AZ war dabei: So bereiten sich Münchner Polizisten auf ihre Einsätze vor

Im Polizeipräsidium finden regelmäßig Trainings statt, bei denen bedrohliche Situationen, etwa mit Messerangriffen, nachgestellt werden. Die AZ ist dabei und hat die Polizei München einen Tag hautnah erlebt.
von  Julia Wohlgeschaffen
Polizeihauptmeister Thomas Köpp überwältigt seinen Kollegen Andreas Schubert, der einen Messerangreifer spielt.
Polizeihauptmeister Thomas Köpp überwältigt seinen Kollegen Andreas Schubert, der einen Messerangreifer spielt. © Bernd Wackerbauer

München - Plötzlich geht alles ganz irrsinnig schnell. Drei Männer brüllen einander an, der eine zieht sein Messer, die anderen ihre Pistolen. "Messer weg!", schreien die beiden Polizisten und richten ihre Waffe auf den torkelnden Mann ihnen gegenüber.

Polizei München: Realistische Trainings unter hohem Druck

Der lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken. Eigentlich sollte ich meine Kollegen in den blauen Westen jetzt unterstützen und Anweisungen bekommen, während des Einsatzes.

Doch für ausführliche Gespräche ist jetzt keine Zeit mehr, die Lage ist brandgefährlich – und droht weiter zu eskalieren. So stehe ich erstmal in leichter Schockstarre hinter den Kollegen – bis auf einmal Problemperson Nummer 2 um die Ecke kommt.

Eine Frau mischt sich lautstark ein, sie filmt den Vorfall mit ihrem Handy und schreit irgendwas von Polizeigewalt. "Abschirmen!", heißt die nächste polizeiliche Aufforderung, doch diesmal gilt sie nicht dem Randalierer. Sondern mir.

Da war sie also, die Anweisung, die ich bekommen sollte. Über mehr Details zur Frage "Wie" hätte ich mich zwar gefreut, aber das erlaubt die Situation ganz offensichtlich eher weniger, also ist jetzt Eigeninitiative gefragt. Tja, wie schirmt man also eine durchaus aggressive Frau ab, die versucht, sich in ein Gemenge mit Messern und Pistolen zu stürzen?

Polizeigewalt: "Gerade ist mir so gar nicht mehr nach Lachen zumute"

Ich überlege kurz, was meine Optionen sind. Da wäre die Pistole rechts an meinem Gürtel oder das Pfefferspray links in der Brusttasche meiner schusssicheren Weste. Beides scheint mir in dieser Situation dann doch eher weniger geeignet zu sein. Vorhin mag ich es auch noch lustig gefunden haben, die Waffen in die Hand zu nehmen und ein paar Schüsse mit einer Platzpatrone abzufeuern. Doch gerade ist mir so gar nicht mehr nach Lachen zumute.

Die Frau schreit mir direkt ins Gesicht: "Das ist Polizeigewalt!", schreit sie und versucht sich an mir vorbei zu drängen, während sie die Kamera ununterbrochen auf die brüllenden Männer hinter uns richtet. Alle brüllen nur noch – nur ich nicht, denn ich bin komplett überfordert.

Darf man Polizisten einfach mit dem Handy filmen?

Intuitiv stelle ich mich erstmal vor die Frau, breite meine Arme vor ihr aus, damit sie nicht näher an meine Kollegen rankommt. Hierbei merke ich: Berührungsängste sollten Polizisten besser nicht haben. Doch meine Technik scheint zu funktionieren – gut.

Allerdings hält die Frau nach wie vor ihre Kamera auf die Kollegen. "Darf sie das?", frag ich mich. Aber wie ich bereits vermutete, hat mein Streifen-Partner im Moment keine Zeit für Fragen, der ist ja immer noch mit dem Messer-Angreifer beschäftigt. Ich entscheide also spontan: Sie darf das nicht. 

Wie handgreiflich dürfen Polizisten im Einsatz sein?

"Hören Sie auf zu filmen!", war der erste Versuch einer Intervention meinerseits. Doch meine Gegenspielerin denkt nicht im Traum dran. Mein anschließender Versuch, ihr das Handy abzunehmen, scheitert kläglich. Mit so viel Gegenwehr hatte ich auch nicht gerechnet.

Mir fällt auf, dass sie recht spitze Fingernägel hat! Bevor sie sich auf die Kollegen stürzen kann, die inzwischen den Messer-Mann überwältigt haben, packe ich sie am Handgelenk und ziehe sie weg von den anderen. Und wieder frage ich mich: "Darf ich das alles eigentlich?".

Polizeihauptmeisterin Sonja Strobel spielt im Einsatztraining eine "Störerin". Die AZ-Reporterin muss sie von den anderen abschirmen.
Polizeihauptmeisterin Sonja Strobel spielt im Einsatztraining eine "Störerin". Die AZ-Reporterin muss sie von den anderen abschirmen. © Bernd Wackerbauer

Zu viele Fragen in meinem Kopf, keine Antworten und zu wenig Konzentration auf die Handgreiflichkeiten, in die ich verwickelt bin: Die Frau schafft es immer wieder, mich abzuschütteln. Doch dann kommt endlich die Erlösung: "Abbruch!", schreit Polizeihauptmeister Christian Bannert - und das Einsatztraining ist vorbei.

