Barbara Stockinger: „Als Staatsanwalt lässt man das nicht an sich ran“
MÜNCHEN - Die 45-jährige Oberstaatsanwältin und neue Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft spricht mit der AZ über Frust und Mitleid im Job, die Crux bei der Aufklärung von Doping-Fällen, die Wiesn und jugendliche Schläger
Seit 1. September ist Barbara Stockinger (45) Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I. Nur zwölf Tage später schlugen zwei Jugendliche Dominik Brunner auf dem Sollner Bahnsteig tot. „Politikern gibt man hundert Tage Schonzeit, ich bin von den Ereignissen überrollt worden.“
AZ: Zum ersten Mal waren heuer Wiesn-Staatsanwälte vor Ort. Hat sich der Einsatz gelohnt?
BARBARA STOCKINGER: Es ist schon so, dass die gut zu tun hatten. Es gab auch wieder einige Attacken mit Maßkrügen die als gefährliche Körperverletzung, teilweise auch als versuchter Totschlag verfolgt werden. Durch die Wiesn-Staatsanwaltschaft haben wir schneller davon erfahren und konnten auch schneller die Ermittlungen einleiten.
An den Wiesn-Staatsanwalt müssen wir uns gewöhnen?
Ich denke schon, dass das beibehalten wird.
Zwei Araber wurden von der Polizei während der Wiesn neun Tage in Gewahrsam genommen. Fühlen Sie sich da als Juristin wohl in der Haut?
Ich kenne die Informationen nicht, die dazu geführt haben. Aber es gibt unter strengen Voraussetzungen die Möglichkeit des Gewahrsams für die Polizei. Diesmal waren sie wohl erfüllt. Die Verdachtsmomente müssen wohl sehr groß gewesen sein. Meines Wissens war es das erste Mal in München.
Warum wird aus diesen Verdachtsmomenten aber kein eigenes Ermittlungsverfahren?
Da liegt die Grenze zwischen abstrakt und konkret. Es gab keine konkreten Hinweise, aber eine abstrakte Gefahr.
Bleibt es bei solch starken Sicherheitsmaßnahmen bei Großveranstaltungen?
Ob das bei der nächsten Wiesn wieder so sein wird, muss man je nach der Sicherheitslage dann entscheiden.
Die Jugendkriminalität hat nicht zugenommen, ist seit den Schläger-Attacken in Solln und am Sendlinger Tor aber präsenter. Zu Unrecht?
Das waren zwei brutale Fälle innerhalb von kurzer Zeit. Gemeinsam ist beiden Fällen, dass es wirklich Unschuldige, Unbeteiligte getroffen hat. Die Opfer waren keine Provokateure, sondern jemand wie du und ich. Das macht mehr Angst.
Wann werden die Täter angeklagt?
Die Schweizer Schläger sollen in den nächsten Tagen angeklagt werden. Für Solln ist es noch zu früh. Da sind wir mitten in den Ermittlungen. Wir brauchen das psychiatrische Gutachten, das Telefonat Brunners muss mit anderen Ermittlungen abgeglichen werden.
Haben Sie Mitleid, wenn Sie wie beim jüngeren Solln-Schläger sehen, wie schnell so ein junges Leben kaputt geht?
Das lässt man als Staatsanwalt nicht an sich ran. Ich habe als Staatsanwältin jahrelang Gewalt gegen Frauen gemacht. Das kann man nicht jeden Tag mit nach Hause nehmen.
Was den Spitzensport anbelangt, bleibt Ihre Doping-Abteilung ohne spektakuläre Erfolge. Woran liegt’s?
Die Crux liegt derzeit in der gesetzlichen Regelung. Im Gegensatz zur Betäubungsmittelkriminalität ist nicht jeglicher Besitz von Dopingmitteln strafbar, sondern erst ab einer bestimmten Menge.
Die Doping-Szene im Spitzensport kann also juristisch unbehelligt weitermachen?
Wenn man mit seinem Job das Ziel hat, etwas zu erreichen, dann ist das frustrierend. Vor allem, dass man im Spitzensport keine Chance hat, da reinzukommen. Um das zu ändern, müsste man die Mengen anders festsetzen oder den Straftatbestand zum Beispiel als Betrug anders anlegen.
John Schneider, Ralph Hub