AZ-Interview: München rechts außen
AZ: Frau Heigl, wie groß ist die rechte Szene in München?
MIRIAM HEIGL: Der harte Kern – also beispielsweise Neonazis, die auffällig geworden sind oder vor Gericht standen – besteht aus rund 200 Leuten. Personen, die nicht unbedingt an der Spitze des Arbeitsmarktes stehen und teils aus schwierigen Familienverhältnissen stammen. Bei den Strippenziehern im Hintergrund ist das teilweise anders. Aber ich glaube nicht, dass man den Kern des Problems mit dieser Zahl richtig erfasst. Man muss eher schauen, was sich im Bereich „modernisierter Rechtsextremismus“ und des Rechtspopulismus entwickelt.
Was verstehen Sie darunter?
Es gibt eine rasante Entwicklung neuer Feindbilder und neuer Ausgrenzungsmechanismen in unserer Gesellschaft. Mit der klassischen Herangehensweise „Wer hat wie viele Straftaten begangen und was sagt uns das über die Bedeutung des rechten Randes?“ kommen wir da nicht allzu weit. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft im Auge haben und uns fragen: Welche Feindbilder sind anschlussfähig?
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Welche Feindbilder sind das?
Die LMU hat 2013 eine Studie zu Einstellungsmustern veröffentlicht, die wir in Auftrag gegeben hatten. Dabei zeigte sich, dass 51 Prozent der Münchner Bevölkerung stark oder mittelstark muslimenfeindlich eingestellt sind – da hilft nur Aufklärung und Begegnung. Bedient werden diese Ressentiments von Organisationen des islamfeindlichen Spektrums, die sich auch im Bagida-Umfeld bewegen: der bayerische Landesverband der Partei „Die Freiheit“, die Bürgerbewegung „Pax Europa“ oder Internet-Seiten wie „DeusVult“, die sich im Titel auf den Schlachtruf der Kreuzritter bezieht. Das macht das Feld deutlich größer, wenngleich es sich zahlenmäßig schwer benennen lässt, weil sich die islamfeindliche Szene vor allem im Internet artikuliert. Was wir aber wissen, ist, dass wichtige Protagonisten aus München kommen.
Wer sind diese Münchner Hauptakteure?
Einer davon ist Michael Stürzenberger, der Bundesvorsitzende der „Freiheit“. Auch der Betreiber von „DeusVult“, ist bei Bagida mitgelaufen. Das ist jemand, der schon lange sehr aktiv ist. Daneben gibt es noch weitere Personen, die in letzter Zeit sehr aktiv sind.
Personen wie Birgit W., die Anmelderin der Bagida-Kundgebungen?
Ja, aber auch einige andere.
Was treibt diese Menschen an, die ja oft schon älter sind?
Wenn man sich die Studien zu Einstellungsmustern anschaut, sieht man, dass es einen Alterseffekt gibt: Angst vor oder Ablehnung von Minderheiten sehen wir relativ stark bei jungen Menschen. Dann folgt anscheinend eine biografische Phase, in der man offener und toleranter ist, und dann – vielleicht mit zunehmender Existenzangst, mit Gebrechlichkeit und Altersdiskriminierung, die es in unserer Gesellschaft ja ebenfalls gibt – nimmt die Ablehnung wieder zu. Früher dachte man: Irgendwann sterben die ganzen alten Nazis aus und dann haben wir kein Problem mehr. Aber dem ist nicht so. Deshalb müssen wir auch Präventionsprogramme für Menschen mittleren und älteren Semesters entwickeln.
Das heißt: Der typische Rechtsaußen ist heute nicht mehr der Neonazi mit Glatze?
In München auf keinen Fall. Das liegt auch daran, dass der Konformitätsdruck hier enorm ist. Man kann in München nicht so leicht nach dem Äußeren gehen, nach Springerstiefeln und Bomberjacke, und die Leute danach einordnen. Deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass es starke Ablehnungsmuster gibt, die aber bei ganz bürgerlichen, gebildeten Leuten vorkommen. Gerade Islamfeindlichkeit steht in keinerlei Beziehung zum Bildungsniveau.
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Sind die „neuen Rechten“ so gefährlich wie die alten?
Ja. Islamfeindlichkeit ist im Moment das Verbindungsglied zwischen der Mitte der Gesellschaft und dem rechten Rand. Klassische Rechtsextreme argumentieren inzwischen ja auch gerne kulturalistisch, setzen also den Kulturkreis, aus dem jemand kommt, mit einem biologischen Merkmal gleich, wobei dann derselbe Rassismus greift wie gehabt. Dass die NSU-Morde größtenteils an Türken verübt wurden, war kein Zufall – es ging auch darum, dieses neue Feindbild, das in der Mitte ebenfalls hoffähig ist, von rechts außen zu bedienen.
Pro Asyl und die Amadeu-Antonio-Stiftung haben 2014 deutschlandweit 153 Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte und 77 Fälle von tätlicher Gewalt gegen Flüchtlinge gezählt. Waren darunter auch bayerische Fälle?
