Auf freiem Fuß - mit dieser Fessel
Nächstes Jahr sollen in Bayern entlassene Straftäter mit einem elektronischem Gerät überwacht werden. Ein Mann hat es freiwillig getestet
MÜNCHEN „Nach 48 Stunden wollte ich das Ding abschneiden.” Hans Stötzel (68) ist der erste Bayer, der eine elektronische Fußfessel ausprobiert hat. Der ehemalige Bewährungshelfer stellte sich dem Justizministerium als Testperson zur Verfügung. Vor einer Woche band man ihm das so genannte One-Track-Gerät am linken Knöchel fest. Und nichts war mehr wie vorher.
Zunächst stellte sich heraus, dass die Fessel viel zu locker saß. „Das Gerät schlug entweder ans Schienbein oder an den Knöchel. Ich hab’ versucht, die Druckstellen mit Mullkompressen zu schützen. Es hat nichts genutzt.” Erst als man ihm das Gerät enger ans Bein bindet, hören die Beschwerden auf.
Plötzlich ging alles ganz leicht. Duschen, schlafen, joggen, Fußball spielen, selbst Sex war jetzt kein Problem mehr: „Meine Frau hat’s nur amüsiert”, sagt Stötzel im AZ-Gespräch und lacht.
Nur bei einer besonderen Yoga-Position war der Fremdkörper am Bein noch hinderlich. Stötzels Fazit: „Der Tragekomfort steht und fällt damit, dass die Fessel eng sitzt.”
Bis zu 500 Sexual- und Gewalttäter, die aus der Haft entlassen wurden, können bundesweit mit einer solchen elektronischen Fußfessel ausgestattet werden. Der Staatsvertrag, der die Kooperation der Länder regelt, ist bereits unterschrieben. Jetzt muss noch der Landtag zustimmen, damit es 2012 losgehen kann. 8000 bis 10 000 Euro kostet die Fessel pro Proband und Jahr. Sie soll das Land sicherer machen, weil rückfallgefährdete Täter lückenlos überwacht werden.
Die technische Zentrale sitzt in Hessen. Wenn der Alarm dort per GPS eingeht, wird bei bayerischen Probanden die Kontaktstelle in München informiert. Innerhalb weniger Minuten kann dann Kontakt mit dem Verurteilten aufgenommen werden. Wenn dieser nicht ans Handy geht, wird eine Polizeistreife in die Verbotszone geschickt (in der Praxis werden das zum Beispiel Opferwohnungen oder Kindergärten sein).
Für Bayerns Justizministerin Beate Merk ein Baustein für mehr Sicherheit, aber kein Allheilmittel, wie sie gestern bei der Vorstellung der Fußfessel im Justizpalast mehrfach betonte. „Vollkommene Sicherheit gibt es nur bei Verwahrung des Täters.”
Dass das System technisch kompliziert, aber zuverlässig ist, das soll die Testphase zeigen. Je fünf Testpersonen in München und Traunstein tragen noch bis diesen Donnerstag Fußfesseln. Sie sollen bewusst Verbotszonen betreten – oder versuchen, die Fessel ganz loszuwerden.
So wie Hans Stötzel, der irgendwann zum Messer griff. „Das hat ganz schön Kraft gekostet. Das Band ist mit Glasfasern ausgestattet.” Drei Minuten, nachdem er es geschafft hatte, kam der Anruf: „Was haben Sie mit der Fessel gemacht?” Der Alarm funktionierte.
Wie lückenlos die Überwachung funktioniert, erfuhr Stötzel, als er verbotenerweise mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof fuhr. Tief im Untergrund erreichte ihn der Anruf. „Sie sollten doch am Karlsplatz aussteigen.” – „Das war schon erschreckend”, erinnert sich Stötzel.
Die ständige Überwachung löst ein „beklemmendes Gefühl” aus. Merk erhofft sich einen abschreckenden Effekt: „Wenn die Probanden das wissen, überlegen sie sich es vielleicht noch einmal.”
Ein zweiter beklemmender Faktor ist das Stigma der Fußfessel. Hans Stötzel berichtet von einen besonderen Vorfall: „Ich saß in der U-Bahn, habe die Beine übereinander geschlagen. Das Gerät war sichtbar. Zwei Rentnerpaare begannen zu tuscheln. ,Was hat der denn da?’” Ein unangenehmer Moment. Bis eine der Frauen scheinbar die Lösung wusste: „Das ist eines dieser neuen Blutdruckmessgeräte!”
Stötzel war gerettet. Die Aggressionen der Anderen und den Rechtfertigungszwang, wenn die Fessel entdeckt wird, hat er gleichwohl deutlich gespürt.
Einen Härtetest plant er noch: „Ich will mit der Fußfessel ins Nordbad. Mal sehen, was passiert. Vielleicht schmeißen die mich ja raus.”