Aus Mann und Frau wird Frau und Frau: Wie ein Ehepaar aus München trotz Geschlechtsangleichung die Liebe erhielt

Als Beate Schmittke vor 50 Jahren heiratete, war sie noch ein Mann. Ihre Frau Ilse ist trotz aller Schwierigkeiten, die die Transidentität mit sich brachte, an ihrer Seite geblieben.
von  Anna-Maria Salmen
Die Liebe war stärker: Auch heute noch sind Ilse (l.) und Beate Schmittke noch tief verbunden. Dass Bruno 30 Jahre nach der Hochzeit zu Beate wurde, hat die Beziehung auf die Probe gestellt, aber nicht zerbrochen.
Die Liebe war stärker: Auch heute noch sind Ilse (l.) und Beate Schmittke noch tief verbunden. Dass Bruno 30 Jahre nach der Hochzeit zu Beate wurde, hat die Beziehung auf die Probe gestellt, aber nicht zerbrochen. © Hannes Magerstädt

München - Ihre Geschichte beginnt wie viele andere auch: Es war der Valentinstag 1971. Bruno war damals gerade einmal 19 Jahre alt, Ilse 21. Er spielte in einer Band, sie stand im Publikum und verguckte sich in den gut aussehenden Musiker. Zweieinhalb Jahre darauf heirateten sie, bekamen später zwei Söhne. Heuer feierten die Schmittkes ihre goldene Hochzeit.

Doch es ist nicht mehr Bruno, der an einem kalten Winterabend am Esstisch des Reihenhauses in Heimstetten voller Freude von diesem besonderen Ereignis erzählt. Aus dem Ehemann ist inzwischen Beate geworden. Rund 50 Jahre lang lebte sie im falschen Körper, bis sie den Schritt wagte und sich outete. Ihre Frau Ilse hielt zu ihr in dieser Zeit der Tränen und Unsicherheiten.

Beate Schmittke aus München: Die 71-Jährige merkt früh, dass sie "irgendwie anders tickt"

Dass sie irgendwie anders ticke, habe sie schon früh gemerkt, erzählt die heute 71-jährige Beate. Ihr Schlüsselerlebnis kam gegen Anfang der Pubertät: Im Fernsehen lief ein Singspiel der Wiener Sängerknaben, bei dem sie Mädchenrollen übernahmen und Biedermeier-Kleider trugen. Für Bruno eine Signallampe: "Ich habe gemerkt, dass ich gerne ein Mädchen wäre."

Anvertraut hat er sich niemandem, es war eine andere Zeit. In den 60er-Jahren dachte keiner daran, dass in einem kleinen Buben doch ein Mädchen stecken könnte. Heimlich schlüpfte Bruno in die Nylonstrümpfe der Mutter, probierte ihren BH an.

"Ich habe einfach gedacht, ich muss damit zurechtkommen"

Sobald er wieder die Jungenkleidung anzog, ließ er sich nichts anmerken. "Ich habe einfach gedacht, ich muss damit zurechtkommen", sagt Beate heute. Bis auf die verborgenen Momente, in denen Bruno sich als Mädchen angezogen im Spiegel sah, verdrängte er seine Gefühle.

Das Leben als Familienvater half. Bruno war im Ort engagiert, trat Vereinen bei und stieg in die Kommunalpolitik ein – von außen eine typische Vorortidylle. Nicht einmal Ilse ahnte, wie es in Bruno aussah. "Es war ein gutes Leben", sagt Ilse. "Wir haben eine schöne Zeit gehabt."

Als Beate noch Bruno war: Die Hochzeit im Juli 1973 gehört für das Paar zu den schönsten Momenten in ihrem Leben.
Als Beate noch Bruno war: Die Hochzeit im Juli 1973 gehört für das Paar zu den schönsten Momenten in ihrem Leben. © privat/Hannes Magerstädt

Trotz der Momente mit der Familie litt Bruno zunehmend. So sehr er versuchte, als Mann zu leben, die innere Frau meldete sich doch immer wieder. Die Gelegenheiten, heimlich in Ilses Kleidung zu schlüpfen, wurden mit der Geburt der Söhne selten.