Später werde ich im Gesetzbuch nachlesen, das besagt: Das Filmen von Polizeimaßnahmen im öffentlichen Raum ist grundsätzlich erlaubt, die Rechtslage ist dazu aber nicht eindeutig. Es gibt verschiedene Gerichtsurteile, die das auch unterschiedlich bewerten. Einen Grundsatzentscheid gibt es noch nicht.

Regelmäßige Trainings sollen die Abläufe bei der Polizei München automatisieren

All die Polizeibeamten und Journalisten im Untergeschoss des Polizeipräsidiums atmen hörbar auf. Was sich hier gerade abgespielt hat, war zwar nur eine Übung - aber eine sehr realistische. Als wir besprechen, wie das Training verlaufen ist, muss ich mich erst kurz sammeln. Mir hat's immer noch die Sprache verschlagen, mit so viel Gebrüll und Körpereinsatz hatte ich nicht gerechnet.

Trainings dieser Art finden hier in der Ettstraße regelmäßig statt. Ziel sei es, so Christian Bannert, der das Training leitet, dass die Polizeibeamten gewisse Abläufe automatisieren. Nach meinem Gedankenchaos während des Einsatzes leuchtet mir diese Erklärung auch absolut ein.

Alltag eines Polizisten: Auch Routineeinsätze können in Sekunden eskalieren

Den kleinen Kratzer an meiner linken Hand bemerke ich erst auf dem Heimweg. Ja, es war ein intensiver Tag. Auch für meine Nerven und für meine Ohren. Doch als Polizistin müsste ich wohl bald schon weiter zum nächsten Einsatz. Der Job als Polizeibeamter in einer Großstadt ist gefährlich.

Selbst vermeintlich harmlos beginnende Routineeinsätze können in Sekundenbruchteilen eskalieren. So wie Anfang Mai in Schwabing, als ein 17-jähriger Schüler einen Polizisten der PI 13 am U-Bahnhof Hohenzollernplatzes während einer Personenkontrolle plötzlich mit einer Waffe bedrohte.

Drei Mal wurden Münchner Polizisten im vergangenen Jahr mit einer Schusswaffe bedroht, sieben Mal mit einem Messer. Bei elf Einsätzen waren Verdächtige mit Messern bewaffnet, wie das Präsidium am Freitag in einer Bilanz mitteilte.

Einmal gab ein Beamter 2022 in München einen Warnschuss ab, weil er bei einem Einsatz mit einem Messer bedroht worden war, vier Mal mussten Beamte im Einsatz ihre Dienstwaffe ziehen. 610 Polizisten und Polizistinnen wurden 2022 in München bei Einsätzen verletzt, ein Plus von 14 Prozent.

Mehr verletzte Polizeibeamte in den letzten zehn Jahren

"Die Zahl der verletzten Beamtinnen und Beamten hat einen Höchststand in den zurückliegenden zehn Jahre erreicht", so die aktuelle Bilanz des Münchner Präsidiums."Es gibt einen signifikanten Anstieg von Gewalt gegenüber den Kollegen", erklärt Polizeipräsident Thomas Hampel.

In den vergangene zehn Jahren sei die Zahl der Fälle um 30 Prozent gestiegen. Im vergangenen Jahr wurden im Zuständigkeitsbereich des Präsidiums München insgesamt 1510 und damit um 5,3 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr 2021 (1434) verzeichnet. Etwas mehr als jeder Fünfte aller Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Bayern wurde damit in der Stadt oder im Landkreis München begangen.

Der Großteil der Fälle setzt sich aus den Delikten Beleidigung (30,1 Prozent, - 90 auf 455 Fälle), tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (34 Prozent, plus 110 auf 513 Fälle) und Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte (24,8 Prozent, plus 39 auf 374 Fälle) zusammen.

München: Übergriffe auf Polizei nehmen zu

"Polizistinnen und Polizisten sind kein Freiwild", betont Münchens Polizeichef. "Sie haben eine dicke Haut und müssen sich sehr viel anhören bei Einsätzen, das geht an niemandem spurlos vorüber", so der Polizeipräsident. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 3.630 Beamtinnen und Beamte von Übergriffen betroffen, statistisch gesehen zirka zwei Drittel aller Münchner Polizistinnen und Polizisten.

Besonders unangenehm fallen in der Statistik einmal mehr Männer auf besonders dann, wenn sie betrunken sind: Laut Präsidium wurden 1.327 Verdächtige bei derartigen Straftaten ermittelt. 81,6 Prozent sind Erwachsene, 82,4 Prozent sind Männer, Frauen spielen kaum eine Rolle.

Straftaten in München: Oft ist Alkohol im Spiel

52,5 Prozent standen bei der Tat unter Alkoholeinfluss. Bei rund 300.000 Einsätzen im Jahr sind Pöbeleien und Beschimpfungen inzwischen praktisch an der Tagesordnung. Und die Zeiten, in denen der Gendarm auf der Straße bei der Bevölkerung als Respektsperson galt, dessen Anweisungen man sofort brav Folge leistete, sind längst vorbei.

Heute wird so ziemlich jede polizeiliche Anordnung oder Maßnahme erst einmal in Frage gestellt und manchmal von völlig unbeteiligten Passanten misstrauisch beobachtet, mit Handys gefilmt – oft genug landen die Videos später dramatisch zusammengeschnitten im Internet.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.