Aus nach 50 Jahren für Traditionsgeschäft: Kindermoden-Laden in München macht dicht
München - Rysia Kreisberger trottet durch ihren Laden und pfriemelt an einem Zettelchen herum. Ein Prozentzeichen ist darauf abgebildet, es hängt an einem Prinzessinnenkleid für Kinder. Zufrieden ist Kreisberger damit nicht. Aber auch an der Tür ist groß zu lesen: "Alles muss raus".
Nach knapp 50 Jahren geben sie und ihr Mann den Laden für Kindermoden "Les enfants" in der Pacellistraße auf, weil ihr Mietvertrag nicht verlängert wurde. Und ein bisschen auch wegen des Alters, geben sie zu. Sie ist 82, ihr Mann Avram 88. So richtig aufhören wollen sie - noch - nicht, aber Ende März muss der Laden leer sein.
"Les enfants" in München macht dicht: Möbel und Ware werden verkauft
Dabei ist das rund 70 Quadratmeter große Geschäft noch bis oben hin voll mit Kinderkleidung und Kostümen. Trotz ihres Alters weiß Kreisberger ganz genau Bescheid über Superhelden mit Spinnenkräften, Klonkrieger aus Weltraum-Opern oder angesagte Serienfiguren bekannter Streaming-Dienste. "Marvel hat gerade nicht mehr so Hochkonjunktur", weiß sie aus Erfahrung. Masken, Kostüme, Schuhe, Puppenhäuser - all das haben die Kreisbergers im Angebot; alles müssen sie noch verkaufen. Auch die Möbel. Über die Ware weiter hinten hat sich mittlerweile etwas Staub gelegt.
Laden war in München damals einzigartig
Angefangen haben die beiden als Großhandel. In den 60er Jahren importierten sie Mode aus Frankreich. "Irgendwann stand der Franc so ungünstig und wir haben uns für den Einzelhandel entschieden", erinnert sich die Chefin. Ihren Laden eröffnen sie in der Neuen Maxburg, nur wenige Meter von ihrer jetzigen Lage in der Pacellistraße entfernt.
"Unser Laden war dreigeteilt - Baby, Schuhe und Kleidung. Neben Tretter waren wir der einzige Laden mit einer eingebauten Rutsche im Geschäft. Ein Highlight für die Kinder", erzählt sie stolz. Zeitweise erweitern sie ihr Sortiment um Mickey-Maus-Merchandise. "Sowas gab es in München zu der Zeit auch nicht!", weiß Kreisberger.

Auch Münchner Promis kauften Kinderkleidung bei den Kreisbergers
Insgesamt drei Mal ziehen die beiden innerhalb der Maxburg um, bis sie in der Pacellistraße 5 landen. Lange läuft das Geschäft für die Kreisbergers sehr gut. Sie - "ich bin eine Pedantin", sagt sie über sich selbst - hat das Wissen über die Mode, reist nach Florenz und Paris zu Kindermessen, ihr Mann übernimmt die Buchhaltung.
"Wir hatten Kunden aus ganz Deutschland. Auch der Verkehrsminister aus den Emiraten war bei uns", erzählt Kreisberger. Karel Gott kam regelmäßig. Auch der Münchner Prominenz verkauften sie Kinderkleidung. "Der Taufanzug für das erste Kind von Rummenigge ist von uns. Er war auch dabei. Das Kind war wenige Monate alt, war aber so gut beinander wie ein Zweijähriger", erinnert sich die 82-Jährige und lacht dabei amüsiert.

"Les enfants" in München schließt: Internet verändern das Geschäft nach und nach
Und noch eine Begegnung ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: "Eine Dame kam sehr extravagant angezogen, ganz in Charmeuse. Eingekauft hat sie hochwertige, teure Skianzüge und Westen. Ich habe mich gefragt, mit wie vielen Schecks sie das wohl bezahlen will - bis ich den Namen auf dem Scheck gesehen habe. ‚Sind sie verwandt?' habe ich gefragt. ‚Nein, nur verheiratet' hat sie mir geantwortet und gelacht. Der Name auf dem Scheck: Gottschalk.
Wenn Kreisberger von damals erzählt, kommt sie ins Schwärmen. Tolle Zeiten seien es gewesen, mit exklusiven Kunden, aufregenden Dienstreisen, fünfstelligen Einkäufen. Bis Mitte der Neunziger. "Als H&M und das Internet kamen, hat man das sehr gemerkt", sagt Kreisberger wehmütig. Die Umsätze gehen langsam zurück.
Vor zehn Jahren entschließt sich das Ehepaar, zusätzlich zur Kindermode noch ins Paket-Business einzusteigen. Bei ihnen können Pakete abgeholt und gebracht werden. Die lagert Kreisberger hinter einem Regal.

"Les enfants" in München muss in zwei Monaten geräumt sein
Kommt jemand, um etwas abzuholen, klettert die 82-Jährige für ihr Alter recht grazil hinter den Raumtrenner und schleppt die Kisten hervor, scannt einen Strichcode und lässt sich den jeweiligen Ausweis zeigen. Beim AZ-Besuch an einem Freitagvormittag kommt fast alle zehn Minuten jemand wegen eines Pakets. Wegen Kindermode kommen an diesem Tag die wenigsten. Trotzdem muss der Laden in zwei Monaten geräumt sein. Ihre geliebten Kostüme will Kreisberger nicht verhökern. Um eine starke Vergünstigung kommt sie aber nicht herum, das weiß sie. Teilweise wolle sie sogar Kellerregale verschenken. Auch die Einrichtung müsse sie nun günstig abgeben.
"Gerade ist es noch ein furchtbarer Stress", sagt die 82-Jährige, die sich immer wieder etwas erschöpft setzen muss; die Hüfte. Auf der anderen Seite sind sie und ihr Mann froh, wenn es vorbei ist. Dann können sie mehr Zeit mit ihren Kindern und den neun Enkeln verbringen.
Bis dahin hoffen sie stark auf das Faschingsgeschäft: "Wir bieten Kunden im Zuge unseres Räumungsverkaufs Kleidungspakete an, auf vieles gibt es 50 Prozent", wirbt Kreisberger. Eigentlich tut es ihr leid, ihr Lebenswerk so günstig abzugeben. Das wird bei einem Besuch in der Maxburg spürbar. Kreisberger: "Wenn es vorbei ist, wird ein Auge weinen, das andere aber sicher lachen!"
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