Ausschank-Stopp: Ein Streifzug durch Münchens bedrohte Kneipen
München - Das Übelste an der Sache, sagt Beppi Bachmaier, ist, dass jetzt alles wieder von vorn losgehe. Diese ganze Angst sei auf einmal wieder da. Vor der Ansteckung, vor der Leere und ja, vor der Pleite auch. "Jetzt bleiben halt erst mal wieder alle weg."
Gerade sei es noch "gefühlsmäßig aufwärts gegangen"
Mittwochabend, 21.30 Uhr, der Wirt vom Fraunhofer sitzt an seinem Stammplatz neben der Eingangstür, kaut am Fleischgericht, das auf seinem Teller dampft und schaut unfroh aus. Gerade sei es "gefühlsmäßig aufwärts gegangen", sagt er, die Leut waren wieder da, sein Wirtshaus, das er im Lockdown drei Monate hat ganz zumachen müssen, sei jeden Tag gut gefüllt gewesen, mit Vorreservierung und Tischen auf Abstand halt. Eine "Erholung" nach dem Lockdown.

Und jetzt schon wieder diese neue Coronaregel: Kein Bier mehr ausschenken dürfen ab 22 Uhr, noch nie gab es sowas in München, "des spürst du im Wirtshaus schon am frühen Abend", sagt er, "heut sind die Leut schon gar nimmer gekommen".
Corona-Regelungen: von 180 auf 70 Plätze reduziert
Eine halbe Stunde noch, dann ist Ausschank-Stopp. 180 Plätze hatte Bachmaier vor Corona, jetzt sind nur noch 70 erlaubt. Gerade mal an zwei Dritteln der Tische sitzen jetzt Gäste, die ersten zahlen und gehen, bevor eh gleich Schluss ist.
Immerhin, eine Vierergruppe sitzt unverdrossen beim Schafkopfen am runden Tisch. Zwei Weißbier, ein Helles, einer ist schon beim Spezi angelangt. Wie sie das finden, das neue, frühe Alkoholverbot in der Wirtschaft? "Mei", sagt Florian (39), ein Stadtplaner, "Hauptsach is doch, dass wir überhaupt hier zamsitzen dürfen, dass des nicht wieder so weit kommt, dass alles ganz zugemacht wird."
Früher kommen, früher heimgehen
"Genau", fällt Marco (30) ein, "ich find die Regel sinnvoll." Die vier Spezln karteln hier seit 19 Uhr, "wir haben jetzt vier, fünf Halbe", sagt Marco, "mit nochamal zwei Bier mehr is man dann schon enthemmter und vergisst vielleicht die Abstandsregeln." Eigentlich sei das ja ganz einfach: Früher kommen, dann könne man ja auch früher wieder heimgehen.
Drüben im Bahnhofsviertel, in der Szenebar Café Kosmos, versucht Wirt Andi Rehm, die Ausschankstopp-Regel halbwegs mit Fassung zu tragen. Vor Corona haben hier abends bis zu 200 junge Leute gefeiert, dicht an dicht stehend, drinnen und draußen, "das war ja unser Konzept", sagt er, "dass man hier miteinander ins Gespräch kommt."

In der Kneipe wird nachts Umsatz gemacht
27 Menschen dürfen jetzt noch zeitgleich in der Kneipe sein, sitzend an Tischen, auf Abstand. Das Geschäft läuft eigentlich erst ab 22 Uhr richtig an, bis nachts um 1, in der Zeit wird der Umsatz gemacht.

