Aus dem Tritt gekommen: Münchens Rikschas fehlen die Touristen

München - Ein heißer Sommertag, einer der wenigen in diesem Jahr. Am Odeonsplatz wuseln Passanten umher, Menschen sitzen entspannt vor dem Café Tambosi, ratschen und blinzeln in die Sonne. Zwischen den Passanten schlängelt sich vorsichtig eine Rikschafahrerin durch. Hinter ihr, Arm in Arm, ein deutsches Ehepaar im mittleren Alter. Sie parkt die Rikscha so, dass ihre Passagiere einen perfekten Blick auf die Theatinerkirche haben. Sie zeigt mit dem Finger hinauf und erzählt mit sichtlichem Engagement.
Dann geht's weiter. Eine halbe Runde durch den kleinen Kreisverkehr, kurzer Stopp Richtung Siegestor, dann hinein in den Hofgarten, die schattige Lindenallee entlang Richtung Englischer Garten. Silvia Cecilia Lastra Lombardero fährt diese Stadttouren seit fast zehn Jahren. Sie verdient ihren Lebensunterhalt mit Rikschafahren. Mit 59 Jahren ist sie die "Mama" in der Rikschafahrer-Community, wie sie selbst lachend sagt.
Rikschafahrerin stellt München in fünf Sprachen vor
Die Stadt bei einer Rikschafahrt kennenzulernen, das ist ein Erlebnis. Viele Fahrer haben eine Ausbildung zum Rikschaguide bei München Tourismus gemacht. Auch Lastra Lombardero hat sie vor vier Jahren absolviert. Sie kann den Besuchern die Stadt in fünf Sprachen vorstellen. Dabei kommt man den schönsten Ecken richtig nahe. Im gemächlichen Tempo wird man durch die Gegend kutschiert. Langsam genug, um lebendige Eindrücke zu sammeln vom Alltag der Stadtbewohner, schnell genug, um viel Interessantes über Kultur und Geschichte zu erfahren.
Wer vom Rikschafahren lebt, der musste sich während der Pandemie Alternativen suchen, um über die Runden zu kommen. Nicht nur, dass die Tourismus-Saison im Sommer viel kürzer ausfällt und es so gut wie kein Nachtleben gibt. Ausschlaggebend sind die ausgefallenen Veranstaltungen: Messen, Festivals und natürlich das Oktoberfest, die wichtigste Einnahmequelle.
Lastra Lombardero hat einige Bewerbungen verschickt. Sie könne sich vorstellen, für die Stadtwerke bei der Personenbeförderung zu arbeiten oder wieder ins Patentwesen zu gehen, dort habe sie zuvor gearbeitet. Doch in ihrem Alter sei es ziemlich schwierig, eine Anstellung zu finden. Besonders hart sind die Folgen der Pandemie auch für die Anbieter der Fahrten, die den freiberuflichen Fahrern Rikschas vermieten.
"Das hier ist nervlich nicht spurlos an mir vorbei gegangen"
Dominic Staat hat die Pedalhelden gegründet und das Rikschageschäft vor knapp 25 Jahren als Erster in München etabliert: "Wir haben schon einiges erlebt, aber das hier ist nervlich nicht spurlos an mir vorbei gegangen."
Sein Unternehmen konnte der studierte Pharmazeut nur mit Privatrücklagen über Wasser halten. Er arbeitet parallel als Apotheker. Doch auch diese harte Zeit habe er irgendwie überbrücken können. Aktuell sei die Nachfrage sehr groß, besonders die Eventfahrten seien sehr beliebt. "Wir werden überrannt. Aber uns fehlen die Fahrer", sagt Staat. Viele hätten sich mittlerweile andere Jobs gesucht.
Einer, der geblieben ist und aktuell wieder fährt, ist Hans Dita. Seit 20 Jahren ist er bei den Pedalhelden und arbeitet auch als Schrauber in der firmeneigenen Werkstatt. Das Rikschafahren sei für ihn nach wie vor eine schöne Arbeit, "weil sie so abwechslungsreich ist. Man trifft verschiedenste Menschen." Doch auch er sei sich nicht sicher, ob er die nächste Saison noch fährt.
Viele Rikschafahrer haben aufgegeben
Seiner Schätzung nach hätten 30 bis 40 Prozent der Fahrer aufgehört. Laut Auskunft des Kreisverwaltungsreferats wurden seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 sieben Reisegewerbekarten für Rikschafahrer ausgegeben. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 waren es 29, 2019 wurden 24 beantragt.

