Attentat auf jüdisches Altenheim: Der vergessene Anschlag

Im Februar 1970 wurden bei einem Attentat auf das jüdische Altenheim sieben Menschen ermordet. In der AZ spricht der Historiker Olaf Kistenmacher über die Hintergründe – und die Frage, warum es kein Mahnmal gibt.
Felix Müller |
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Eine Bewohnerin wird am 13. Februar 1970 von Feuerwehrmännern aus dem brennenden Altenheim gerettet.
imago/dpa Eine Bewohnerin wird am 13. Februar 1970 von Feuerwehrmännern aus dem brennenden Altenheim gerettet.

München - AZ-Interview mit Olaf Kistenmacher. Der promovierte Historiker ist Antisemitismus-Experte und arbeitet unter anderem an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Der Hamburger Historiker wird am Sonntagabend in der Favorit Bar einen Vortrag zum Thema halten. Im Interview erklärt er vorab, was man heute über den Anschlag weiß – und was immer noch nicht.

AZ: Herr Kistenmacher, was weiß man sicher: Was ist am 13. Februar 1970 in der Reichenbachstraße passiert?
OLAF KISTENMACHER: Man weiß, dass ein Brand gelegt wurde, vermutlich von mehreren Personen. Das kann man aufgrund der Brandbeschleuniger sagen. Und man weiß, dass sieben Menschen im jüdischen Altenheim getötet wurden, alle Überlebende des Holocaust.

Sieben Tote bei einem Anschlag, aber kein Mahnmal, viele Münchner wissen heute gar nichts davon. Wie lässt sich das erklären?
Das Ereignis ist überschattet worden vom Anschlag bei den Olympischen Spielen zwei Jahre später. Der ist unter einer viel größeren öffentlichen Aufmerksamkeit passiert, dazu kamen die Fehler der Polizei, die ja zur Gründung der GSG 9 führten. Ein Mahnmal dafür gibt es aber trotzdem auch erst – mit großer Verspätung – seit vergangenem Jahr.

Nach dem Brandanschlag auf das Altenheim gab es kein Bekennerschreiben. Die waren in der linksradikalen Szene der 70er aber eigentlich üblich, oder?
Ja, aber zu diesem Anschlag nicht. Kurz zuvor gab es zum Beispiel einen Anschlag auf einen Richter. Vor fünf Jahren hat ein Mensch zum Focus gesagt: Ich war bei dem Anschlag dabei – und ich kenne auch die Menschen, die den Anschlag auf das Altenheim begangen haben. Deshalb sind die Ermittlungen dann noch einmal aufgenommen worden.

Der Anschlag auf den Richter kam von Linken?
Genau. Da werden immer Gruppen genannt wie die Tupamaros München, Leute der sogenannten Aktion Südfront. Fritz Teufel war sicher der bekannteste Name aus diesem Umfeld. Und in dem Milieu bewegten sich spätere RAF-Mitglieder wie Irmgard Möller.

Bei dem Anschlag in München wurden gezielt Jüdinnen und Juden angegriffen. Inwiefern gehörte Antisemitismus damals zur Ideologie der Linken in der Bundesrepublik?
Er gehörte dazu. Drei Monate vor dem Anschlag in der Reichenbachstraße hatte es in Berlin den Versuch eines Anschlags auf die Jüdische Gemeinde gegeben. Zu diesem Anschlag hatten sich die Tupamaros West-Berlin/Schwarze Ratten in einer Szenezeitschrift bekannt. Inzwischen kennt man sogar den Täter, Albert Fichter, der zugegeben hat, die Bombe damals deponiert zu haben. Und das Bekennerschreiben der Tupamaros West-Berlin war ganz typisch für den Antisemitismus der Linken in der Zeit.

Wie wurde argumentiert?
In Israel kehre der Nationalsozialismus wieder, deshalb müssten Linke in der Gegenwart gegen Israel sein. Diese Argumentation findet sich ja in Teilen der Linken bis heute. Damals vertraten solche Thesen übrigens auch Linke, die Bombenanschläge verurteilten, weil dort auch Unschuldige getötet werden konnten.

Gab es eine kritische Diskussion über linken Antisemitismus?
Es gab einzelne kritische Stimmen, etwa von Jean Améry, die das relativ früh benannt haben.

Und hatten die Behörden das im Auge?
Das kann ich nicht so sagen. Aber insgesamt hat der Staatsschutz eine problematische Rolle gespielt. Zum Beispiel hat ein V-Mann in Berlin das Bombenmaterial besorgt.

Sie sprechen immer von großen Unterschieden zwischen dem Berliner und dem Münchner Anschlag. Welche sind das?
Vor allem, dass sich bis heute niemand bekannt hat. Die Tupamaros München haben sich seinerzeit sogar in einer Art Pressemitteilung distanziert. Sie haben gesagt: Wir waren es nicht. In Berlin hingegen hat man sich offensiv bekannt.

Wenn Bekennerschreiben damals so üblich waren, spricht das eigentlich dagegen, dass in München die Täter Linksradikale waren, oder?
Man muss zumindest zur Kenntnis nehmen, dass es kein Bekennerschreiben gab. Das ist schon bemerkenswert. Die Bundesanwaltschaft hat übrigens, als sie 2017 die Ermittlungen wieder eingestellt hat, klargestellt, dass sie auch noch mal in Richtung rechte Szene ermittelt haben. Es hätten sich aber keine belastbaren Spuren gefunden.

Was spricht denn für die These, dass die Täter Rechtsextreme waren?
Der Anschlag selbst. Aus heutiger Sicht denkt man bei einem Brandanschlag auf eine jüdische Einrichtung gleich an Rechtsextreme, sowas hat es ja immer wieder gegeben.

"Dass alle schon tot sind, die etwas wissen? Sehr unwahrscheinlich"

Wurde das damals nicht so gesehen?
Nein, dazu habe ich gar nichts gefunden. Sogar der Sozialistische Deutsche Studentenbund, der sich damals distanziert hat, schrieb: Das sei nicht der richtige Weg, um den Zionismus anzugreifen. Das liest sich auch so, als wären sie selbst fest davon ausgegangen, dass der Anschlag aus der Linken kam.

Spricht irgendetwas dafür, dass der Anschlag in der Reichenbachstraße noch einmal eine größere Aufmerksamkeit bekommt?
Leider nein. Dabei kann ich mir 48 Jahre danach nicht vorstellen, dass es niemanden mehr gibt, der einen Täter oder eine Täterin kennt. Ich halte für sehr unwahrscheinlich, dass alle Menschen, die irgendwie etwas wissen, gestorben sind. Es wäre sehr wichtig, sicher zu wissen, wer das getan hat.

Was würde es bedeuten, wenn es rechte Attentäter gewesen wären?
Das würde die ganze Perspektive auf Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik verändern. Es ist mir wirklich ein Rätsel, warum dieser Anschlag immer noch so eine geringe Aufmerksamkeit bekommt.

Immerhin: Jetzt gibt es mal einen Vortrag dazu.
Ja, aber auch das ist ja ein bisschen merkwürdig und befremdlich: dass erst ein Historiker aus Hamburg nach München kommen muss, damit einmal darüber gesprochen wird.


Unter dem Titel "Nie aufgeklärt und fast vergessen" spricht Olaf Kistenmacher am Sonntag, 11. Februar, ab 20.30 Uhr in der Favorit Bar, Damenstiftstraße 12, zu dem Anschlag. Eintritt frei.

Lesen Sie hier: Antisemitismus-Vorwurf: Knobloch siegt vor Gericht gegen Publizist

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