AZ-Serie: Ich bin ehrlich, bis es weh tut
Sie versucht, ihren Kindern Werte zu vermitteln – und steht zu ihren eigenen Schwächen: Christine Haderthauer, bayerische Sozialministerin, erzählt in der neuen AZ-Serie "Was mir wichtig ist" sehr offen über ihr Leben
Gell, Mama, wir heiraten uns mal“, sagte mein heute 22-jähriger Sohn, als er vier war. Daran und an vieles mehr habe ich mich kürzlich bei der Hochzeit seiner drei Jahre älteren Schwester erinnert. Sie ist wohl der Grund, warum ich mit meinem Mann eine so lange glückliche Ehe führe. Wäre ich nicht schwanger gewesen, hätten wir uns eventuell mit dem Heiraten noch Zeit gelassen, erst unseren Doktor gemacht, dann hier was, da was… Dieses kleine Wunderwesen hat uns total zusammen geschweißt.
Die zwei winzigen Zimmer in einem Studentenheim – es war so eng, dass wir Wohnungs- und Backofentür nicht gleichzeitig aufmachen konnten – waren unser Castle. Wir waren glücklich, weil wir gemeinsam die Situation Elternschaft und Studium gemeistert haben. Und merkten, dass es nicht nur „irgendwie ging“, sondern ein wunderbares Glück war.
Wir wollten von Anfang an entschieden beide persönlich unsere Kinder ins Leben begleiten. Dadurch, dass wir ein Team bildeten, haben wir geschafft, was einer allein nicht geschafft hätte. Damals waren wir Trendsetter. Heute gibt es mehr engagierte Väter, aber noch zu wenige Mütter, die ihren Mann fragen: „Beruf und Kinder, wie willst du das mit mir gemeinsam leben?“
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Sein Ding ist mein Ding und mein Ding ist sein Ding, das ist das Geheimnis der Nähe zwischen meinem Mann und mir. Mein Mann und ich sind eng verbunden und dann auch wieder total verschieden. Deshalb sind wir noch heute so fasziniert voneinander. So bleibt für mich nach einem geselligen Abend mit Freunden, die Erinnerung daran, was gesprochen wurde, wie die Stimmung war. Für meinen Mann, den Sinnenmensch und Kochkünstler, zählt, ob der Tisch schön gedeckt war, ob der Wein passte und wie das Essen geschmeckt hat. Letztlich ergänzen wir uns: Die Gespräche sind anders, wenn das Essen nicht schmeckt. Alles ist Teil der Kultur des Miteinanders.
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Unseren Kindern haben wir immer vermittelt: „Ihr seid einzigartig, aber wir lieben euch zu sehr, um euch alles machen zu lassen, was ihr wollt.“ Bei den Gummibärchen an der Supermarkt-Kasse haben sie das nicht immer verstanden. Ich habe sie an vielem teilnehmen lassen, was mich bewegte, auch mal an eigenen Schwächen. Es war und ist immer ein Miteinander. Sie haben immer gespürt, dass sie uns unendlich bereichert und fasziniert haben.
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Auch in der Gesellschaft entstehen Werte doch nur dadurch, dass wir sie täglich leben. Das schafft Verbundenheitsgefühl. Leider ist unsere satte Zeit oft von einer hemmungslosen Selbstgerechtigkeit geprägt. Kaum einer fragt zuerst nach seinem Beitrag, es sind immer die anderen schuld.
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Ich neige eher zum Gegeneil, bin mit mir ehrlich bis zur Schmerzhaftigkeit, aber nicht nur mit mir. Da bringe ich mich dann schon mal in unangenehme Situationen. Dazu kommt, dass ich sehr direkt kommuniziere, und wenn ich nicht aufpasse, mit anderen nicht feinfühliger umgehe als mit mir selber. Das wirkt dann oft viel dominanter, als es gemeint war.
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Wie wichtig die Rituale der Macht in männerdominierten Bereichen sind, erlebe ich täglich. Da gelten dann Kriterien, die nicht immer mit Leistung zu tun haben, aber viel zu der ungeschriebenen Männerquote beitragen – ein Grund, warum ich für die Frauenquote werbe!
Die starken Frauen, die daheim zwei, drei Kinder groß gezogen und den Haushalt geschmissen haben, die gleichzeitig Psychotherapeuten, Buchhalterin, Ärztin und Managerin ihrer Familie sind, verdienen genauso große Wertschätzung wie jemand, der im Büro auf dem Chefsessel sitzt. Ideelle Wertschätzung allein hilft diesen Frauen wenig, wenn sie in die Altersarmut fallen. Der Wert von Familienarbeit findet sich nicht genügend in unseren Sozialversicherungssystemen wieder. Irgendwie haben wir Deutschen offenbar immer noch ein sehr unentspanntes Verhältnis zur „Familie“! Für mich ist das der Hauptgrund für die niedrigen Geburtenraten. Kinder kann man sich nicht mit Steuergeldern kaufen, Kinder muss man sich wünschen!
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Das wird in unserer Gesellschaft, wo alles, was man nicht für Geld kaufen kann, ins Hintertreffen gerät, gern verdrängt. Dafür orientiert sich die junge Generation wieder mehr an Werten. Das erlebe ich in vielen Gesprächen – als Politikerin wie als Mutter. Und viele Kids sehnen sich nach den Grenzen, die wir in ihrem Alter sprengen wollten. Gerade die, die sich im Internet bis zum Exhibitionismus „persönlich erlebbar“ machen, tun das doch oft, um „persönlich“ zu werden, um die Wärme zu finden, die in der globalen Welt des www immer mehr verschwindet.
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Einen besonderen Zugang zu mir hat die Musik. Ich hab so lange Jahre selber musiziert, dass ich irgendwie innerlich immer Musik höre, auch wenn ich daheim nicht mehr Klavier und zu wenig Geige spiele. Bei Bach richten sich die Gedanken aus, bekommen Struktur und Ordnung. Mozart dagegen „digitalisiert“ mich. Der verschränkt meine beiden Gehirnhälften, ist am besten für meine Kreativität. Ich höre aber auch Whitney Houston und Robbie Williams und singe in diesen Tagen natürlich „White Christmas“ mit. Das liegt, wie meine Kinder sagen, an meinem zuweilen kitschigen Pop-Geschmack.
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Bei Konsumgütern funktioniert das „Weil ich’s mir wert bin“-Knöpfchen auch bei mir. Ich bin ein Taschen-Freak und liebe Seidentücher und Pashminas. Einen Schuhtick habe ich nicht – ich brauche Schuhgröße 43 und bin froh über jedes Paar, dass ich finde.
Aufgezeichnet von
Renate Schramm
Was ist wirklich wichtig? Wofür lohnt es sich zu kämpfen? In der Hektik des Alltags gehen solche Fragen meistens unter. Weihnachten und Jahresende sind für viele Menschen der Anlass, um über ihr Leben nachzudenken. In der AZ erzählen Münchner Persönlichkeiten offen von sich – und darüber, was ihnen am Herzen liegt. Fotograf Hans-Günther Kaufmann setzte sie sehr persönlich in Szene.