Rehm und sein Kompagnon Florian Schönhofer haben das Kosmos bisher stoisch durch die Krise manövriert, neue Freischankflächen haben sie über den Sommer gebracht. "Wir waren jetzt soweit, dass wir mit Plusminus-Null rausgehen jeden Monat, solange wir Chefs aufs Einkommen verzichten", sagt er, "wir waren guter Dinge. Das wird jetzt nicht mehr gehen."
Und freilich frage er sich, wie viel Sinn es mache, den Hahn in den Lokalen um 22 Uhr zuzudrehen. "Damit die Leute dann daheim weiter Party machen, wo kein Wirt mehr auf Masken und Abstandsregeln aufpasst?"
Ausschank-Stopp: Keine Menschentraube am Kiosk
Draußen jedenfalls wird an diesem Abend keine Party gemacht. 7 frostige Grad sagt das Thermometer an, am Kiosk an der Reichenbachbrücke, an dem den ganzen Sommer über abends Trauben von Menschen anstanden, um sich mit Alkohol für nächtliche Feierlichkeiten einzudecken, findet sich heute gerade mal eine halbe Handvoll.

Sebastian (28), ein Designer, der gegenüber wohnt, nimmt sich drei Weg-Halbe mit. Heute darf er das ja, am Freitag und Samstagabend ab 21 Uhr wird der to-go-Verkauf hier schon wieder verboten sein. Der Kult-Kiosk gehört zu den sogenannten Hotspots.
Okay für ihn? "Irgendwas muss die Politik ja machen", sagt er. "Ich weiß nicht, ob diese Verbote was bringen, aber ich halte mich dran", sagt er und macht sich auf den Heimweg über die Straße.
Kioskmitarbeiter: "Leute akzeptieren das Verbot"
So nehmen das offenbar viele auf, die hier Stammkunden sind. So erzählt es Kioskmitarbeiter Claudio Schweiger (29), der hier heute die Stellung hält. "Ich hatte schon befürchtet, dass wir an den Verbots-Wochenenden hier Diskussionen haben würden, wenn wir keinen Alkohol mehr ausgeben. Haben wir aber nicht, die Leute akzeptieren das."

Sie akzeptieren es, offenbar nicht nur im Gärtnerplatzviertel, wo nichts los ist an diesem Abend. Sondern auch an der "Feierbanane" entlang der Sonnenstraße, die sehr still daliegt. In der Bar Sausalitos, die sonst auch bis 3 Uhr Betrieb hat, haben sie um 22 Uhr längst abgeräumt, die Gäste sind weg. "Es lohnt sich nicht, auf zu lassen, dafür sind die Kosten zu hoch", sagt eine Mitarbeiterin, es sei schon am Spätnachmittag tote Hose gewesen, weil klar war, dass früh Ausschankschluss ist.
Wirt bezeichnet 22-Uhr-Regel als Kneipenkiller
Auch rund um den Wedekindplatz in Schwabing, der ebenfalls zu den Hotspots gehört und am 24-Stunden-Kiosk an der Münchner Freiheit schleichen nur ein paar Gestalten herum. Hinten in der Feilitzschstraße, wo im "Trumpf oder Kritisch" um diese Uhrzeit sonst ausreserviert ist, sitzen vereinzelt Paare an den fast drei Meter langen Eichentischen.

Diese neue 22-Uhr-Regel sei ein Kneipenkiller, sagt Wirt Simon Donatz (35) müde. "Die Leute gehen ja nicht für einen Spezi vor die Tür." 100 Leute habe er vor Corona reinlassen können, plus die Stehgäste an der Bar, nun dürfen nur noch 50 sitzen.
So viele kommen aber gar nicht mehr, wenn's abends kein Bier mehr gibt. "Allein heute haben wir 30 Prozent Umsatzminus zu gestern", rechnet er vor. Schwer vorstellbar, dass man so noch mit einer schwarzen Null durch den Monat komme.
Fazit: Ein Drittel Umsatzminus
Ein Drittel Umsatzminus, das wird auch Beppi Bachmaier im Fraunhofer bis zur Nacht zählen. Er hofft jetzt auf Sonntag, da ist Kirchweih und Frühschoppen ab 10 Uhr mit Musik in seinem Wirtshaus. Flyer und Plakate, wie früher, könne er sich ja nicht mehr leisten. "Ich hab noch 30 Sitzplätze zu vergeben", sagt er. "Vielleicht mag ja noch wer kommen."