Hans Dita ist dennoch fest davon überzeugt, dass das Rikschafahren nie aussterben wird. "Es trennt sich halt die Spreu vom Weizen", findet er. Rikschafahren könne zwar fast jeder, besonders seit es E-Rikschas gibt, doch die Qualität schwanke enorm.
"Es gibt ausgebildete Stadtführer, aber auch welche, die sich das mehr oder weniger gut selbst aneignen. Manche geben sich kaum Mühe. Das ist für unser Image ein Problem", bedauert Dita. In schwierigen Zeiten stoße das auf noch mehr Unmut unter den Kollegen als zuvor.
Spezielle Ausbildung für die Fahrer
Dem hat Falk Hilber entgegenwirken wollen. Er ist der Gründer der Plattform rikschaguide.com. Gemeinsam mit dem Referat für Arbeit und Wirtschaft hat er die Ausbildung zum Rikschaguide ins Leben gerufen. Sie ist ähnlich der Gästeführer-Ausbildung, wurde aber speziell auf Rikschatouren angepasst. "Ich habe die Touren ausgearbeitet. Es war mir unheimlich wichtig, denn für die Fahrer ist das eine Horizonterweiterung", findet Hilber.
Seine Plattform rikschaguide.com ist solidarisch organisiert. Die Rikschafahrerinnen und Rikschafahrer entrichten einen Jahresbeitrag und können sich auf der Website präsentieren. Wenn sie direkt gebucht werden, müssen sie keine Provision abgeben. Sie fahren auch gemeinsam bei größeren Events, wie bei Hochzeiten und Junggesellenabschieden, die über das Portal gebucht werden.
Hilber hatte Glück. Mit einem zweiten Start-up konnte er sich durch die Krise retten und seine Plattform querfinanzieren. Er verkauft seine selbst entwickelten Rikschas an Privatkunden. Sie eignen sich ideal für Familienausflüge und Unternehmungen mit alten oder bewegungseingeschränkten Menschen.
Stadt kommt Rikschafahrern entgegen
Das Geschäft ist gut angelaufen. Seit Januar benötigt er keine staatlichen Hilfen mehr. Das hat es ihm ermöglicht, den Fahrern entgegenzukommen. Während der Pandemie verlangt er die Beiträge nur auf freiwilliger Basis. Auch die Stadt kommt den Rikschafahrern entgegen. Neben dem Gewerbeschein benötigen Fahrer, die im Tagesgeschäft und nicht nur bei gebuchten Terminen tätig sind, eine Reisegewerbekarte. Die Gebühr für eine unbefristete Reisegewerbekarte kostet 270 Euro, seit Januar 2021 ist es möglich, eine auf ein Jahr befristete Reisegewerbekarte zu beantragen für 150 Euro.

Außerdem hat das Mobilitätsreferat im April 2020 die Pflicht für eine Ausnahmegenehmigung zur Personenbeförderung mit dem Fahrrad aufgehoben. Das spart den Fahrern Verwaltungskosten, wenigstens eine kleine Erleichterung. Dass es im Interesse der Politik ist, die Rikschabranche zu erhalten, davon ist Maximilian Zwez überzeugt. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Alexander führt er das Unternehmen Lederhosen-Express. "Wenn wir unsere Nachhaltigkeitsziele wirklich verfolgen und die Innenstadt in einigen Jahren autofrei wird, dann werden wir gebraucht", sagt Zwez.
Schon jetzt würden Rikschas teilweise im Schienenersatzverkehr eingesetzt, vor kurzem erst in Wolfratshausen. "Unsere E-Rikschas sind ideal für die Personenbeförderung in einer autofreien Innenstadt." Aktuell könnten Rikscha-Taxis preislich nicht mit anderen Verkehrsmitteln konkurrieren: "Ich würde mir wünschen, dass die Politik frühzeitig zusammen mit uns Rikscha-Vermietern in Kontakt tritt, um gemeinsam eine vorausschauende Lösung zu erarbeiten.