AZ-Wiesn-Gespräche: "Niemand kauft jetzt ein Karussell"

München - Wochenlang haben die Schausteller auf die Nachricht gewartet, nun ist sie da: Volksfeste sind seit gestern in Bayern wieder erlaubt, jedenfalls mit Eintritt und 3G-Regel. Und damit genau das, was auf dem Erdinger Volksfestplatz schon seit zwei Wochen stattfindet.
Volksfeste waren noch immer verboten
Während die Wiesn in München öde und leer daliegt, tummeln sich dort aufgetrachtelte Menschen. Die Wilde Maus saust über die Schienen hoch in der Luft, der Breakdance rotiert. Unterm Riesenrad gibt's Schokofrüchte und im Biergarten duftet's nach Hendl.
"Volksfest" nennen die Erdinger das freilich nicht - das war laut Infektionsschutzverordnung ja noch verboten. Aber einen Freizeitpark ohne Bierzelte, dafür mit 3-G-Eintritt und Freiluft-Biergarten hatte das Landratsamt erlaubt, samt dem Namen "Herbst in Erding" (läuft noch bis Sonntag).

Das sagt der Chef des Münchner Schaustellervereins
Mit dabei ist Peter Bausch (39), der Chef des Münchner Schaustellervereins - mit seiner riesigen Überkopf-Hollywoodschaukel "Top Spin No 1", die Wiesnfans seit den 1990er Jahren kennen.
AZ: Herr Bausch, viele Monate Volksfestpause gehen zu Ende, haben Sie schon gejubelt heute?
PETER BAUSCH: Das sind großartige Nachrichten, wirklich. Es war zermürbend, so lange ohne Perspektive zu sein und ohne Sicherheit, wie es weitergeht.
Heißt das, wir können uns diesen Herbst noch auf einige Volksfeste freuen?
Das kann ich mir im Moment kaum vorstellen, die Nachricht ist noch zu frisch und die Saison ist fast vorbei. Man muss sehen, was die Veranstalter entscheiden. Wir kennen auch die Details in der neuen Verordnung noch nicht.
"Die Leute nehmen das Fest gut an"
Statt auf der Wiesn stehen Sie jetzt in Erding mit dem Top Spin, wie ist das angelaufen?
Die Leute nehmen das Fest gut an. Und ich freu mich, dass ich den Top Spin überhaupt mal wieder laufen lassen kann, auch wenn das hier ein kleiner Rahmen ist. Das Karussell ist zwei Jahre in der Halle gestanden, genau seit der letzten Wiesn 2019.
Ist die Maschine noch angesprungen?
Sicher. Und der TÜV hat den Top Spin abgenommen. Ich hab ja lang genug Zeit gehabt, ihn fahrbereit zu machen.
100 Münchner Wiesn-Schaustellerfamilien haben wie Sie jetzt zwei Jahre kaum arbeiten können. Haben die Staatshilfen alle aufgefangen?
Alle nicht, leider. Vor allem einige der sehr kleinen Familienbetriebe, die ohne Personal arbeiten, sind rausgefallen.

Die Schausteller haben sich andere Jobs gesucht
Wie viele haben aufgegeben?
Ich wüsste von keinem. Aber wer unter 40 ist, hat sich andere Jobs gesucht, um die Familien durchzubringen, bis es für uns weitergeht. Wir sind keine Leute, die sich in eine soziale Hängematte legen möchten. Wir wollen mit unserer Hände Arbeit unser Geld verdienen.
Welche Jobs denn?
Schausteller sind Hydrauliker, Statiker, Schlosser, Lkw-Fahrer, Gastronomen und mehr in einem. Etliche arbeiten jetzt in Kfz-Werkstätten, in Handwerksbetrieben, in der Gastro, im Verkauf, als Fahrer. Und ich kenne auch einige Familien, die von Hartz-IV leben müssen.
Wie geht's denen?
Wie es einem geht ohne sichere Perspektive, das habe ich an mir selber gesehen. Da stehen Sie in Ihrer Lagerhalle, sehen da einen Betrieb liegen, der mal ein Vermögen gekostet hat, und der vegetiert da vor sich hin und darf nicht benützt werden. Das frisst Sie auf, das macht Sie kaputt.