Die meisten Übergriffe gab es in NRW, gefolgt von Sachsen – und Bayern. Da waren die Hakenkreuz-Schmierereien und der Brandanschlag im nordbayerischen Vorra, wo eine Asylbewerberunterkunft eröffnet werden sollte. Es gab das Feuer in der Asylbewerberunterkunft in Germering, das bis heute nicht aufgeklärt ist. Und erst vorletzte Woche wurde das Zelt der Flüchtlinge am Stachus umgerissen. Auch in diesem Fall ist zwar der Täter noch nicht gefasst – aber fest steht, dass die Flüchtlinge sich bedroht fühlten.
Der Münchner Stadtrat hat vor einiger Zeit beschlossen, eine Opferberatung einzurichten, die demnächst ihre Arbeit aufnimmt.
Ja, für Opfer rassistischer und rechtsextremer Gewalt. Dazu muss man wissen, dass die offizielle Statistik meist nur die Hälfte aller Fälle zeigt, die von einer zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstelle erfasst würden. Subjektiv habe ich ebenfalls das Gefühl, dass sich die Bedrohungslage verschärft hat.
Warum?
In den letzten zwei Jahren hat es in München immer wieder Angriffe auf Gebäude von Organisationen und Personen gegeben, die sich entweder für Flüchtlinge einsetzen oder im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess Position beziehen. Hinzukommen tätliche Angriffe im öffentlichen Raum, bei denen davon auszugehen ist, dass sie rassistisch motiviert waren. Und: Die Bezirksausschuss-Beauftragten gegen Rechtsextremismus werden zum Teil mit Drohungen überzogen. Gerade gibt es wieder einen aktuellen Fall, den wir zur Anzeige gebracht haben. Was ich damit sagen will: Ich glaube, es geschieht mehr, als man anhand der offiziellen Statistik sehen kann.
Auf den Facebook-Seiten von Pegida oder Bagida findet man immer wieder Drohungen. Wie beurteilen Sie das?
Das Strafrecht gilt auch im Internet. An uns von der Fachstelle wenden sich viele Menschen, die sich im Netz angegriffen oder angegangen fühlen – zum Beispiel durch Hassmails – und die nicht genau wissen, wie sie reagieren sollen. Wir raten in allen Fällen, in denen wir auch nur das Minimum einer Chance sehen, dazu, Anzeige zu erstatten, weil wir es wichtig finden, dass diese Bedrohungslagen, die häufig auch strafrechtliche Relevanz haben, in die offizielle Statistik eingehen.
Hat das Aufkommen von Pegida das Problem verschärft?
Man muss schon davon ausgehen, dass so was wie diese Mobilisierungen durch Pegida Rechtsextremisten in ihrem Handeln bestärkt und diese versuchen, sich an diese Bewegung ranzuhängen oder sie für sich zu nutzen.
Inwiefern?
Ein Charakteristikum von rechtsextremer und rassistischer Gewalt ist, dass sie spontan im öffentlichen Raum ausbricht. Weil das Gegenüber die falsche Sprache spricht, die falsche Hautfarbe hat, die falsche Herkunft, die falsche sexuelle oder politische Orientierung – was auch immer. Weil diese Form von Gewalt nicht berechenbar ist, verunsichert sie die Menschen sehr stark und strahlt zudem auf die Communities aus, aus denen die Opfer kommen. Das ist ja das Ziel einer solchen Gewalttat. Da geht es nicht darum, den Einzelnen zu treffen. Es geht darum, der gesamten Community zu signalisieren: Wir wollen euch hier nicht, fühlt euch unsicher, geht! Das sieht man auch an den NSU-Morden: Diese Morde waren eine Message an ganze Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Zugleich ist es so, dass sich rechtsextreme Gewalttäter häufig als Ausführende des Mehrheitswillens sehen – dass sie davon ausgehen, dass sie tun, was viele Leute gut finden und gerne hätten.
Bei Bagida laufen jeden Montag weniger Anhänger mit. Wie erklären Sie sich das?
Die Zahl der Neonazis bleibt konstant, es bröckelt eher im Umfeld. Vermutlich liegt das daran, dass es Leute gibt, die nicht unbedingt Seite an Seite mit verurteilten Rechtsextremisten durch die Stadt laufen möchten. Leute, die gesehen haben, dass Bagida eben nicht die Mitte der Gesellschaft repräsentiert. Und sicher hat auch die engagierte Gegenwehr der Münchnerinnen und Münchner gewirkt. Aber man muss trotzdem sagen: Aufmärsche mit einer so großen Beteiligung von Neonazis hatten wir seit Jahren nicht mehr in München. Selbst wenn da irgendwann „nur noch“ 150 Neonazis stehen, ist es ein verhältnismäßig großes Problem für diese Stadt, wenn solche Aufmärsche Woche für Woche stattfinden.