Aufstand der Friseure

Zwei Euro pro Kunde, blanko Arbeitsverträge, Erpressungen und Frechheiten vom Chef: Die Innung und Verdi klagen gemeinsam an.
Willi Bock |
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Vier Friseure – und nur einer wird von seinem Chef fair bezahlt und behandelt: Der Mann – Oliver Riepl. Seine drei Kolleginnen mussten sich viel gefallen lassen und wollen ihr Gesicht nicht zeigen.
Daniel von Loeper Vier Friseure – und nur einer wird von seinem Chef fair bezahlt und behandelt: Der Mann – Oliver Riepl. Seine drei Kolleginnen mussten sich viel gefallen lassen und wollen ihr Gesicht nicht zeigen.

München - Sie sollen es schön richten, sie sollen es stylish richten, sie sollen immer zuhören und freundlich sein: die Friseure. Doch hinter manchem Salon sieht es schockierend aus: miese Bezahlung und unwürdige Arbeitsbedingungen. Wie ein Lauffeuer verbreiten sich immer mehr Billigfriseure und verschlechtern die Zustände weiter.

In dieser Situation kommt es zu einem ungewöhnlichen Bündnis: Die Landesinnung der Friseure und die Gewerkschaft Verdi kämpfen Seite an Seite. Es ist der Aufstand der fairen Friseure. Sie haben einen neuen Gehaltstarif vereinbart, der einen Mindestlohn sichert (7,62 Euro die Stunde für Berufseinsteiger). Und er bietet erstmals den Ungelernten ein Mindesteinkommen von 7,51 Euro die Stunde.

„Die Billigfriseure nehmen in einem atemberaubenden Tempo zu“, sagt Josef Wieser von der Innung. Die nehmen oft nur neun Euro pro Schnitt. Davon kann kein normaler Friseur leben. „Wir sind uns einig, dass wir keine schwarzen Schafe haben wollen“, so Verdi-Chef Heinrich Birner.

„Was wir hören, ist erschreckend“ sagt Wieser: Bei Billigfriseuren bekommen Mitarbeiter oft nur zwei Euro pro Kunde; viele haben keinen Arbeitsvertrag, und wenn dann die Aufsicht kommt, behaupten sie, dass sie zum „Probearbeiten“ da sind. Manche Chefs stellen Friseure auf 400 Euro Basis ein und stecken ihnen den Rest schwarz zu; es gibt Filialen, die werden von Lehrlingen geführt; Jungmeister bekommen Teilzeitverträge – und müssen Vollzeit arbeiten.

Schon 40 Prozent der Betriebe haben nach Erkenntnissen der Innung einen Jahresumsatz von unter 17 500 Euro. In München 300 bis 400. Wieser: „Da schaut kein Finanzamt nach.“ Viele sind nur „Stuhlmieter“: Inmanchen Salons ist jeder Stuhl einzeln an „Selbständige“ vermietet.

Vier Beispiele zeigt die Gewerkschaft der AZ. Der einzige unter ihnen, der fair behandelt wird, ist ein Mann. Schlechter sieht’s aus bei:

  • Stefanie Meier (23, alle Namen geändert): Sie arbeitete 1,5 Jahre ohne Vertrag in einem Salon und bekam 500 Euro unter Tarif – bei einer 46-Stunden-Woche (Brutto: 800 Euro). Als sie schwanger wurde, kündigte ihr der Chef (gesetzeswidrig). Ein Anwalt klagte den Lohn ein. Jetzt ist sie auf der Meisterschule.
  • Annemie Müller (22): Sie musste sich vom Chef Frechheiten gefallen lassen. Er habe sie vor Kunden runtergemacht.
  • Hanna Felder (25, Abiturientin): „Ich habe selbst im hochpreisigen Segment erlebt, dass man blanko Arbeitsverträge unterschreiben musste.“ Sie selbst hatte ein Jahr lang überhaupt keinen. „Auch Azubis arbeiten länger als sie dürfen.“ Als sie eine Gehaltserhöhung aushandelte, zahlte ihr Chef nur zwölf statt 120 Euro Lohnsteuer im Monat. Das Finanzamt kassierte die Differenz bei ihr! Erpressung („Es stehen genug Friseure bereit“) sei an der Tagesordnung. In einem „Salon“ habe sie wie am Fließband gearbeitet, 20Minuten für einen Herrenschnitt. „Quatsch Kundenbindung“, habe der Chef genölt, „föhn das weg und Schluss.“

Innungsmann Wieser klagt: „Die verderben den Ehrlichen das Geschäft.“

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