Auch in München: Datenstriptease bei der Wohnungssuche

München - Ein Herbstabend in München, kurz vor 18 Uhr. Ein Pulk junger Leute steht vor einem schmucklosen Mehrfamilienhaus aus den 70ern. Alle warten auf eine blonde Frau im roten Blazer. Sie hat etwas Heißbegehrtes zu vergeben: ein Apartment, 28 Quadratmeter, "mit guter Infrastruktur und Balkon". So steht es im Angebot der Maklerfirma ProEigentum Immobilien GmbH.
Die Wohnungssuchenden haben sich vorbereitet. Kaum jemand kommt ohne Informationen, die er sonst sogar Freunden nicht offenbaren würde: Einkommensbescheide zum Beispiel. Viele Vermieter wollen solche Dokumente schon vor der Besichtigung sehen, auch wenn das den Datenschutzgesetzen widerspricht. Und manche Interessenten geben persönliche Dinge ungefragt preis, einfach, weil sie auf dem Wohnungsmarkt um jeden Vorteil kämpfen müssen.
"Here's all the information" - alles da, so tönt es aus einem Bewerbungsgespräch. Der Anwärter hat eine Mappe dabei, Schufa-Bonitätsauskunft inklusive. Immobilienwirtin Anna Maria Grohmann - die Frau im roten Dress - muss sogar einige Leute bremsen. Manche Informationen weist sie zurück. Allerdings hat ihr Büro angesichts der Bewerbermassen vorher schon gesiebt: ProEigentum setzt eine Software ein, um eine Vorauswahl zu treffen - damit nicht alle 600 Interessenten durchgeschleust werden, sondern nur um die 60.
So sind an diesem Abend in Berg am Laim bis zu zehn Anwärter im Viertelstundentakt gekommen, um die Ein-Zimmer-Wohnung anzuschauen. 555 Euro plus Heizkosten verlangt der Vermieter - knapp 20 Euro pro Quadratmeter. Viel Geld, aber kleine Wohnungen sind rar.
40 Bewerbungen - zwei Einladungen
Eine schlanke 19 Jahre alte Münchnerin sucht seit drei Monaten vergeblich. "Viele Rückmeldungen bekomme ich leider nicht." 40 Bewerbungen - 2 Einladungen, das ist ihre Ausbeute. Vielleicht ist der Verdienst zu gering? 1.100 Euro netto, gibt sie fast verschämt an. "Wenn Sie sich bewerben und diese Summe reinschreiben, dann lädt Sie keiner ein", rät Grohmann mütterlich.
Dabei muss, wer eine Besichtigung wünscht, nur Namen und Kontaktdaten angeben, sagen, ob Tiere gehalten werden - abgesehen von Kleintieren. Fragen nach Vorstrafen, sexueller Orientierung, Schwangerschaften, Kinderwunsch, Heiratsabsichten, Mitgliedschaften in Parteien und Mietervereinen sowie die Frage nach der Beschäftigungsdauer sind unzulässig.
Auch die pauschale Frage nach Religion und Nationalität ist nicht erlaubt. Die geforderten Einkommensnachweise müssen in der Regel erst vorgelegt werden, wenn der Vermieter sich für einen Bewerber entschieden hat. Doch die Realität sieht anders aus. Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz sind kein Einzelfall.
86 Makler - Nur einer ohne Beanstandung
Dabei sind Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz offenkundig. 2015/16 blieb bei einer Überprüfung in Bayern nur einer von 86 Immobilienmaklern unbeanstandet, wie Alexander Filip berichtet, Referatsleiter beim Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA). Ausweiskopien seien vor oder bei der Besichtigung verlangt worden. Es seien nicht benötigte Daten gefordert worden, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Daten zum Vorvermieter und Grund des Wohnungswechsels. Man habe die Makler aufgefordert, solche Fragen zu entfernen.
Freiwilligkeit ist kaum gegeben
Weil die Lage in Großstädten besonders krass ist, spitzt sich auch das Datenproblem dort zu. In einem Neubaugebiet in Neuhausen umringen mehrere Bewerber die Maklerin. "Soll ich Ihnen die Mappe gleich mitgeben?", fragt ein Mann. Seine Begleiterin ergänzt: "Brauchen Sie unsere Ausweiskopien?" Das nicht, aber ein Foto der Bewerber für den Vermieter wird gewünscht.
Dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert, scheint Verbandsmanager Ropertz unwahrscheinlich: "Wenn sich 50 Millionen Mieter in Deutschland einig sind, dass sie diese Unterlagen nicht angeben . . ." Dann würde etwas kippen. Aber: "Einer will schöner sein als der andere."
Wer sich trotz aller Zwänge wehren möchte, kann vor Gericht um Schadenersatz kämpfen. Oder er wendet sich an seine Datenschutzbehörde. Wird ein Rechtsverstoß festgestellt, kann das Amt eine Geldbuße verhängen, sofern auch der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt ist. Aber das Bayerische Datenschutzamt hat in solchen Fällen noch keine Geldbußen verhängt. Möglich wären sie bis zu einer Höhe von 300.000 Euro.
Auch auf der Seite der Vermieter weiß man um die Konflikte. "Das Problem ist bekannt", sagt Julia Wagner, Rechtsreferentin bei Haus und Grund. "Man sollte als Vermieter darauf achten, dass man nur anfragt, was relevant ist." Dennoch gibt sie zu bedenken: "Eine Personalausweiskopie ist wichtig, sollte der Mieter sich als Betrüger herausstellen."
Die Versicherungskammer Bayern begründet ihre Vorabfragen mit Effizienz. "Es ergibt keinen Sinn, Besichtigungstermine zu vereinbaren, die unseren Anforderungen nicht entsprechen, weshalb wir die Angaben aus der Selbstauskunft wünschen." In der Auskunft werden unter anderem Nettoeinkommen und Zahlungsverpflichtungen abgefragt.
Wird sich am Datenstriptease bald etwas ändern? Das Landesamt für Datenschutzsicherheit in Bayern möchte eine neue Überprüfung von Maklern starten - wie 2015/2016. Immerhin ein Anfang.
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