Auf Nimmerwiederhören: Abschied von den Telefonzellen

München - Ein Wochentag am Goetheplatz, früher Nachmittag. Im Herzen der Stadt markiert gerade ein Hund eine – inzwischen – echte Rarität: eine Telefonzelle, die hier direkt vor der Postfiliale (inzwischen ebenfalls ein seltener Anblick, doch das ist ein anderes Thema) steht. Daneben parken E-Scooter, die, so viel sei schon verraten, weit größere Aufmerksamkeit genießen werden als das öffentliche Telefon.
Abschied von den Telefonzellen: Nur noch fürs Radlschloss
Immerhin taugt die Zelle noch als Anker für ein Radlschloss. Ansonsten aber, das werden die nächsten anderthalb Stunden zeigen, ist's doch reichlich einsam für das pink-edelstahlfarbene Relikt.
Die meisten Münchner haben nur Desinteresse für die Telefonsäule übrig – wie die junge Passantin, die auf ihr Handy fixiert ist und fast gegen die seitlich angebrachte Glasscheibe läuft. Ein junger Fußgänger steht ganz selbstverständlich mit seinem Smartphone telefonierend neben der Säule – ein Sinnbild dafür, dass die Zeit der öffentlichen Fernsprecher endgültig abgelaufen ist. Auch das Exemplar in der Mozartstraße dient mehr als Litfaß- denn als Telefonsäule: Graffitis, Antifaschismus- und Klimastreik-Sticker, auf dem Telefonhörer steht: "Sag ihr, dass du sie liebst".

Vielleicht ein Anklang auf vergangene, bessere Zeiten, als Verliebte stundenlang an den Hörern hingen. Kultstatus genießen die Telefonzellen bis heute – doch ihr Ende ist da.
Seit Montag: Keine Münzzahlung mehr an den Telefonzellen
Denn am Montag ist die Münzzahlung für die Zellen bundesweit deaktiviert worden. Ende Januar soll dann der gesamte Telekommunikationsdienst eingestellt werden (AZ berichtete). Das Konzept der öffentlichen Telefone zahlt sich nicht aus, die Kosten sind zu hoch. "Es gibt rund 3800 Standorte, an denen im letzten Jahr kein einziges Gespräch geführt wurde", sagt Markus Jodl von der Deutschen Telekom der AZ.
Nach fast 142 Jahren geht damit eine Ära zu Ende. War es früher noch mit nostalgischen Gefühlen verbunden, seine Liebsten aus dem gelben Häuschen im Ausland Grüße zu schicken, um sich nah zu sein, so kommt diese Emotion mit der Generation Smartphone nicht mehr auf.
Vom "Fernsprechkiosk" über den "Münzfernsprecher", das "Telefonhäuschen", bis hin zu den "Fernsprechhäuschen" und "Telestationen" haben sich nicht nur die Bezeichnungen für die Telefonzellen geändert. Auch an der Optik hat sich etwas getan, weil es mit der Original-Form Probleme gab, Stichwort: Vandalismus und Diebstahl.
Wegen hoher Reinigungs- und Stromkosten reagierte die Deutsche Telekom mit einem neuen Design Mitte der 90er-Jahre - von den gelben Kästen hin zu den grau-magentafarbenen Telefonsäulen, von denen bundesweit noch rund 12 000 übriggeblieben sind. Die "Telestationen" sollten keinen Wind- und Lärmschutz mehr bieten - der Erfolg war mittelmäßig. Die Säulen boten zwar weniger Angriffsfläche, doch Vandalismus blieb ein Problem - ebenso wie vermeintliche Spaßvögel, die Fehlalarme bei Polizei und Feuerwehr auslösten.
Trauern Münchner den Telefonzellen hinterher?
All das scheint in der heutigen Smartphone-Welt weit weg. Trauern die Münchner den Telefonzellen hinterher? Ein älterer Mann, der gerade sein Fahrrad abgestellt hat, sieht's gelassen: "Es gibt so vieles schon nicht mehr. Aber man kann nichts machen", sagt er der AZ.
Eine Frau mit Hund meint lachend: "Eigentlich sind sie nicht mehr wirklich zu was nütze - außer, dass Hunde hinpieseln." Sie selbst wohne in der Nähe und habe die Telefonsäulen noch nie gebraucht.
Ein junger Wahl-Münchner, der aus Berlin gekommen ist, sieht das schon etwas nostalgischer: "In meiner Heimatstadt hatten wir in unserer Straße ein altmodisches gelbes Telefonhäuschen. Dort trafen sich ältere Damen zum Häkeln", erinnert er sich. "So wurden die Telefonhäuschen verschönert und hatten auch einen Nutzen für die Gesellschaft. Ist schon traurig, dass sie weg sind. Es war schön zu sehen, was die älteren Damen für ein Kunstwerk geschaffen haben."
Ein paar Telefonzellen-Liebhaber, die das Ende nicht wahrhaben wollten, wurden erfinderisch. Sie gaben dem öffentlichen Telefon eine neue Funktion. Katja Kunicke, Bloggerin der Deutschen Telekom, berichtete 2016 zum Beispiel, ein Fan habe sich einen Duschkopf in das Telefonhäuschen montiert und es so zu einer Gartendusche umfunktioniert.
Ob das ein Schicksal für die Telefonsäule am Goetheplatz oder eine der anderen noch in München existierenden sein könnte? Wie viele es in der Stadt noch gibt, können weder die Stadt selbst noch die Telekom sagen. Wer bei Google Maps schaut, sieht Einträge etwa in der Bayerstraße, am Weißenburger Platz, in der Landsberger Straße und einigen weiteren Orten. Wer mag, kann die Augen in nächster Zeit ja einmal bewusst offen halten für die Raritäten - solange es sie noch gibt.