13 Jahre lang unschuldig im Knast: So viel Entschädigung bekommt der Freigesprochene

München - Für Laurent Lafleur war es kein leichter Auftritt. In betont nüchternem Ton verkündete der Leiter der Pressestelle für Strafsachen vor einem Pulk von Journalisten, wie es nun weitergehe.
Gerade erst hatte vor dem Landgericht München I der Prozess um den vermeintlichen "Badewannen-Mord" mit einem Freispruch für den angeklagten Manfred Genditzki geendet. Dieser hatte zu Unrecht rund 13 Jahre im Gefängnis gesessen.
Urteil im "Badewannen-Mord": 368.400 Euro Entschädigung für das Justiz-Opfer
Als Lafleur nun in Richtung Kameras sagt, Genditzki stehe eine staatliche Entschädigung zu, wird er prompt unterbrochen: "Millionen müssten es sein, Millionen!", ruft eine Frau und fügt hinzu: "Es geht hier um Gerechtigkeit!"
Die vom Gesetzgeber klar geregelten Zahlen gehen in dem Mini-Tumult beinahe unter: 75 Euro stehen dem inzwischen 63-Jährigen für jeden Tag in Haft zu – macht insgesamt 368.400 Euro. "Für die immateriellen Schäden", sagt Lafleur.
Justizskandal: Manfred Genditzki sitzt 13 Jahre unschuldig im Gefängnis
Mit dem Geld will sich der Staat von seiner Schuld freikaufen. Denn Genditzki wurde Opfer zweier Fehlurteile, die nichts anderes sind als ein veritabler Justizskandal. Eine Kammer des Münchner Schwurgerichts war 2008 zur Überzeugung gekommen, Genditzki habe eine 87-Jährige in deren Wohnung in Rottach-Egern nach einem Streit auf den Kopf geschlagen und in der Badewanne ertränkt.

Es dauert rund eineinhalb Jahrzehnte, bis Genditzki, der stets seine Unschuld beteuerte, doch noch zu seinem Recht kommt. Richterin Elisabeth Ehrl kritisiert am Freitag bei der Urteilsverkündung sichtlich bewegt die Arbeit der Ermittler und ihrer Justizkollegen scharf. Genditzki sei für ein Verbrechen verurteilt worden, das es nach heutiger Auffassung des Gerichts nie gegeben hat.
Man habe sich "etwas verwundert über die Ermittlungsarbeit gezeigt“" so Ehrl. "Es stellt sich uns so dar, als ob manches hier sehr einseitig und zulasten von Herrn Genditzki, gewertet wurde." Sie bemängelt tendenziöse Fragen und falsche Schlussfolgerungen. Einmal bricht ihre Stimme.
Richterin: "Es tut uns aufrichtig leid"
"Es tut uns aufrichtig leid, dass Sie am 26. Februar 2009 aus ihrem normalen Leben gerissen wurden", sagt Ehrl und ergänzt: "Ihnen war es nicht vergönnt, ihre beiden jüngeren Kinder aufwachsen zu sehen oder auf die Beerdigung ihrer Mutter zu gehen." Selbst für die Geburt seines Enkelkindes bekam er keinen Hafturlaub.
Den Kindern wurde ihr Papa geraubt. Genditzkis Tochter bricht ein ums andere Mal bei der Urteilsverkündung in Tränen aus. Sie sei "erleichtert", sagt die junge Frau. Mehrfach liegt sie sich mit Unterstützern des Justizopfers in den Armen. Viele aus der Region glaubten an dessen Unschuld – auch diesmal ist der Saal gerammelt voll.
"14 Jahre sind weg", sagt Genditzki nach dem Urteilsspruch, den er nach außen ruhig wirkend verfolgt hatte. Doch versucht der Staat, ihn ernsthaft zu entschädigen? In der Theorie steht ihm auch ein Verdienstausfall zu. Allerdings trägt das Opfer die Beweislast, was mitunter mit langwierigen Zivilprozessen verbunden ist. Immerhin: In Genditzkis Fall verspricht die Justiz, die Anträge zügig zu bearbeiten.
"Es darf nicht sein, dass Hilfsbereitschaft zum Verhängnis wird"
Genditzki war einst Hausmeister in der Wohnanlage, in der auch Lieselotte K. wohnte. Er erledigte für die älteren Menschen auch Dinge des täglichen Lebens wie Einkaufen oder Kochen. Dass die Ermittler fälschlicherweise dachten, er sei zur Tatzeit bei der alten Dame gewesen, wurde ihm zum Verhängnis. Als Motiv legte man dem hilfsbereiten Mann aus, dass er Schulden gehabt habe.
"Es darf nicht sein, dass Hilfsbereitschaft zum Verhängnis wird", sagt Hanni G. Senioren hätten doch oft keinen mehr, der sich um sie kümmere, findet sie. Häufig fuhr Hanni G. aus Solidarität aus dem Umland zu den Prozesstagen.
"Ein Unding": "Badewannen-Mord" bleibt ein ungelöster Fall
Was genau mit Lieselotte K. geschah, konnte auch dieser Prozess nicht mit Sicherheit ergründen. Das Gericht geht davon aus, dass die Frau in die Badewanne stürzte, als sie dort vermutlich Wäsche waschen oder sich ein Fußbad einlassen wollte. Denn aus Sicht mehrerer neuer Gutachten ist ein Unfall der Seniorin wahrscheinlich.
Genditzki verdankt seine Freiheit insbesondere Rechtsanwältin Regina Rick. Sie blieb beharrlich, ließ sich nicht abwimmeln. Doch auch ohne seine vielen Unterstützer wäre der Fall am Ende womöglich anders ausgegangen. "Mein Umfeld hat nie daran geglaubt, dass ich schuldig bin", sagt Genditzki. Es sei "ein Unding, dass Privatleute für Fehler der Justiz gerade stehen müssen", sagt er unter Applaus. Viele Menschen spendeten Geld – sogar Schüler, denn Gutachter sind teuer.
Gerechtigkeit muss man sich in Bayern erst einmal leisten können
Die neu beauftragten Experten wiesen nicht nur nach, dass der Tod wahrscheinlich Folge eines Unfalls war – sie fanden auch den wahrscheinlichen Zeitpunkt heraus: zwischen 16.30 und 18.30 Uhr. Doch zu dieser Zeit hat Genditzki ein Alibi.
Unterstützung beim Erzwingen des Wiederaufnahmeantrags kam vom renommierten Rechtsmediziner Klaus Püschel. Er setzte auf neue wissenschaftliche Methoden. Dem Professor zufolge gibt es eine Reihe ähnlicher Justizirrtümer, hinzu komme eine Dunkelziffer. "Braucht es dann etwa Gutachten, kostet dies Geld." Gerechtigkeit muss man sich am Ende in Bayern also erst einmal leisten können.