Auf Fleisch verzichten? Expertin weiß, wie Kantinen nachhaltig werden können

Viel Wasser und viel CO2 – das ist der Preis für einen Teller Spaghetti Bolognese. Aber es geht auch klimafreundlich, findet Silke Brugger. Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit in der Küche und will Kantinen zum Umdenken bringen.
von  Hüseyin Ince
„Geschmack ist der Schlüssel“: Silke Brugger in der Schulungs-Großküche im Haus der Kost im Munich Urban Colab.
„Geschmack ist der Schlüssel“: Silke Brugger in der Schulungs-Großküche im Haus der Kost im Munich Urban Colab. © Bernd Wackerbauer

Silke Brugger ist Ökotrophologin und beschäftigt sich für die Stadt München mit klimafreundlicher Ernährung. Im Haus der Kost organisiert sie Nachhaltigkeits-Schulungen für Großküchen.

AZ: Frau Brugger, die Stadtverwaltung hat das Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, sprich, den CO2-Fußabdruck der Stadt deutlich zu verkleinern. Wie hilft ein Haus der Kost dabei?
SILKE BRUGGER: Essen ist Klimaschutz mit Messer und Gabel. Jeder Münchner hat die Möglichkeit, sich tagtäglich bewusst zu entscheiden. Ernährung hat einen sehr großen Effekt auf die Klimafreundlichkeit. Und kann selbstverständlich einen wichtigen Beitrag zu Nachhaltigkeit und weniger CO2-Ausstoß leisten.

Welche Rolle spielen da die Münchner Großküchen?
Sie sind ein Multiplikator, ein sehr großer Hebel für uns im Haus der Kost, um etwas zu verbessern.

Wenn man mit wenig CO2-Ausstoß essen will...
... kann man sich an die Planetary Health Diet halten.

Das bedeutet?
Am Ende heißt es: regional, saisonal und auch Produkte mit Bio-Label zu essen.

Heißt klimaneutral auch CO2-arm?
Es geht darum, den Planeten gesund zu halten, um die Ökobilanz beim Essen. Und ein Aspekt, den viele vergessen: Es geht auch darum, den Menschen gesund zu halten. Also weniger Fleisch, pflanzenbetont, mehr Nüsse und Hülsenfrüchte, weniger Zucker, mehr Vollkorn.

Also klimaneutral heißt automatisch auch gesünder?
Das würde ich definitiv sagen.

Fleisch wird ja als CO2-Treiber gesehen.
Das muss man differenzieren. Rinder können unsere Landschaftspfleger sein. Sie sorgen dafür, dass CO2 gebunden wird, indem sie Gras wiederkäuen. Der Boden wird verdichtet, es baut sich Humus auf.

"In der Klimabilanz geht es darum, Fleischkonsum zu reduzieren"

Also ist Fleisch gar nicht so schlimm für die Ökobilanz?
Wenn Landwirtschaft nicht intensiv betrieben wird, sondern maßvoll wie beim Bio-Anbau, ist sie gut für die Umwelt. Deswegen geht es in der Klimabilanz darum, Fleischkonsum zu reduzieren. Man muss natürlich nicht darauf verzichten.

Welchen Effekt hatte Corona auf die nachhaltige Ernährung?
Jeder hat gemerkt, dass wir keine Versorgungssouveränität haben und wie abhängig wir von internationalen Lieferketten sind. Und da hilft es natürlich auch, mit dem Dreisatz regional, saisonal und Bio zu wirtschaften.

Das Thema Fleisch polarisiert die Menschen. Wie viel Fleischkonsum könnte man als nachhaltig bezeichnen?
Wie zu Großmutters Zeiten: der Sonntagsbraten. Einmal pro Woche ein Stück Fleisch aus ökologischer Tierhaltung aus der eigenen Region. Das ist in etwa das Maß, um klimaneutral zu konsumieren. Dazu Beilagen mit Hülsenfrüchten. Daraus kann auch das Hauptgericht bestehen. Fleisch muss nicht immer im Mittelpunkt sein.

Es gibt Buchautoren, die wollen es ganz genau errechnet haben: Verursacht Spaghetti Bolognese 1,5 Kilogramm CO2?
Ich habe bei „Delicious Data“ nachgeschaut: 1,3 Kilogramm. Und 1,2 Kilogramm Wasserverbrauch. Die vegetarische Variante erzeugt 0,5 Kilogramm CO2.

So genau lässt sich das sagen?
Es kommt immer darauf an, wie groß der Fleischanteil ist. Es gibt so viele Bolognese-Rezepte. Man könnte mit einem hohen Linsenanteil kochen, um den CO2-Anteil zu reduzieren. Das würde geschmacklich niemanden stören.

Was würden Sie Menschen sagen, die das alles beachten, aber frustriert sind. Nach dem Motto: Ich habe im vergangenen Jahr mit bewusster Ernährung und Mobilität ein paar Tausend Kilo CO2 eingespart, aber die Industrie bläst das Zeug täglich tonnenweise raus.
Es kommt auf jeden Einzelnen an. Wir sind alle Teil eines großen Ganzen. Es geht auch um emotionale Fakten, wenn ich durch mein Verhalten dazu beitrage, dass mehr Bienen unterwegs sind, weil der regionale Bauer einen Grünstreifen auf seiner Fläche stehen lassen konnte, wenn der Landwirt in der Region gut überleben kann.

Wie überzeugt man einen, der seit 20 Jahren dreimal pro Woche Currywurst in der Kantine isst, häufiger etwas Vegetarisches zu nehmen.
Nachhaltig zu essen, kann so gut schmecken und aussehen. Im Haus der Kost wollen wir niemandem die Currywurst wegnehmen, sie ist in Kantinen der Renner. Wir wollen nur für den Effekt sorgen, dass der Currywurst-Liebhaber das Essen beim Tischnachbarn entdeckt und sagt: Mensch, die vegetarische Bowl heute sieht ja gut aus, mal als Abwechslung zur Currywurst. Mit einem richtig guten Johannisbeeren-Essig-Dressing. Kein erhobener Zeigefinger. Geschmack ist der Schlüssel.

300.000 Münchner essen täglich außer Haus

Was halten Sie vom Veganuary, dem fleischfreien Januar?
Solche freiwilligen Angebote sind sehr spannend. Man bekommt auf der Homepage tolle Rezepte. Und heutzutage ist das Angebot in Supermärkten viel größer. Es macht Spaß.

Vielen fehlt die Zeit dafür.
300.000 Münchner essen täglich außer Haus. Umso wichtiger ist es, dass ich in der Kantine ein vielfältiges Angebot habe. Und da geht es nicht um die größte Variation. Häufig ist es wesentlich sinnvoller, eine kleine Menü-Linie zu fahren. Zwei bis drei Gerichte statt zehn, immer mit vegetarischer oder veganer Alternative.

Warum ist das sinnvoller?
Weil dann viel weniger weggeschmissen wird.

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