Ausbildung in der Schreinerei: Ein Holzweg, der weiter bringt

Moosach - "Ich liebe diesen Geruch", ruft Maximilian von der Leiter herunter. Der 18-Jährige schaut auf das neueste Werk seines Azubi-Kollegen Ferdinand, der gerade dabei ist, eine Tischplatte aus Walnussholz zu ölen. Sanft streicht Ferdinand mit dem Pinsel das Öl von der einen Seite der Holzplatte auf die andere.
An den Rändern ist er besonders vorsichtig. "Der erste Ölaufstrich ist für die Versiegelung. Dann trägt man eine zweite Schicht auf, die für den Glanz sorgt", erklärt Ferdinand. Auch er mag den Geruch. "Das Schönste daran aber ist, dass durch das Öl die Farbe vom Holz so richtig durchkommt."
Max und Ferdinand sind Azubis in der Schreinerei des Anderwerks. Das Anderwerk gibt es seit 1999 und es gehört zur Arbeiterwohlfahrt (Awo) München, die es wiederum bereits seit über 100 Jahren gibt. Das Anderwerk hat mehrere Standorte in München, die Schreinerei befindet sich – neben einem Raumausstattungsbetrieb des Anderwerks – in der Gneisenaustraße 8, in Moosach.

"Wir wissen, dass hier jeder sein Päckchen trägt"
Gegenüber befinden sich noch eine Kfz-Werkstatt, eine Kantine mit Catering-Service und eine betreute Wohngemeinschaft für Jugendliche. Das Ziel des Anderwerks ist es, Jugendliche und Langzeitarbeitslose mit psychischen oder körperlichen Schwierigkeiten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und ihnen so dabei zu helfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.

"Das Besondere bei uns ist, dass hier jeder kommen kann, wie er ist", erzählt Schreiner-Azubi Ferdinand. "Jeder hier hat in irgendeiner Form ein Päckchen zu tragen – wir wissen das." Um einen Platz in der Schreinerei zu bekommen, müssen die Jugendlichen einen Antrag auf soziale Bedürftigkeit beim IBZ stellen, dem Integrationsberatungszentrum der Stadt München. Das läuft meist über ärztliche Atteste und Gespräche mit dem IBZ. Viele der Jugendlichen haben mit Depressionen zu kämpfen. Bei Ferdinand war es ein schwerer Schicksalsschlag in der Familie.
Insgesamt gibt es in der Schreinerei des Anderwerks zehn Azubis. Manche sind im ersten Lehrjahr, manche bereits im dritten. Wenn die Gesellenprüfung bestanden ist, müssen sich die Azubis eine neue Stelle suchen, denn hier wird nur ausgebildet. Bis dahin haben die Jugendlichen die Möglichkeit, in einem geschützten Raum eine solide handwerkliche Ausbildung zu bekommen. Und so auch der Stadt, die diese Ausbildung ja finanziert, etwas zurückzugeben. "Ich finde es wunderbar hier", sagt Ferdinand. "Wenn es jemanden von uns nicht gut geht, sprechen wir miteinander."

Betreut werden die Azubis von Werkstattleiter Florian Haas und Geselle Fritz Jung, dazu von einer Sozialpädagogin. "Zu zweit auf zehn Auszubildende – das ist so schon ganz schön wenig", sagt Fritz Jung. Er ist der einzige Geselle in der Werkstatt und neben Meister Florian Haas der Einzige, der die Jugendlichen handwerklich anleiten kann. Von der Stadt wünscht er sich mehr Geld – am liebsten einen weiteren Gesellen.
Anderwerk: ein Beispiel, wie Sozialpolitik optimal umgesetzt werden kann
Ein Problem sieht Jung in der Zuständigkeit. Und in der Tat: Während das IBZ zum Zuständigkeitsbereich des Sozialreferats gehört, wird das Anderwerk gefördert durch das MBQ, das Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm, das wiederum dem Referat für Arbeit und Wirtschaft zugeordnet wird. Zuständig sind also sowohl das Sozialreferat als auch das Referat für Arbeit und Wirtschaft und da kann es zu Problemen kommen. Ein weiteres Problem sei "die Konkurrenz im sozialen Bereich". Es gebe auch andere soziale Projekte, die von der Stadt finanziert werden wollen.

Gleichzeitig hat Geselle Jung Verständnis für die Politik. "Die sind ihren eigenen Zwängen unterworfen." Im Vergleich zu anderen deutschen Städten stehe München, was die Finanzierung von Sozialleistungen angehe, gut da, erklärt Jung. "Und dass jemand herkommt und sich das Anderwerk anschaut, ist schon mal ein ganz wichtiges Signal."
Im Rahmen ihrer Reihe "089 vor Ort" hatten sich führende Stadtpolitiker der SPD, die der Awo traditionell nahesteht, das Anderwerk vor Kurzem angeschaut und sich mit Verantwortlichen ausgetauscht. Für Lena Odell, Stadträtin und Sprecherin des Kinder- und Jugendhilfeauschusses, ist das Anderwerk ein "best practice Beispiel", ein Beispiel dafür also, wie Sozialpolitik optimal umgesetzt werden kann.
Das Projekt sei auf jeden Fall fördernswert, erklärt Odell. "Da fließt Herzblut aus jeder Pore", sagt Odell. "Wir wollen hier keine Kürzungen vornehmen und im Moment ist alles, was wir nicht kürzen müssen, schon ein Erfolgstrip."
Und weil gleichzeitig das wichtigste Anliegen von Stephanie Lerf - der Geschäftsführerin des Anderwerks – ist, dass keine Zahlungen gekürzt werden, könnte man meinen: alles in Ordnung. Im Moment funktioniert das Projekt. Aber das zu halten, bleibt schwer. Zumal das Wirtschaftsreferat bereits Kürzungen angedroht habe – wie Lerf anmerkt.
"Ich konnte die Leute etwas schubsen"
Fritz Jung, der Geselle in der Schreinerei, geht im Herbst dieses Jahres in Rente. Dann braucht es - neben dem Gesellen, den sich Jung als Entlastung wünscht – erst recht einen neuen Gesellen, der Meister Florian Haas unterstützen kann. Dieser neue Mitarbeiter muss keine pädagogische Ausbildung haben, das kann man sich durch Fortbildungen erarbeiten, erklärt Jung, ein gewisses Gespür sollte natürlich da sein.
Und auch wenn Jung sich von der Stadt mehr Entlastung und Unterstützung wünscht: Nach seiner Gesellenprüfung nicht den Weg einer eigenen Werkstatt eingeschlagen zu haben, sondern das Handwerkliche mit dem Sozialen zu verbinden, hat er nie bereut: "Das ist einfach eine sehr befriedigende Arbeit. Wenn ich im Herbst in Rente gehe, weiß ich, dass ich einige Hundert Leute auf ihrem Weg ein klein bisschen schubsen konnte."