AZ-Interview: Umbruch zum 30. Geburtstag

Am 10. November 1985 wurde der Gasteig im Beisein von Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und 2400 geladenen Gästen mit einem Festkonzert der Münchner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache eröffnet. Jetzt, zum 30. Geburtstag, ist eine Generalsanierng beschlossen. Aber was heißt das für den Bau und ein notwendiges Ausweichquartier? Und was bedeutet der neue Sparkurs der Stadt für die Kulturförderung und Großprojekte?
AZ: Herr Küppers, es gibt das Kulturreferat der Stadt, den „Kultur“-Bürgermeister Josef Schmid und die Geschäftsführerin des Gasteigs, Brigitte von Welser. Ist man bei Ihnen überhaupt an der richtigen Adresse, wenn es um die Zukunft des Gasteigs geht?
HANS-GEORG KÜPPERS: Ja, weil der Gasteig zwar von der Geschäftsführung verwaltet und vom Referat für Arbeit und Wirtschaft betreut wird, aber wesentlich von dem lebt, was wir als Kulturreferat dort anbieten. Das beginnt bei der Stadtbibliothek, die im Jahr 900 000 Besucher hat, die Volkshochschule zieht 70 000 Kursteilnehmer dorthin und unsere Philharmoniker rund 200 000 Zuhörer. Und dann haben wir das Filmfest München, das Klangfest, das Literaturfest mit der Bücherschau, das Dance Festival, die Biennale für zeitgenössische Musik oder Spielart. Die Hochschule für Musik und zahlreiche Veranstalter sorgen ebenfalls für Programm.
Sie machen so etwas wie eine Leistungsschau. Aber der Stadtrat hatte gerade beschlossen, den Gasteig zu sanieren, als die Nachricht kam: Die Stadt hat plötzlich viel weniger Geld als erwartet. Da ist doch ein Konflikt.
Das sehe ich nicht. Der Grundsatzbeschluss zur Sanierung bleibt, angesetzt ist diese ab 2020. Wenn ein Stadthaushalt aus dem Ruder läuft, sind zwar alle Bereiche betroffen. Aber die Politiker sehen auch: Mit einem Kulturhaushalt, der nur 3,1 Prozent des Stadthaushaltes ausmacht, kann man keinen Gesamtetat sanieren. Wir genießen einen besonderen Schutz, weil Kultur gerade in einer Kunststadt wie München einer der zentralen Standortfaktoren und sehr entscheidend auch für die Stadtentwicklung ist.
Ist es nicht ein Widerspruch, dass die Stadt München gerade erst hunderte neuer Stellen in der Verwaltung geschaffen hat und jetzt merkt: Hoppla, wir haben ja weniger Geld als gedacht.
München ist eine wachsende Stadt. Und das muss sich auch im Personal der Stadtverwaltung widerspiegeln. Wir im Kulturreferat haben 14 neue Stellen bekommen. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn die Monacensia saniert und neu strukturiert wird und sich weiter für die Bevölkerung öffnen soll, dann braucht das eben auch mehr Personal. Und ein großes Thema der Zukunft ist die Kunstvermittlung. Das kann man nicht nur nebenher machen, dafür benötigen wir zusätzlich Fachleute.
Lesen Sie hier: Konzertsaal-Debatte: Der Charme des Unfertigen
Wenn die Gasteigsanierung grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, könnte aber bei der Art der Sanierung jetzt der Rotstift kommen.
Nein, weil sich da alle einig sind, dass es zu kurz gesprungen wäre, nur das Allernötigste zu machen. Der Gasteig soll ja ein Kulturzentrum für die Zukunft werden. Das heißt zum Beispiel: Architektonisch muss der Konzertsaal vielseitiger werden. Auch Bibliotheken haben heute eine andere Aufgabe, als nur Bücher zu verleihen. Sie sind multimediale Kommunikations- und Lernorte. Das gilt auch für die Räume der Volkshochschule. Dass man dabei das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben kann, weiß ich als Kulturreferent besonders gut.
Wenn Veranstaltungen im „Vortragssaal der Bibliothek“ stattfinden, klingt das nicht nur unsexy, sondern spiegelt auch noch das alte Bildungsverständnis des Frontalunterrichts. Da könnte man doch mal einen neuen Namen suchen.
Ja, das klingt altbacken. Es geht aber nicht nur um Namen, sondern um zeitgemäße Strukturen. Früher standen die Menschen am ersten Tag der Anmeldungen bei der Volkshochschule bis zum Müllerschen Volksbad, heute melden sie sich online an.
Wenn ab 2020 der Gasteig saniert wird, braucht man ein Ausweichquartier. Warum sucht man erst seit kurzer Zeit nach Ersatz?
Ich trage da eine gewisse kreative Unruhe in mir, aber ich bin nicht nervös. Wir reden von einem Zeitraum von gut fünf Jahren, es geht um die Saison 2020 / 2021. Dafür suchen wir. Aber ich werde jetzt keine Optionen nennen, weil die dann sofort zerredet werden. Das bereits diskutierte Kulturkraftwerk in Aubing ist eine Möglichkeit für ein Ausweichquartier. Ich werde voraussichtlich Mitte 2016 mehr zu den Übergangslösungen sagen können. Ich habe natürlich auch mit den privaten Veranstaltern gesprochen, für die dieser Vorlauf ebenso genügt.
Warum bekommt der Gasteig eigentlich selber keinen Programm-Etat, um ein eigenes kulturelles Profil zu bekommen?
Wir sind der Meinung, der Gasteig sollte vor allem ein guter Dienstleister für die Institute vor Ort sein und Veranstalter, die den Gasteig bespielen wollen.
Aus der freien Szene ist oft zu hören, das Kulturreferat fördere einseitig. Um Geld zu bekommen, müsste man – satirisch gesagt – ein avantgardistisches Dance-Stück vorschlagen mit dem Titel „Hänsel und Gert in Theresienstadt“ und das dann mit Migranten inszenieren.
Das klingt provokativ und ist so sicherlich nicht haltbar. Fakt ist: Wir haben Jurys, die über die Vergabe von Fördermitteln entscheiden. Der Vorwurf, es muss immer „innovativ“ sein und „avantgardistisch“, damit Geld fließt, stimmt nicht: Wir haben in der Tanz- und Theaterförderung die Anforderung „innovativ“ gestrichen, weil man dies nicht krampfhaft verordnen kann.
In wieweit mischen Sie sich eigentlich in die Programme und Arbeit der von Ihnen geförderten Institutionen ein?
Bei mir gilt nicht: Wer zahlt, schafft an. Ich denke, dass die Geförderten selbst in der Lage sind, ihre künstlerische Ausrichtung gut, klug und kreativ zu entwickeln. Ich bin auch bisher noch nicht enttäuscht worden. Wir sind keine Besserwisser, die oben drüber sitzen und sagen wo’s lang geht. Was das Kulturreferat anregt, sind Themen, die uns wichtig sind: Inklusion beispielsweise oder die interkulturelle Öffnung. Das muss man nicht künstlich aufblasen, aber natürlich sollte Kultur gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren. Dazu gehört die Frage, was brauchen all die Menschen, die hier leben, und was können wir von ihnen lernen. Diese Prozesse entwickeln wir mit den Kulturinstitutionen und freien Szenen. Dabei ist mir bewusst: Utopien sind immer größer als unser Etat. Daher muss man diskutieren und schauen, was wichtig ist und was geht.