Basteln für Bedürftige: Die grauen Engel vom Hasenbergl
HASENBERGL - Küche aufbauen, Herd anschließen, Schränke reparieren: Die Rentner von der „Mobilen Werkstatt“ packen bei bedürftigen Menschen mit an und verlangen dafür keinen Cent. Die AZ hat die Helfer einen Tag begleitet.
Der Bohrer von Jürgen Nestel will sich nicht so recht in die Fliese fressen. Seit gut einer Stunde schwitzen der Physiker und sein Freund Heinz Friedrich im kleinen Badezimmer einer 89-jährigen Dame. Das Licht im Spiegelschränkchen ist kaputt – ein klarer Fall für die Bastler der „Mobilen Werkstatt Hasenbergl“.
„Die Armut in München nimmt immer mehr zu, wir kommen inzwischen den Aufträgen gerade so hinterher“, sagt Nestel. Der 76-Jährige ist einer von zehn Rentnern, die sich zur „Mobilen Werkstatt Hasenbergl“ zusammengeschlossen haben. Einer Tüftler-Truppe, die bedürftigen Menschen hilft, wenn der Wasserhahn tropft, die Waschmaschine nicht mehr will oder ein Tischbein geleimt werden muss. Für die Reparatur wollen die Senioren keinen Cent. Nur die Ersatzteile müssen von den Auftraggebern selber bezahlt werden.
Charlotte Hunsinger ist den „Meister Eders“ vom Hasenbergl wohl bekannt. „Ach, bestimmt zehn Mal“, beantwortet Nestel die Frage der etwas vergesslich gewordenen Dame, wie oft sie denn schon bei ihr waren. TV-Gerät, Waschmaschine, Kühlschrank: Fast jedes elektrische Gerät der 89-Jährigen haben die beiden schon überprüft und wieder gängig gemacht. Heute ist es der Badezimmerschrank. Das Licht brennt nicht mehr, eine Steckdose ist nicht in Ordnung. „Ich habe schon einen Stromschlag bekommen“, klagt die Dame und schwärmt im gleichen Satz von ihren beiden „Rettern in der Not“. Seit ihr Mann 1989 gestorben ist, lebt die Seniorin in ihrer Einzimmer–Wohnung allein. „Als sie den Fernseher repariert haben, da hab ich mich so gefreut“, sagt Hunsinger mit Tränen in den Augen und klatscht dabei in die Hände. Zwar kümmert sich eine Bekannte um die Pflegebedürftige, viel Besuch außer der Reihe hat sie aber nicht. Umso mehr freut sie sich, wenn jemand von der „Mobilen Werkstatt“ vorbeischaut. „Die sind so nett und sehen so gut aus wie Fernsehstars“, sagt die drollige Dame immer wieder. Und tatsächlich: Jürgen Nestel hat was von US-Schauspieler Leslie Nielsen. „Oft dauern die Gespräche nach der Arbeit länger als die Reparatur selbst“, erzählt Heinz Friedrich.
Die Idee für die „Mobile Werkstatt“ hatte Fritz Jäger, der für die Caritas arbeitet. Der Sozialpädagoge war 2001 als Schuldnerberater im Hasenbergl unterwegs und half vorwiegend allein erziehenden Frauen im Umgang mit dem Geld. Bei seinen Besuchen fielen Jäger neben den finanziellen Problemen noch viele andere „Baustellen“ auf. „Da waren oft Betten kaputt oder Türen ausgeleiert“, erzählt er. „Auf die Frage, ob es in dem großen Hochhaus mit über 100 Parteien keinen Menschen gibt, der einen Hammer in die Hand nehmen kann, habe ich zu hören bekommen: Ich kenne hier keinen, wir reden nicht miteinander“, sagt Jäger. Dieses Erlebnis habe ihn aufgerüttelt. „Ich habe ein Konzept erarbeitet und das bei Start-Social vorgestellt, einem Förderprogramm unter Schirmherrschaft des Bundeskanzleramtes“.
