbaustellen freibekommt.

Als Ausweichstelle wählen die Lufthansa und andere Airlines den Nürnberger Flughafen, der schnell noch zwei Millionen Mark investieren muss. Der Berlinflugverkehr und einige Charter werden über den Militärflugplatz Neubiberg abgewickelt. Flughafendirektor Wulf-Diether Graf zu Castell rechnet mit einem Ausfall von 50.000 Flugreisenden.

München verändert sein Gesicht

Und auch dem Bahnverkehr droht Chaos. Nach dem Muster der kanadischen Stadt Montreal will München – erstmals in Europa – neue Geschäfts-, Wohn- und Vergnügungszentren auf riesigen Platten über den Gleisanlagen von alten, hässlichen Bahnhöfen errichten. Dadurch sollen Grundstücke, die nicht beliebig produzierbar sind, gleichsam aus dem Nichts für die Stadtentwicklung gewonnen werden, ohne dass die Bahn verschwinden muss. "In absehbarer Zeit wird man es sich nicht mehr leisten können, dass die Spatzen zwischen den braunen Schottersteinen herumpicken," meint der Chefarchitekt der Bundesbahn, Emil Schuh, der die utopisch anmutende "Stadt auf Stelzen" entworfen hat.

Hauptbahnhof: Planungen für Abriss beginnen schon in den 60er Jahren

In die Planungen der DB einbezogen ist bereits der Abriss des Hauptbahnhofs (womit tatsächlich erst 50 Jahre später begonnen wird). Dieses technisch und finanziell anspruchsvolle Projekt wird nur deshalb zurückgestellt, weil die für 1972 terminierten Olympischen Spiele einen beschleunigten Ausbau der innerstädtischen S-Bahn-Trasse erzwingen. Dadurch rückt zunächst das schäbige Umfeld des Ostbahnhofs in den Vordergrund der Bahn-Überlegungen, zumal auch die Stadtplaner längst an eine Aufwertung des Münchner Ostens denken.

Anfang 1970 soll mit dem Abbruch des ruinösen Ostbahnhofs begonnen werden. Die neue Schalterhalle mit 50 Fahrkartenautomaten soll größtenteils unter die Erde kommen, obwohl der gesamte Fernverkehr weiterhin und auch der künftige S-Bahn-Verkehr oberirdisch verlaufen sollen. Über die Schienenstränge und angrenzende Rangierflächen will man eine 25.000 Quadratmeter große Betonplatte stellen. Gebäude mit bis zu 15 Stockwerken, mit Läden, Appartements und Kinos sind bereits von Immobilienfirmen geplant (verwirklicht wird dann ein neuer, aber viel kleinerer Ostbahnhof).

Zukunftsvision Flugtaxis  

Das Jahr 1969 weist schon über 1972 hinaus, in das moderne, post-olympische München. Doch vieles schmerzt auch, irritiert, fordert Politiker und Fachleute heraus. OB Hans-Jochen Vogel fordert Systeme, die Elemente des Individualverkehrs und des Massenverkehrs vermischen, mit so utopischen Namen wie "Teletram" und "immateriellem Verkehr". Fernsehen und Elektronik könnten einen Teil des Autoverkehrs überflüssig machen, meint er. Sogar das "Lufttaxi" taucht damals schon unter den Luftschlössern auf. Auf eine eher psychologische Bremse verweist Bayerns Innenminister Bruno Merk: Das Verhältnis vieler Menschen zu den Fortbewegungsmitteln sei immer noch zu emotional, zu wenig zweckorientiert. Für manchen sei das Auto halt immer noch Statussymbol. "Einen solchen Luxus," bemerkt der CSU-Politiker, "werden wir und zumindest in den Ballungsräumen nicht mehr lange leisten können." Ein halbes Jahrhundert später ist diese Erkenntnis tatsächlich bei vielen Menschen angekommen.

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