Automobilclub-Chef zu Verkehrspolitik: München ist die Hölle für Autofahrer

München - Ohne Unterbrechung mit dem Radl aus der Innenstadt nach Garching, das soll ab 2021 mit einem Radlschnellweg gehen. Der Verein "Mobil in Deutschland" kritisiert das – die Politik richte sich einseitig nach Radlern, die aber nur drei Prozent des Verkehrs ausmachten. Die AZ hat mit Vereinspräsident Michael Haberland gesprochen.
AZ: Herr Haberland, wie weit ist Ihr Weg zur Arbeit?
MICHAEL HABERLAND: So sieben, acht Kilometer. Das dauert, wenn's gut geht, zehn Minuten. Wenn der Ring komplett zu ist: eine halbe Stunde.
Wie lange suchen Sie dann noch einen Parkplatz?
Ich habe den Luxus, eine Tiefgarage zu haben. Aber es geht ja nicht nur um mich, sondern um alle Erfahrungen in München. Ich sehe das Elend und dass es noch schlimmer wird. Da wird ein Verkehrskollaps auf uns zukommen – und die Stadt macht alles falsch. Also, im Automobilverkehr.
Haberland: Autofahrer haben keine Lobby
Ihr Verein sagt, es werden Autofahrer diskriminiert und ausgebremst. Sehen Sie ernsthaft eine Diskriminierung?
Ja, natürlich. Seit vielen Jahren! Wenn ich nicht als kleiner Verein vor 20 Jahren ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht hätte, drei Tunnel zu bauen, würden wir heute schon im Verkehr ersticken. Der Mittlere Ring funktioniert nur deshalb noch einigermaßen.
Autofahrer wurden jahrzehntelang protegiert. Fühlt es sich vielleicht nur an wie Benachteiligung, weil es jetzt auch viel um ÖPNV und Räder geht?
München hat zwei wichtige Verkehrsträger: den ÖPNV und das Auto. Wir haben wahnsinnig viel Geld in den ÖPNV gesteckt, und das ist wichtig und richtig. Aber die Stadt wächst zu stark. Das hat die Politik verschlafen. Es wurden zu wenige Bahnen gekauft, der Straßenbau wurde total vernachlässigt, und es wird zu viel rückgebaut. Aber Autofahrer sind leider leise. Im Sinne von: persönlich leise. Die haben keine Lobby.
AZ unterwegs mit dem ADAC-Stauflieger
Ludwigstraße: Der König würde sich aus dem Grabe erheben
Die Autoindustrie hat eine Lobby, die 15 Mal größer ist als die der Umweltverbände.
Ich spreche von den Fahrern. Nicht die Industrie. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Fahrer werden kaum gehört. Die, die am Mittleren Ring stehen, die jeden Tag Millionen Stunden im Stau verbringen. Aber die sind in der Mehrheit. Und die werden schon irgendwann ihre Stimme erheben.
Was sind denn Beispiele in München, wo Autofahrern etwas weggenommen wurde?
Das beste ist die Gabelsberger Straße: Das war die einzige grüne Welle, die funktioniert hat. Jetzt: Chaos. Auf der Rosenheimer Straße ist Chaos programmiert. Die Brienner Straße ist jetzt einspurig, mit einem Riesen-Radweg: Chaos. Die Leopold- und Ludwigstraße sowieso. König Ludwig würde sich aus dem Grabe erheben, wenn der wüsste, was die mit seiner Straße treiben!
Na, der hatte Autos beim Bau eher nicht auf dem Schirm.
Aber die wurde ja groß geplant, damit sie nach was aussieht. In München spielt man Verkehrsträger gegeneinander aus, und das seit Jahren. Und was jetzt gerade im Zusammenhang mit Dieselautos und Stickstoffoxid-Werten passiert ...
Das Dieselverbot macht Ihnen aus Autofahrersicht Sorgen.
Man muss doch dafür sorgen, dass der Verkehr mehr fließt und nicht weniger. Heute sind es Diesel, morgen dann die Benziner – es wird immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben, nach dem Motto: Alle Autofahrer raus aus der Stadt! Aber das muss doch auch praktisch funktionieren. Mobilität ist wichtig für alle: Anwohner, Pendler, Einkäufer, Wirtschaftsverkehr. Jeder will pünktlich seine Zalando- und Amazon-Päckchen haben.
"Das Auto bleibt Verkehrsträger Nummer eins"
Sie fragen: "Muss es immer auf Kosten der Autofahrer sein?" Was ist Ihr Gegenvorschlag?
Auf gar keine Kosten! Ich kann Verkehr auch so steuern, dass ich die Verkehrsträger miteinander vernetze. Der Verkehr in München wird jedes Jahr um ein Prozent langsamer. Rechnen Sie aus, wie das in zehn Jahren sein wird. Und die Schadstoffe werden dadurch nicht weniger. Ich will aber niemanden überreden, aufs Auto umzusteigen. Jeder soll den Verkehrsträger verwenden, der für ihn am passendsten ist. Aber die müssen funktionieren. Und das Auto bleibt so oder so auf absehbare Zeit Verkehrsträger Nummer eins.
Aber weniger Autoverkehr wäre besser für die Umwelt.
Nein. Weniger Stop-and-go-Verkehr wäre besser. Der ÖPNV ist ja jetzt schon an der Kapazitätsgrenze. Wenn heute zehn Prozent der Autofahrer auf den umsteigen, kollabiert der.
Viele Menschen nehmen das Auto für Strecken, die sinnvoller mit dem Rad oder dem ÖPNV zurückzulegen wären.
Das ist der Punkt: Ich möchte die Menschen nicht erziehen. Das machen die Grünen in jedem zweiten Satz. Die Leute werden ein Angebot annehmen, das gut ist. Und ein Fahrrad im Februar auf vereisten Wegen ist kein gutes Angebot.
Keine Lust auf's Radl: Dieser Münchner schwimmt zur Arbeit
Forderung: Unterirdischer Ausbau des Mittleren Rings
Sie fordern mehr Infrastruktur für Autofahrer. Was haben Sie sich da vorgestellt?
Unnötiger Autoverkehr gehört weg. Man sollte den Ausbau des Autobahn-Südrings voranbringen, dann muss der Güterverkehr mit seinen Lkw nicht mehr durch die Stadt. Der Mittlere Ring muss kreuzungsfrei ausgebaut werden, unterirdisch. Und der Parksuchverkehr! 80.000 Kilometer werden jeden Tag dafür allein in Schwabing zurückgelegt...
Woher stammt die Zahl?
Das ist eine alte BMW-Studie. Die Zahl mag sich inzwischen geändert haben, ist aber sicher immer noch riesig. Das kann man lösen, indem man sich um Tiefgaragen kümmert.
Welche Stellen in der Stadt meiden Sie mit dem Auto?
So gut es geht die Innenstadt. Leopoldstraße, Rosenheimer Straße, Prinzregentenstraße. Das ist alles nur noch verstaut. Und an verkaufsoffenen Sonntagen oder in den Wochen vor Weihnachten müssen Sie das Auto ganz stehenlassen. Da ist die Stadt wirklich kollabiert. Da ist München die Hölle.
Ihre Meinung ist gefragt
Liebe Leserinnen und Leser, werden Autofahrer diskriminiert? Kommentieren Sie direkt hier unter diesem Artikel oder schreiben Sie uns Ihre Meinung an: AZ, "Leserbriefe", Garmischer Straße 35, 81373 München oder: leserforum@ az-muenchen.de