Die „Mobile Werkstatt“ machte prompt den zweiten Platz bei dem Wettbewerb. Von den 5000 Euro Preisgeld kaufte Jäger erstmal Werkzeug. Schnell heuerten Physiker Jürgen Nestel und Ingenieur Heinz Friedrich an. Die beiden Ruheständler waren sofort vom Projekt überzeugt. „Ich hatte einen Lehrauftrag an der TU, aber das war mir zu langweilig“, sagt Nestel. Der Rentner fühlt sich immer noch fit, will was tun, wie er sagt. „Wir hatten Glück im Leben und deswegen die soziale Verpflichtung, wieder etwas zurück zu geben.“
Jeden Dienstag treffen sich die zehn ehemaligen Schlosser, Schreiner und Ingenieure im Caritas-Stützpunkt am Hildegard-von-Bingen-Anger. Um 9 Uhr morgens ist Auftragsbesprechung.
Bei Butterbrezen und Kaffee geht Jäger die Reparatur-Anfragen durch: Eine Küche muss aufgebaut werden, eine Spülmaschine tut’s nicht mehr. Außerdem hat bei einer sechsköpfigen Familie aus Afghanistan der Kühlschrank seinen Geist aufgegeben. Und dann ist da noch das Badezimmer-Schränkchen von Frau Hunsinger. „Ach, die liebe Frau Hunsinger“, sagt ein Mann mit weißem Nikolausbart und runder Brille und beißt beherzt in seine Brezen. Bewaffnet mit Hilti-Bohrmaschine, Werkzeugkoffern und Taschenlampen geht es dann in Zweier-Teams zu den Bedürftigen. „Aus Sicherheitsgründen sind wir immer zu zweit“, sagt Nestel. Es sei nämlich schon vorgekommen, dass die freiwilligen Helfer des Diebstahls beschuldigt wurden.
Der Job als „grauer Engel“ ist nicht immer schön, nicht alle sind so dankbar wie Frau Hunsinger. „Ich bin von einer 19-Jährigen so beleidigt worden, da wollte ich schon gehen“, sagt Josef Meszaros. Der 72-Jährige liebt alle Basteleien, die mit Holz zu tun haben. Der Maschinenbauingenieur hatte eine Toilette reparieren wollen, die war aber so verdreckt, dass er die junge Frau bat, sie erst sauber zu machen. „Dann hat sie zu mir gesagt: Mach das selber, dafür bist du gut genug“, erzählt Meszaros beim gemeinsamen Mittagessen im Stützpunkt. Kopfschütteln in der Runde: „Du brauchst ein dickes Fell.“
Nestel und Friedrich sind gerne im Team unterwegs. Vor der Schrankreparatur schauen die beiden noch schnell bei der afghanischen Familie mit dem kaputten Kühlschrank vorbei. In diesem Fall aber mit Verstärkung. Energieberater Albert Bamgratz klärt die Familien über den sparsamen Umgang mit Strom auf. Ist ein Gerät hoffnungslos veraltet, gibt’s unter Umständen sogar ein umweltfreundliches neues aus einem Geldtopf der Stadt. Mohammed Niaci hat Glück. Der 55-jährige, gehbehinderte Familienvater darf auf einen Ersatz-Kühlschrank hoffen.
Aber Auch hier gibt es Trickser: Ein Werkstatt-Mitarbeiter erzählt von einer 300-köpfigen Großfamilie aus dem Hasenbergl, die ständig Anträge auf neue Geräte stelle. „Es sind zwar immer andere Wohnungen, aber die Geräte sind die selben. Die tauschen die untereinander aus“, sagt er.
In den meisten Fällen spüren und sehen die Helfer aber die tiefe Dankbarkeit der Menschen. „Das treibt uns an“, sagt Nestel. Wie die strahlenden Augen des kleinen Hewad. Beim Inspizieren des Kühlschranks ist den Rentnern ein zerbrochenes Bein am Esstisch der afghanischen Familie aufgefallen. Ein ehemaliger Schlosser hat das Bein geleimt, Team Nestel-Friedrich hat es montiert. Jetzt kann die Familie wieder gemeinsam essen und der 6-jährige Hewad wieder lachen.
Christoph Maier
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