Aventinus-Buam: "Wiesn ist Kindergarten dagegen"

Jeden vierten Freitag treffen sich die zwölf Männer zum Ratschen und Trinken im Tal. Für den Wirt sind sie ein Segen. Nicht nur wegen des Umsatzes
von  Katharina Pfadenhauer
In Aktion: Die Buam prosten sich auf ihr 30-jähriges Jubiläum zu.
In Aktion: Die Buam prosten sich auf ihr 30-jähriges Jubiläum zu. © Sigi Müller

 

Jeden vierten Freitag treffen sich die zwölf Männer zum Ratschen und Trinken im Tal. Für den Wirt sind sie ein Segen. Nicht nur wegen des Umsatzes

München Hari schlingt seine Schenkel um Tommls Hüfte. Mit den Händen stützt er sich am Boden ab. Aus dem Schubkarrenstand schiebt er seinen Oberkörper kraftvoll und kopfüber zwischen Tommls Beinen hindurch. Vor ihren Gesichtern haben jetzt beide jeweils den Hintern des Anderen. Die Nähte ihrer Lederhosen sind dem Reißen nahe.

Derart ineinander verschlungen stehen sie auf einem Holztisch im Münchner Traditionsgasthof, dem Weissen Bräuhaus. Tomml bringt den Tisch durch das Aufstampfen mit seinen kräftigen Beinen zum Beben. Mit Hari zwischen seinen Schenkeln dreht er sich Schritt um Schritt im Kreis. Beide trommeln sich mit ihren Händen gegenseitig auf den Hintern.

Im Weissen Bräuhaus herrscht eine Stimmung wie im Bierzelt. Um den Tisch, auf dem Tomml und Hari ihren „Oarschplattler“ aufführen, sitzen die Aventinus-Buam.

Hier haben sie ihren Stammtisch. Seit 30 Jahren, immer am vierten Freitag im Monat. Heute feiern sie Jubiläum. Die Aventinus-Buam, das sind zwölf urbayerische Mannsbilder, jeder in Tracht – jeder an die 100 Kilo. Fünf tragen einen Gamsbarthut. Dass sie gerne und viel Bier trinken, lässt sich an der Frequenz ablesen, in der die Bedienung die leeren Gläser abräumt.

Rings um den Tisch heizen die Aventinus-Buam die beiden Oarschplattler mit Trommelwirbel und Gesang an: „Schaug hi, da liegt a doda Ratz im Maßkruag, den sauf ma mit, den sauf ma mit ...“

Seit seinem 18. Lebensjahr kommt Peter Hermann alias „der Bäda“ ins Weisse Bräuhaus. Er ist der Gründer und Präsident des Stammtisches. Mit seinem Kaiserbart hebt er sich nicht nur optisch von den anderen ab, er ist die zentrale Figur am Stammtisch.

Im Mai 1982 heiratet er, mit 25. Seinen Junggesellenabschied feiert er dort, wo’s seiner Meinung nach schon immer das beste Bier und die nettesten Bedienungen gibt: „Aventinus Buam heißen mir deshalb, weil mir junge Buam warn und seit jeher ins Schneider Weiße im Tal kommen und des Aventinus Weißbier trinken. Seit meinem 18. Lebensjahr is des mein Stammlokal. Es is einfach das Münchner Traditionslokal für Weißbier-Liebhaber“, sagt er.

Mit 8,2 Prozent Alkohol macht das älteste Weizenstarkbier gesellig, gleichzeitig ist es nicht zu unterschätzen. „Wiesn is Kindergarten dagegen. Aber 's Starkbier macht jung und is a billiger Rausch“, sagt der Bäda.

Was einen Stammtisch auszeichnet, seien Tradition und Verbundenheit, meint der Brauereichef, Georg Schneider: „Ein Stammtisch ist ein Fixpunkt im Leben. Nicht nur für die Stammtischler, sondern auch für uns Wirte und Geschäftsführer. Die bayerische Wirtshauskultur braucht genau solche Stammtische und wir tun unser Bestes, um diese Kultur zu erhalten. Bei den Aventinus-Buam spürt man sofort, dass sie mit Leib und Seele dabei sind. Sie strahlen eine unwahrscheinliche Lebensfreude aus. Genau diese Werte brauchen wir als Traditionsbrauerei.“

Tomml muss aufs Klo. Wolferl, Hari, Michel, Wiggerl und Herwig schließen sich an und gehen mit ihm. Während Tomml verschwindet, warten die anderen vor der Toilette. Die Kellnerin kapiert sofort. Als Tomml zurückkommt, stehen auf einem kleinen Tablett fünf Schnäpse.

„Kloschnaps!“, erklärt Michel. „Irgendwann hat unser Bräsi, da Bäda, den Schnaps am Tisch verboten. Daran musst ma uns halten. Zwei, drei von uns ham dann angefangen nachm aufs Klo gehen einen zu trinken. Seitdem der Rest das gemerkt hat, trifft sich hier manchmal die versammelte Mannschaft, sobald einer aufs Klo muss.“

Verbundenheit ist nicht nur unter den Aventinus-Buam selbst zu spüren, sondern auch gegenüber dem Gasthaus, dem sie sich nicht nur verbunden, sondern geradezu verpflichtet fühlen. „Einmal war hier ein Gast, der einfach abgehauen ist, ohne zu bezahlen. Die Kellnerin ist ihm nachgerannt. Es war für uns selbstverständlich, sofort mitzurennen und den Typen zu schnappen“, erzählt der Stammtischpräsident.

Einer der Aventinus-Buam liegt unterm Tisch. Mit Besen und Wischlappen putzt er dort zerbrochene Glasscherben auf und bringt den Müll in die Küche. „Es kommt schon mal vor, dass hier was zu Bruch geht. Aber immer, wenn wir was runter schmeißen, putzen wir den Dreck auch selber weg“, sagt der Aventinus-Bua Michel.

Auch der Wirt, Otmar Mutzenbach, weiß um das Geben und Nehmen eines Stammtisches: „Das Weisse Bräuhaus profitiert total von den Stammtischlern. Wir wären froh, wenn wir noch mehr solcher Stammtische hätten.“ Die Aventinus-Buam sind publikumswirksame Traditionalisten. Die Urtümlichen werden plötzlich zu Exoten und zur Attraktion. „Die Touristen kommen rein, nur um den Bäda und seine Buam in Tracht zu sehen. Die Aventinus-Buam sind dabei immer so positiv und herzlich, dass sich bei ihnen nie einer fremd fühlt“, sagt Mutzenbach. Schon so mancher Tourist sei hierher als Fremder gekommen und als Freund gegangen.

„1, 2, 3 - Prost!“, rufen die Aventinus-Buam zusammen in einer Lautstärke, die das ganze Lokal für einen Augenblick innehalten lässt. Und letztlich ist es doch auch genau das, was den innersten Kern eines Stammtisches ausmacht: Prost, Aventinus-Buam, auf die nächsten 30!

 

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