AZ-Test: Das kann der neue ICE

Toll sieht er zweifelsohne aus, aber bewährt sich der ICE auch im Alltag? Wir haben getestet, welche Neuererungen der Zug bringt.
von  Florian Zick
So sieht der Neue also aus: Ein bisschen bulliger als sein Vorgänger ist der ICE 4 schon – angeblich aber auch sparsamer.
So sieht der Neue also aus: Ein bisschen bulliger als sein Vorgänger ist der ICE 4 schon – angeblich aber auch sparsamer. © dpa

Bahnfahren ist nichts für schwache Nerven, glauben Sie mir! Denn irgendwas ist immer. Wenn’s keine Verspätung ist, dann ist die Toilette kaputt oder zumindest die Gulaschsuppe aus. Ich als täglicher Fahrgast kann das beurteilen. Wohnen in Augsburg, arbeiten in München – das macht einen zwangsweise zum Bahnexperten.

Wahrscheinlich war das der Grund, warum mich die Redaktion losgeschickt hat, den neuen ICE 4 zu testen. Gleis 14, Hauptbahnhof München: Da gab es am Montag die Chance. Ein Pressetermin mit Bahnchef Rüdiger Grube und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Legen wir also los.

Das dämliche Wedeln vor der Sensoren bleibt einem nicht erspart

Optisch macht der neue ICE schon mal einen ganz guten Einruck. Er ist nicht so schmal und zierlich wie das Vorgängermodell, wirkt insgesamt eher bullig. Eine Rückkehr zur Ästhetik der Anfangsjahre, könnte man sagen, in gewisser Weise retro. Das passt, ist ja gerade modern.

Auch die Zahlen wirken eindrucksvoll: 13 500 PS, 22 Prozent weniger Energieverbrauch – und trotzdem eine deutlich verbesserte Beschleunigung. Ministerpräsident Seehofer jedenfalls zeigte sich als Hobbyeisenbahner sogleich begeistert. Der ICE 4 werde auf jeden Fall Eingang in seine Sammlung finden, versprach er. „Dann habe ich alle Epochen beisammen.“

Die Abteile sind komplett verschwunden, Großraum ist jetzt das Motto. Foto: dpa

 

Nun wollen wir am Urteil des Landesvaters natürlich nicht rütteln, nichts für ungut. Aber der Mann wird dann doch zu häufig in seiner Limousine durch Bayern chauffiert. Da verliert man mitunter vielleicht doch die Bindung zu den Bedürfnissen des einfachen Bahnfahrers. Machen wir uns also dorthin auf, wo der durchschnittliche Berufspendler seine Fahrten verbringt: in der 2. Klasse.

Auf dem Weg dorthin fallen zwei Dinge auf. Erstens: Die Durchgangstüren reagieren immer noch sehr zögerlich. Das dämliche Herumwedeln vor den Sensoren wird man sich also auch in Zukunft kaum sparen können. Und zweitens: Die Abteile sind aus den Waggons verschwunden. Bei der neuen ICE-Generation setzt die Bahn ganz auf Großraum.

München: Diese Nachtzüge rollen weiter

Das kann man bedauern. Die Zeiten, in denen man sich mit Freunden zu sechst in ein Abteil gequetscht hat und dort dann unter sich war, sind damit schließlich vorbei. Allerdings galten die Abteile auch als Brutstätten für Erkältungskrankheiten. Hatte einer dort eine Schnupfennase, so konnte man sich sicher sein: Beim Aussteigen hat man auch eine.

Nun gibt es also nur noch das Großraumabteil. Dort glaubt die Bahn offenbar, Viren und Bakterien besser im Griff zu haben. Die weiterentwickelte Belüftungstechnik mit zwei Klimaanlagen pro Waggon (wirksam bis 45°C) soll dabei helfen.

Ansonsten sind einige bemerkenswerte Details neu: Die Reservierungsanzeigen sind jetzt in die Kopfstützen integriert – und, oh Wunder, oh Wunder, sie sollen jetzt sogar funktionieren. Vorbei also die Zeit, in der man bis zur Abfahrt bibbern musste, ob einen nicht doch noch ein abgehetzter Geschäftsmann mit Platzkarte vom Sitz hochscheucht.

Da weiß der Zugführer wenigstens gleich, wo er hinschauen muss.

Die Bahn hat bei den Neuerungen einige Anregungen von Zugreisenden aufgegriffen. So kippt beim Verstellen der Sitze nun nicht mehr automatisch die Rückenlehne mit nach hinten. Das dürfte die Hexenschuss-Statistik erheblich verbessern. Allerdings: Fußstützen gibt es im ICE 4 (übrigens genauso wie Leselampen) nur noch in der 1. Klasse. Das wirkt dann doch ein bisschen wie ein Rückschritt.

Bis 2023 will die Bahn um die 130 Züge auf die Gleise bringen

Was in den neuen Zügen dafür jeder bekommt: freies WLAN. Anderthalb Jahrzehnte nach Aufkommen des mobilen Internets ist nun also auch die Bahn im digitalen Zeitalter angekommen. Ein kleiner Wortwitz zum Thema „Verspätung“ bietet sich an dieser Stelle zwar an. Stattdessen noch eine kleine Spitze: Auf den Displays werden künftig nämlich alle Anschlusszüge in Echtzeit angezeigt. Die Deutsche Bahn ist darauf mächtig stolz. Bei den Kollegen von der österreichischen Bahn ist das schon lange Standard.

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Bis die Züge in den Regelbetrieb gehen, wird noch einige Zeit vergehen. Die ersten zehn sollen im Dezember 2017 losrollen. Bis dahin pendeln lediglich zwei Probezüge zwischen München und Hamburg. Die dabei gewonnen Erkenntnisse will die Bahn für weitere Verbesserungen nutzen. Laut Bahnchef Grube soll der ICE 4 schließlich das „neue Flaggschiff der Deutschen Bahn“ werden. Bis 2023 sollen dann um die 130 neue ICE in Deutschland unterwegs sein. Investitionsvolumen: 5,3 Milliarden Euro.

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