Barrierefreiheit: So viele Hürden gibt es in München für Menschen mit Behinderung

Die Stadt München will die UN-Behindertenkonvention umzusetzen. Doch sie hat erst die Hälfte der Maßnahmen geschafft. WCs sind noch immer schwer zu finden und Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap fehlen.
Christina Hertel, Eva von Steinburg |
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Der Behindertenbeauftragte Oswald Utz im Dezember 2022, damals stellten die Münchner Verkehrsbetriebe die erste barrierefreie Tramhaltestelle in Harlaching vor.
Der Behindertenbeauftragte Oswald Utz im Dezember 2022, damals stellten die Münchner Verkehrsbetriebe die erste barrierefreie Tramhaltestelle in Harlaching vor. © MVG

München - Ein Mensch mit einer Behinderung kommt heute viel besser in München zurecht als noch vor zehn Jahren. Davon ist der Behindertenbeauftragte der Stadt Oswald Utz überzeugt.

Auf dem Oktoberfest könnten Rollstuhlfahrer nicht mehr bloß eine Runde Riesenrad fahren so wie früher, sondern viele Fahrgeschäfte nutzen, sagt er.

Trotz Fortschritten: München hat bei Inklusion und Barrierefreiheit noch Luft nach oben

Und nicht nur einzelne Feste seien inklusiver. Der Stadtrat habe strukturelle Veränderungen beschlossen. Das heißt, es gibt generelle Regeln, wie neue Schulen und Turnhallen, Bus- und Trambahnhaltestelle aussehen müssen, damit jeder sie nutzen kann. Es gebe klare Vereinbarungen – "und zwar für immer und nicht nur für einmal". Utz ist deshalb zufrieden mit der Arbeit des Rathauses.

Gleichzeitig gibt es auch in München beim Thema Inklusion noch Luft nach oben. 2009 ist in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Sie fordert gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Um dieses Ziel umzusetzen, hat die Stadt München bisher zwei Aktionspläne mit konkreten Maßnahmen verabschiedet. Am Mittwoch in der Vollversammlung hat der Stadtrat über den Stand der Umsetzung diskutiert.

Von 35 Maßnahmen, die München behindertenfreundlicher machen sollen, sind 18 umgesetzt

Wie das Sozialreferat berichtet, sind die Maßnahmen des ersten Aktionsplans zum größten Teil abgeschlossen. Allerdings gibt es noch immer keine inklusiven Freizeitangebote im Feriensportprogramm. Und für Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit fehlt das Personal.

Den zweiten Aktionsplan hat der Stadtrat 2019 beschlossen. Er enthält 35 Maßnahmen, 18 davon sind umgesetzt. Zum Beispiel ist das KVR barrierefrei, es gibt eine gynäkologische Sprechstunde für mobilitätseingeschränkte Frauen und Mädchen und auch mehr barrierefreie Wohnungen auf städtischen Grundstücken. Doch etwa die Hälfte der Maßnahmen fehlt noch.

Den WC-Finder für barrierefreie Toiletten in München gibt es noch nicht

Die SPD stört besonders, dass der WC-Finder noch nicht umgesetzt ist. Geplant war, dass die Stadt in einer App alle öffentlichen Toiletten auflistet und informiert, ob sie barrierefrei sind, wann sie geöffnet haben, ob Rillen im Boden vorhanden sind und wie das Klo angefahren werden kann.

Doch so eine App gibt es noch nicht. Die SPD fordert jetzt eine schnelle Umsetzung. Eigentlich, sagte SPD-Stadträtin in der Vollversammlung des Stadtrates am Mittwoch, sei die Verwaltung damit schon lange beauftragt.

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Stadt wollte zehn Arbeitsplätze für Menschen mit kognitiven Einschränkungen schaffen: Passiert ist nichts

Behindertenbeauftragter Utz kritisierte einen anderen, noch nicht umgesetzten Beschluss mehr: Eigentlich sollte das Rathaus zehn Arbeitsplätze für Menschen mit einer kognitiven Einschränkung schaffen. "Die Stadt hat 40.000 Beschäftigte", sagt Utz. Es gehe also um nicht einmal ein Prozent der Arbeitsplätze. "Und wir schaffen es nicht."

"Da müssen wir uns wirklich an die eigene Nase packen", gab Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu. Er bat die Referate, in regelmäßigen Abständen zu erklären, warum die Stadt hier nicht weiterkommt.

Die Beschilderung für Menschen mit Behinderung an Münchner U-Bahnhöfen gibt es noch nicht überall

Und noch weitere Punkte aus dem zweiten Aktionsplan sind offen: Zum Beispiel ist die Beschilderung nicht in allen U-Bahnhöfen so, dass sich dort jeder zurechtfindet. Und eigentlich wollte die Stadt ein Zuschussprogramm auflegen, mit dem Eigentümer von Mehrfamilienhäusern ihre Wohnungen barrierefrei umbauen können. Doch die Stelle im Rathaus, die sich darum kümmern soll, ist noch nicht besetzt. Auch der Plan, einen Pausenhof so umzugestalten, dass alle Kinder dort spielen können, stockt.

Trotzdem arbeitet die Stadt bereits an einem dritten Aktionsplan. Dieser verfolgt vor allem das Ziel, das Bewusstsein der Gesellschaft zu verändern. Behindertenbeauftragter Utz findet dieses Ziel richtig: "Denn was nützt es, wenn zwar alle neuen Schulen barrierefrei gebaut werden - Lehrer, Eltern und Schüler aber Vorbehalte gegenüber Kindern mit einer Einschränkung haben?"

