AZ-Serie Islam in München: „Viele mauern sich ein“
Der Autor, Muslim und Islam-Wissenschaftler über beidseitige Fehler in der Integration– und warum die Mia-san-mia-Mentalität der Bayern für Zuwanderer gar nicht so schlecht ist.
Herr Abdel-Samad, Horst Seehofer will die Zuwanderung aus arabischen Ländern stoppen, um mehr deutsche Fachkräfte beschäftigen zu können. Was sagen sie dazu?
HAMED ABDEL-SAMAD: Das ist genauso ein Ausdruck politischer Hilflosigkeit wie die Rede von Herrn Wulff, in der er sagte, der Islam sei ein Teil Deutschlands. Wulff hat eine nette Geste von sich gegeben, damit die Muslime sich heimisch fühlen – so eine Geste braucht kein Mensch, sie führt zu nichts außer zu Polarisierung und zu Debatten über die Debatte. Damit kommen wir nicht weiter. Das gilt auch für die Aussage von Herrn Seehofer, weil das Ganze politisch nicht durchsetzbar ist.
Warum nicht?
Weil es im Moment quasi keine Einwanderung aus arabischen und türkischen Ländern nach Deutschland gibt. Ein paar wenige kommen, weil sie mit jemandem hier verheiratet sind oder um hier zu studieren. Diejenigen, die wegen der Arbeit kommen, sind hoch qualifiziert und keine Gastarbeiter. Deshalb sind das alles Placebo-Debatten.
Welche Debatte müsste denn geführt werden?
Wir haben ein Problem mit der Organisation des Sozialstaates und dem Missbrauch von Sozialleistungen. Das zweite Problem ist die verkrampfte Streitkultur, dass wir kaum über Islam und Migration reden können, ohne Emotionalität, Stimmungsmache und dem Beleidigtsein von Muslimen. Und drittens müssen wir die Identitätskonzepte, die dieses Land bietet, diskutieren.
Angeblich schotten sich die Muslime in Deutschland immer mehr ab.
Das stimmt – und es muss noch mehr muslimische Intellektuelle geben, die diese Entwicklung kritisieren. Wir können die deutsche Politik nicht für alles verantwortlich machen. Das ist unfair. Integration ist in erster Linie eine persönliche Entscheidung.
Warum entscheiden sich dann so viele dagegen?
Herr Sarrazin wurde sehr heftig dafür kritisiert, dass er von einem Mangel an Intelligenz sprach. Aber ich bescheinige in der Tat vielen Türken und Arabern, die hier leben, einen Mangel an Intelligenz – allerdings nicht an genetisch bedingter Intelligenz, sondern an sozialer Intelligenz. Sie wird geschult durch Erfahrung und wird gemindert durch Abschottung und Isolation. Dass viele Migranten eine moralische Mauer zwischen sich und der deutschen Gesellschaft aufbauen, hindert ihre Kinder daran, sich mit dem Land zu identifizieren, von seinem Wissen zu profitieren – und von seinem Wohlstand.
Warum mauern sich die Muslime denn ein?
Viele haben leider Gottes ein Gefühl der moralischen Überlegenheit. Das heißt, sie halten sich für moralischer als die westliche Kultur, die viele als dekadent ansehen und als übersexualisiert. Manche Familien haben Angst, wenn ihre Kinder intensiver in Kontakt mit dieser Gesellschaft kommen, dass sie auch dekadent oder unmoralisch werden – vor allem, wenn es um junge Mädchen geht. Da haben die Eltern Angst, dass diese Mädchen womöglich einen deutschen Freund haben oder gar ihre Jungfräulichkeit verlieren könnten – ein Albtraum für jemanden, der aus einer patriarchalischen Kultur kommt. Da vermischen sich alte Stammesstrukturen mit der Religion.
In Ihrem Buch schreiben Sie, die Muslime schließen sich in der Fremde zusammen, weil der Islam dem Untergang geweiht ist.
Der Islam kann keine Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts bieten. Viele Menschen versuchen, das zu vertuschen oder zu verdrängen, indem sie noch mehr religiöse Symbole an die Öffentlichkeit zerren und noch lauter schreien.
Sind Muslime besonders schwer zu integrieren?
Ja – und dieses Problem ist kein rein deutsches, wir haben es auch in England, Holland, Dänemark und Schweden, überall in Europa. Das hat damit zu tun, dass die meisten Muslime hier bildungsfern sind, weil sie aus Dörfern in Anatolien, Pakistan oder Marokko gekommen sind. Aber auch die Religion hindert manche Leute daran, in dieser Gesellschaft anzukommen. Weil auch Teil dieser Religion ist – vor allem, wenn man sie fundamentalistisch auslegt – dass die Welt aus Gläubigen und Ungläubigen besteht. Diese Geisteshaltung gibt es in der Tat auch unter einigen Migranten hier und das ist diese geistige Mauer, von der ich bereits gesprochen habe.
Sie haben in München gelebt. Sind die Muslime hier besser integriert als in anderen deutschen Städten?
Verglichen mit Berlin oder Duisburg haben Muslime in München natürlich weniger Schwierigkeiten. In München ist zum Beispiel die Arbeitslosigkeit unter Muslimen geringer, weil sie generell gering ist. Sie scheinen tatsächlich besser integriert zu sein – vielleicht auch, weil man in Bayern, was die eigene Identität angeht, ein bisschen sicherer ist, als anderswo in Deutschland. Ich glaube, es tut den Migranten gut, wenn nicht alles Wischiwaschi und Multikulti ist. Dieses bayerische „Mia san mia“ ist eine gute Orientierung.
Interview:
Natalie Kettinger
- Themen:
- Arbeitslosigkeit
- Horst Seehofer