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"Als ob du die ganze Menschheit tötest": Was in Münchens Moscheen wirklich gepredigt wird

Ein Gericht hat das pauschale Verbot von Palästina-Demos in München gekippt. Die AZ erklärt die Lage und blickt auf das Wochenende.
von  Hüseyin Ince
Freitagsgebet an der Schanzenbachstraße, in einer der fünf Ditib-Moscheen Münchens. Bei der Predigt wird der en-Neml-Vers zitiert, der für das Gebot der körperlichen Unversehrtheit steht.
Freitagsgebet an der Schanzenbachstraße, in einer der fünf Ditib-Moscheen Münchens. Bei der Predigt wird der en-Neml-Vers zitiert, der für das Gebot der körperlichen Unversehrtheit steht. © Hüseyin Ince

Sendling - Es ist voll im muslimischen Gebetshaus der Ditib an der Schanzenbachstraße. Um 13.05 Uhr wird pünktlich zum Gebet gerufen. Schon lange vorher versammeln sich die Männer, um den Worten des dortigen Imam zuzuhören. Das ist türkischen Moslems wichtig, wenn auf Türkisch und auch Deutsch aus dem Koran zitiert und erklärt wird. Schließlich steht darin alles auf Arabisch, was kaum einer kann.

Viele Münchner Muslime haben sich für das heilige Freitagsgebet extra Zeit genommen, Jung und Alt, eine verlängerte Mittagspause ist es häufig. Aber es sind auch viele Rentner da, Männer, die in Deutschland lange gearbeitet haben, auf dem Bau, in gastronomischen Großküchen, am Fließband bei BMW oder in anderen Fabriken. Einige von ihnen beten sitzend auf Hockern, weil ihr Körper das Abknien und wieder Aufstehen nicht mehr mitmacht.

Freitagsgebet in Münchner Moschee: Der Imam und die Gemeinde sind gedanklich beim Nahost-Konflikt

Schon vor dem Gebet zitiert der Imam eine Sure aus dem Koran, die auch als "Ameisensure" bekannt ist. Sie deutet auf das hohe Gebot der körperlichen Unversehrtheit. Die Gemeinde hört gebannt zu. Darin heißt es: "Geht in eure Nester, damit Salomon und sein Heer euch nicht unbemerkt zerquetschen!" Eine Szene aus dem Feldzug des heiligen Salomon. Heißt also, sogar in Kriegszeiten haben Männer wie Salomon darauf geachtet, dass unschuldiges Leben geschützt wird – sogar das von Ameisen.

"Tötest du einen Unschuldigen, ist das, als ob du die ganze Menschheit tötest. Rettest du ein Menschenleben, ist das, als ob die ganze Menschheit rettest", zitiert der Imam. Gedanklich sind alle spätestens jetzt im aktuellen Nahost-Konflikt, ausgelöst durch den blutigen Hamas-Terror vom 7. Oktober. Die Anspielung ist klar. Man solle und müsse dafür einstehen, egal von welcher Seite, unschuldiges Leben zu schützen, auch in komplizierten Zeiten und Konflikten. Als der Imam der Gemeinde während des Hauptgebetes die Kanzel betritt, wiederholt er seine Worte.

Religionsfreiheit ist ein wichtiges Gut im Islam, mahnt der Münchner Imam

"Wir verurteilen alle Arten von Angriffen auf Zivilisten, Frauen, Kinder, ältere Menschen, Patienten in Behandlung und medizinisches Personal, dessen einziges Ziel es ist, Menschen am Leben zu erhalten, unabhängig davon, wer die Täter sind", predigt der Imam.

Und er ergänzt, es gelte, auch unbedingt, alle Gebetshäuser zu schützen, egal ob Kirchen, Synagogen oder Moscheen. Denn auch Religionsfreiheit sei ein hohes Gut im Islam. Am Ende ruft er dazu auf, für alle unschuldig Verstorbenen im Nahen Osten zu beten – und für einen baldigen Frieden sowie einem Ende des Blutvergießens.

Nach Treffen mit OB Dieter Reiter: Muslimische Gemeinden in München werden Friedensgebet abhalten

Einer der Initiatoren für diese Grundstimmung ist der Vorstand des Münchner Forums für Islam, Benjamin Idriz. Der Imam aus Penzberg wirbt in diesen unruhigen Zeiten für Mäßigung und Besonnenheit. Er traf kurz vor dem Freitagsgebet Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Drei weitere von insgesamt 13 Vertretern muslimischer Gemeinden Münchens begleiteten ihn.

Und nun steht fest: Es wird ein Friedensgebet oder eine Mahnwache geben. So hieß es in einer Presseerklärung aus dem Büro von OB Reiter. Datum und Ort stehen dafür noch nicht fest und werden wohl in den nächsten Tagen ermittelt.

KVR verbietet Autokorso für Palästina von umstrittener Gruppe

Idriz drängte regelrecht in der vergangenen Woche auf dieses OB-Treffen. Hintergrund ist, dass die Gruppe Samidoun am Samstag eine unangemeldete Palästina-Demo samt Autokorso in der Münchner Innenstadt plant, "mit Hunderten Autos", wie sie in Sozialen Netzwerken wirbt. Die Versammlung wurde bislang beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) nicht angemeldet. Idriz sieht ein Risiko. "Wir wissen nicht, wer dahintersteckt und was die Gruppe vorhat", sagte er in einem Gespräch am Donnerstag.

Tatsächlich hat das KVR die Versammlung von Samidoun am Freitagabend per Allgemeinverfügungverboten, obwohl ein Gericht per Eilverfahren entschied, dass diese Praxis bei einer Pro-Palästina-Demo vom Donnerstagabend nicht zulässig sei und das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit zu stark beeinträchtige.

Münchner Muslimrat will "intensiven Dialog mit der jüdischen Gemeinde pflegen"

Eine erhebliche Gefahr für den Straßenverkehr sei das. Zudem hat man bei der Gruppe Samidoun grundsätzliche Bedenken: "Für diese Organisation wird aktuell ein Verbot geprüft und sie steht in Zusammenhang mit Versammlungen im gesamten Bundesgebiet, die unfriedliche Verläufe genommen haben".

Die muslimischen Gemeinden Münchens jedenfalls setzen auf Dialog. Das zeigt auch ein kurzes Gespräch mit Aykan Inan nach dem Freitagsgebet an der Schanzenbachstraße. Er war früher Sprecher der Ditib und ist heute der Beauftragte für interreligiösen Dialog im Münchner Muslimrat. Er ist in regelmäßigen Gesprächen mit der jüdischen Gemeinde. "Gerade in diesen schwierigen Zeiten sollten wir einen intensiven Dialog mit der jüdischen Gemeinde pflegen", sagt er, "wir sind alle Münchner und können für die Stadt etwas Gutes tun."

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