Awo: Immer mehr Berufstätige werden obdachlos

Im Landkreis München suchen viele Menschen vergebens nach einer Wohnung.
von  Sophie Anfang

München - Wohnungssuche im Landkreis München, das sei inzwischen eine Glückslotterie, sagt Stefan Wallner von der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Wallner kennt sich aus, seit acht Jahren arbeitet er für die Wohnungsnothilfe der Awo. Immer wieder gelingt es seinen Kollegen und ihm, eine Bleibe für Obdachlose zu finden oder Menschen davor zu bewahren, ihre Wohnung zu verlieren. Aber der Markt in und um München ist hart – und die Spielräume werden enger.

2323 Menschen, darunter 720 Kinder, waren im vergangenen Jahr von Obdachlosigkeit bedroht und wendeten sich an die Awo. In 74 Prozent der Fällen konnte ihnen geholfen werden.

Eines der Angebote ist die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit, kurz FOL, die hilft, wenn der Wohnungsverlust droht. Dies kann durch einen Jobverlust ausgelöst worden sein oder ein privates Erlebnis, durch das das Leben aus den Fugen gerät. Betroffene zahlen erst die Miete nicht mehr, öffnen die Post mit den Mahnungen nicht – bis der Gerichtsvollzieher kommt.

„Oft rufen die Leute erst dann bei uns an und rufen: Hilfe!“, sagt Max Wagmann, Vorsitzender der Awo München-Land. Die Mitarbeiter der FOL versuchen, Betroffene wieder auf die Spur zu bringen, ihnen zu helfen, ihr Leben zu ordnen und sich mit dem Vermieter zu einigen. Das sind 83 Prozent der Fälle.

Bei den restlichen Beratungen haben die Betroffenen schon gar kein Obdach mehr und suchen nach einer Bleibe.

 

Männlich mit Alkoholproblemen? Ein veraltetes Klischee!

 

Es gibt das Klischee des Obdachlosen, meist Männer mit Alkoholproblem. Doch dieses Bild trifft in München oft nicht mehr zu. Mehr als die Hälfte derjenigen, die bei der Awo Hilfe suchen, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Fast zwei Drittel der Betroffenen, mit denen die Awo in Kontakt kommt, sind zwischen 26 und 65 Jahre alt. Der Jobverlust liegt meist nicht lange zurück.

Bei kostenlosen Workshops lernen Wohnungssuchende, wie sie sich vor Vermietern präsentieren können. Dazu gehört: Statt zu sagen „ich beziehe Hartz IV“ besser zu betonen „ich habe 27 Jahre als Schreiner gearbeitet, suche aber derzeit eine neue Arbeit“.

 

Grundlage ist der mangelnde Wohnungsbau

 

Mit der Wohnungssuche tun sich auch Menschen schwer, von denen man es gar nicht erwartet. „Ich berate eine Familie, die Eltern sind Augenoptiker und haben 4100 Euro im Monat“, berichtet Wallner. Sie finden trotzdem keine Wohnung: „Weil sie einen ausländischen Namen haben.“

Die Situation verschärft sich. Das Grundlegende ist der mangelnde Wohnungsbau. „Wenn ich ein Grundstück habe, dann baue ich morgen“, sagt Awo-Chef Wagmann. Aber die Gemeinden im Landkreis verkauften keine Grundstücke. Es gebe dahingehend „nur die Absicht auf den Lippen“, aber nichts Konkretes, kritisiert er.

Dazu kommt, dass immer mehr anerkannte Asylbewerber Wohnungen suchen, weil sie aus Gemeinschaftunterkünften rausmüssen. „Diese Spannung ist vorhanden“, sagt Wallner. Man muss wenig an mehr Menschen verteilen. Seine Lösung ist pragmatisch: „Für uns sind alle Klienten Bürger des Landkreises München.“ Man behandle alle gleich – ob Alteingesessener oder Neuankömmling.

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