Barfuß durchs Feuer
MÜNCHEN - Klaus-Peter Habisch hat seinen gehbehinderten Nachbarn vor dem Erstickungstod bewahrt. Dafür setzte der Selbstständige sogar seine Gesundheit aufs Spiel. Auch in Zukunft will er den alten Mann nicht im Stich lassen.
Der vergangene Samstag war ein ganz normaler Abend für Klaus-Peter Habisch (36). Der Selbstständige sitzt am PC und arbeitet. Seine Frau Angelika ist einkaufen. Die fünf Kinder spielen in der Wohnung im vierten Stock der St.-Martin-Straße in Obergiesing. Es ist 19.45 Uhr. Dann kommt der Rauch.
"Was riecht da so verbrannt, Papa?"
In der Erdgeschosswohnung des alten Miethauses dringt weißer Qualm aus der Wohnungstür. Im Schlafzimmer lehnt der gehbehinderte Ljuban T. (62) am Kasten seines Bettes. Er röchelt, droht zu ersticken. Auf dem Herd verbrennt Gemüse, das er warm gemacht hat. Ljuban T. ist machtlos – der Bosnier hat einen Schwächeanfall erlitten, er kommt nicht hoch, der Topf qualmt wie verrückt. Er hat nur noch zehn Minuten Zeit.
Ganz oben im Haus ruft Habischs Sohn Bastian (14): „Was riecht da so verbrannt, Papa?“ Der Vater glaubt, es liege am Computer. Er findet nichts. Dann sieht er den Rauch durchs Fenster. Er schaut auf die Straße. Unten steht seine Frau und schreit: „Beim alten Mann brennt’s!“
Rauch, Hitze - und ein röchelnder Mann
Klaus-Peter Habisch verliert keine Sekunde. Barfuß und ohne Hemd rennt er die Treppe hinab. Er schellt bei Ljuban T. „Ich wusste, dass nach fünf Mal Klingeln die Tür von selbst aufgeht“, sagt der Familienvater.
„Die Tür sprang auf durch den Druck. Ein Schwall aus Rauch drang heraus, ich konnte nichts sehen, der Qualm biss sich in die Lunge.“ Habisch ruft: „Hallo? Ist da jemand?“ Keine Antwort. Er stürmt durch die Zwei-Zimmer-Wohnung, reißt das Küchenfenster auf. „Da hörte ich ein Stöhnen. Der Mann saß völlig benommen im Nebel. Er erkannte mich nicht.“
Klaus-Peter Habischs Lunge brannte wie Feuer
Wie ein Kind trägt er den behinderten Bosnier ins Freie. „Erst wollte er das nicht“, sagt Habisch. „Er hatte Angst.“ Es musste sein. „Zehn Minuten später wäre er erstickt. Es hat nicht viel gefehlt.“
Habischs Frau gibt dem alten Mann ein Glas Wasser, Habisch rennt noch einmal durch den dichten Rauch, schaltet den Herd ab und ruft die Polizei. Dann merkt er es auch. Seine Lunge brennt. Er bekommt schlecht Luft. Den ganzen Abend geht das so, auch am Sonntag sticht es in der Brust. Vom Notarzt lässt sich Habisch nicht untersuchen. Er geht nicht ins Krankenhaus. „Ich spüre es noch, es geht aber besser.“
"Er ist immer allein, sogar an Weihnachten"
Ljuban T. ist mittlerweile wohlauf. Er hat sich mehrmals bei seinem mutigen Nachbarn bedankt. „Er hat uns gebeten, bei Gelegenheit vorbei zu schauen“, sagt Habisch. Das macht er gern. Der Familienvater hat sich vorgenommen, öfter bei seinem Nachbarn zu klingeln. Ljuban T. sei einsam, sagt er. „Er ist immer allein, sogar an Weihnachten.“ Jetzt nicht mehr.
Thomas Gautier
- Themen:
- Polizei