Stehen Fahrgeschäfte zum Verkauf? Karussells, Geisterbahnen, Autoscooter?
Niemand möchte aktuell ein Karussell kaufen. In den USA braucht jetzt auch keiner eins, die Pandemie ist ja weltweit. Außerdem: Was soll kommen nach einem Verkauf? Was unser Berufszweig gut kann, ist Volksfest machen, Menschen belustigen. Man sollte machen, was man am besten kann.
Bis zu 15 Volksfeste pro Jahr sind ausgefallen
Wie viele Volksfeste sind für Sie flachgefallen seit Corona?
Pro Jahr zehn bis 15. Vom Frühlingsfest in Weiden über die Regensburger Mai-Dult, das Straubinger Gäubodenfest bis zur Wiesn. Der Top Spin läuft normalerweise 100 Tage im Jahr, mit dem Prosecco- oder Glühwein-Ausschank bin ich 70 Tage unterwegs. Macht also 170 Spieltage im Jahr.
Wie war's letztes Jahr?
Da hatte ich nur 72 Tage mit dem Ausschank auf dem Königsplatz beim Sommer in der Stadt. Und heuer 24 Tage - plus jetzt in Erding. Das waren zwei Jahre also nur 15 Prozent vom normalen Jahresumsatz. Das Geschäft muss aber meine Eltern ernähren und meine kleine Familie, bei uns ist ein Baby unterwegs. Der Kredit, den ich aufnehmen musste, wird mich noch zehn Jahre begleiten.
Der erste Lockdown war besonders hart
Haben Sie überlegt, aufzugeben?
Die Sinnfrage habe ich mir schon gestellt. Vor allem im ersten Lockdown. Da sind wir gerade aus der Winterpause gekommen, in der wir kaum Geld verdienen. Im Jahresrhythmus werden wir unruhig, wenn die ersten Sonnenstrahlen rauskommen. Dann wollen wir loslegen. Das ging im Frühjahr 2020 nicht, Ostern und Pfingsten nicht, dann wurde die Wiesn abgesagt und der Christkindlmarkt. Das sind Tiefschläge. Aber hinschmeißen? Nein. Ich habe mich von der Schulbank weg entschieden, von März bis Oktober unterwegs zu sein und die Tradition meiner Großeltern und Eltern weiterzuführen.

Wie haben Sie fast zwei Jahre ohne Ihre Arbeit verbracht?
Das Tagesgeschäft musste ja weiterlaufen: Die Lastwagen müssen jedes Jahr zum TÜV. Das Karussell muss zerlegt werden, damit Teile ausgetauscht werden. Viele Kollegen haben geschraubt, gestrichen, saniert, Sachen, die gar nicht dran gewesen wären. Und ich hab viel Zeit im Büro des Schaustellervereins verbracht: Briefe an Politiker schreiben, Mails an Verwaltungen.
Ein Sommer in München hat auch schöne Seiten
Sie waren zum ersten Mal überhaupt im Sommer daheim in München, oder?
Stimmt. Mittlerweile kenne ich vor lauter Spazierengehen jede Straße im Glockenbach- und im Dreimühlenviertel, wo ich wohne. Ich hab zum ersten Mal wahrgenommen, in was für einer lebenswerten Stadt ich wohne. Wenn schon Lockdown, dann gern in München.
Sie haben mit der Verwaltung auch den Sommer in der Stadt für die Schausteller organisiert. Wie lief das?
Es war viel Vorarbeit. Auch, weil wir die Orte ja vorher nie als Volksfest bespielt haben. Ich weiß jetzt vom Königsplatz, wo jede Rattenfalle steht, ich kann Ihnen sagen, wo jeder Kanaldeckel und jeder Hydrant ist. Ich kenne jeden Trampelpfad am Sommertollwoodgelände. Da gehst du erst mal hin und machst jeden Schacht auf.
Nach fast zwei Wochen Erding: Funktionieren Hygieneregeln am Volksfest?
Natürlich, gerade auf kleinen Volksfesten sind vor allem Familien. Da ist es überhaupt kein Problem, Regeln einzuhalten, auch wenn wir uns drauf freuen, irgendwann mal keine mehr zu brauchen. Wir Schausteller können uns an alle Lebenslagen anpassen, das machen wir seit Hunderten Jahren.