Der Behindertenbeauftragte fordert: Es braucht mehr Schulungen und Fortbildungen in München

Utz fordert Schulungen, Fortbildungen, Werbeaktionen - und Orte, an denen sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung begegnen können, ohne ein Getränk oder ein teures Essen bestellen zu müssen.

Denn für viele Menschen mit einer Einschränkung werde es zu einem immer größeren Problem, dass sie sich München immer schlechter leisten können. Zwar, sagt Utz, gebe es viele Hilfen von der Stadt. Aber diese zu beantragen sei oft langwierig. Auch hier forderte der OB die Verwaltung zum Handeln auf.

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In München unterwegs mit dem Rollstuhl: Ein Betroffener berichtet, wie schwierig das ist

Wenn Kindergarten-Kindern, Schülerinnen und Schülern ein Rollstuhl gestellt wird - sie im Pausenhof und Klassenzimmer das Hilfsgerät spüren und damit rangieren, dann ist beim Thema Inklusion ein wesentlicher Schritt gemacht: Das eigene Ausprobieren der Abhängigkeit macht die Bedürfnisse und konkreten Herausforderungen im Alltag von Rollstuhlfahrern erst so richtig begreifbar.

Zwar gibt es Erfolge bei der Barrierefreiheit, doch nicht genug. "Grundsätzlich fehlt es überall an Barrierefreiheit. Ich habe in den letzten zehn Jahren kaum Verbesserungen bemerkt", schimpft eine junge Rollstuhlfahrerin, die in München studiert.

In der Olympiahalle können Konzertbesucher im Rollstuhl oft nichts sehen

Andreas Vega (61), der im Rollstuhl sitzt, und erwerbsunfähig ist, geht sehr gerne auf Rock-Konzerte. Kürzlich hat er sich geärgert: Obwohl er über 99,70 Euro gezahlt hat, für das Ticket zu Depeche Mode im Olympiastadion, konnte er dort kaum etwas sehen.

"Die Leute vor den Plätzen für die Rollstuhlfahrer sind im Laufe des Konzerts aufgestanden. Für mich wurde es sehr schwierig mit der Sicht. Ich fordere, dass im Olympiastadion die Sitzreihe vor dem Bereich für die Rollstuhlfahrer frei bleibt. Ich habe mich gerade schriftlich beschwert bei OB Dieter Reiter (SPD) und bei der städtischen Olympiapark GmbH," erklärt der Mann aus Nymphenburg.

Bei einer Gassirunde: Der Nymphenburger Andreas Vega ist mit seiner Hündin Berta täglich im elektrischen Rollstuhl unterwegs.
Bei einer Gassirunde: Der Nymphenburger Andreas Vega ist mit seiner Hündin Berta täglich im elektrischen Rollstuhl unterwegs. © privat

Nach wie vor "schwierig" findet er die Toiletten-Situation für Rollstuhlfahrer in München. Vega schlägt vor: "Die großen Toiletten für alle sollte es öfter geben". Wobei er bemerkt hat, dass die großen WC-Räume auch Putzmittellager sind. Die Toilettensituation in Münchens Gaststätten jedenfalls erlebt er als "Katastrophe". Ebenso in Arztpraxen und in Klinken. Bei einer MRT-Untersuchung stand kein Patientenlifter für ihn zur Verfügung.

"Da wird nicht mitgedacht", sagt Andreas Vega: "Es tut sich nichts, das ist schlimm! Vom logischen Menschenverstand her müsste die Stadt auf allen Gebieten fordern: ,Wenn jemand hier ein Restaurant oder eine Praxis aufmacht, soll das die Barrierefreiheit mit einschließen.' Ich bin der Ansicht: So wie die Situation für behinderte Menschen heute in München ist, widerspricht sie geltendem Recht."

Auf dem Tollwood gibt es einen erhöhten Podest für Rollstuhlfahrer

Als Freizeitort gibt es einen Lichtblick, sagt die Rollstuhlfahrer-Community: Das Tollwood-Gelände, deren Macher sich sehr um Teilhabe bemühen. Im Hauptzelt erleben Rollstuhlfahrer Konzerte erhöht auf einem Podest - mit ungetrübter Freude an der Musik - bei voller Sicht auf Bühne und Band.

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2 Kommentare
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  • am 29.06.2023 13:49 Uhr / Bewertung:

    Das wäre doch mal eine Aufgabe für den Chef im Verwaltungsrat, dieser Herr Reiter. Oder sitzt der wieder mal beim Stammtisch?

  • Dana am 29.06.2023 08:55 Uhr / Bewertung:

    Mein Kommentar geht an die MVG. Leider ist es immer noch sehr schwierig für Senioren und sonstige Behinderte einen geeigneten Sitzplatz in U-Bahn, Tram und Bus zu finden. Teilweise durch übervolle Fahrzeuge, teilweise durch Unmengen von Kinderwägen auf einer Stelle, die oft den Zu- und Ausgang versperren. Wünschenswert wäre auch von aussen eine bessere Kennzeichnung von Schwerbehindertensitze
    Hatte gestern das Vergnügen mit der Tram 21 vom Stiglmaierplatz bis Ostbahnhof zu fahren. Bin vorne eingestiegen, 2 Behindertensitze quer über den Rädern, für die Füsse keinen Platz, ständig musste man aufpassen. Als die Tram etwas leerer geworden ist, bin ich zur 2. Tür, die ist direkt an der Tür ein Behindertensitz, die Kennzeichnung ganz oben an der Decke. Warum nicht am Fenster ??? Ich habe gebeten mich hier sitzen zu lassen, wurde erstmal dumm geschaut.
    Warum keine besseren Sitzplätze für Behinderte??????
    Die Fahrgäste werden immer älter und sollen mobil bleiben, aber nicht bei der MVG !!!!

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