Travestie als Ventil – und der Aschermittwoch als schlimmster Tag im Jahr

Es blieb also nur der Fasching, in dem Bruno sich stets in Frauenkleidern zeigte. Der Aschermittwoch, wenn er wieder über 330 Tage warten musste, um in die ersehnte Rolle zu wechseln, war der schlimmste Tag im Jahr, sagt Beate heute.

Irgendwann fand Bruno in der Travestie ein Ventil. Bei Feiern außerhalb des Faschings mimte er mal Marilyn Monroe, mal Tina Turner immer bejubelt von den Partygästen, für die das alles nur Show war.

Ilse und Beate Schmittke: "Wir haben um die Wette geweint"

Doch die Auftritte waren nur kurze Momente. Der Druck wurde immer stärker. Im Januar 2001, kurz vor seinem 49. Geburtstag, hielt Bruno es nicht mehr aus und offenbarte sich Ilse.

Die Zeit, die darauf folgte, waren die schlimmsten Tage und Wochen ihres Lebens, sagt Beate. "Wir haben um die Wette geweint." Ilse war wütend, verstand nicht, warum Bruno sich ihr nicht früher anvertraute. Und Bruno litt unter der Unsicherheit. "Ich wusste in dem Moment nicht, was ich eigentlich bin." War es nur ein Fetisch? War er Transvestit? Oder doch transsexuell?

In der Therapie wird klar: Bruno ist eine Frau

In einer Therapie sollte das ergründet werden. Schnell wurde klar: Bruno ist tatsächlich eine Frau. Stück für Stück outete sie sich in ihrem Umfeld, es folgte die offizielle Namensänderung. Bis Beate sich an die geschlechtsangleichende OP wagte, sollte es weiter dauern.

Den Tag im Juni 2004, als eine Ärztin ihr innerhalb von acht Stunden die äußeren Merkmale einer Frau schuf, bezeichnet Beate als ihren zweiten Geburtstag. Nach der OP lebten Ilse und Beate zwar noch zusammen, aber zunächst nicht mehr als Paar. "Ilse ist ja nicht lesbisch geworden, nur weil ich jetzt eine Frau bin", sagt Beate. "Ich hab schon den Mann vermisst", ergänzt Ilse.

Ilse und Beate trennen sich – doch der Kontakt reißt nie ganz ab

2010 entschieden sie sich, aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen. "Wir wollten einfach schauen, ob wir beide nochmal was anderes brauchen", sagt Beate. Sie zog 2014 aus beruflichen Gründen für einige Jahre nach Lübeck. Die Diskriminierung an ihrem alten Arbeitsplatz – nach dem Outing sollte unter anderem ihr Stundensatz plötzlich um zehn Euro gekürzt werden – ertrug sie nicht mehr.

Trotz der räumlichen Trennung riss der Kontakt zu Ilse nie ab. Sie besuchten sich gegenseitig, fuhren gemeinsam in den Urlaub – und stellten irgendwann fest, dass sie doch nicht ohne einander können. Vor sechs Jahren zogen sie wieder zusammen in ihr Haus in Heimstetten.

Die Feier zur goldenen Hochzeit im Sommer.
Die Feier zur goldenen Hochzeit im Sommer. © Hannes Magerstädt

Dass ihre Beziehung so lange gehalten hat, ist für die beiden etwas ganz Besonderes. 99 Prozent der Transsexuellen verlieren ihren Partner nach dem Outing, schätzt Beate. Auch ihre Psychologin prophezeite ihr vor der OP, dass sie Ilse verlieren würde. "Da hat sie sich getäuscht", sagt Beate lächelnd. "Wir gehören einfach zusammen."

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