Asylbewerber: Ärzteverein kümmert sich um die Versorgung von Flüchtlingen

Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen ist meistens schlecht. Ein Ärzteverein möchte das ändern: Er hat in der Bayernkaserne eine Praxis für Flüchtlinge aufgebaut.
von  Sophie Anfang
In diesem Raum werden die Kinder von den Refudocs behandelt.
In diesem Raum werden die Kinder von den Refudocs behandelt. © Petra Schramek

MünchenDer Bub weint, er ist noch ganz klein, keine zwei Jahre alt. Ein Häuflein Elend mit blauen Kulleraugen und roten Bäckchen, das jetzt unglücklich auf der Krankenliege liegt. Sein Bauch tut weh und da ist auch noch der Husten. Die Mutter, eine junge Kosovarin, spricht aufgeregt; angespannt sieht sie aus. Mit ihren drei Kindern ist sie aus dem Land geflohen und hier in einem Container in der Bayernkaserne gelandet. Kein schöner Ort für die Kleinen und jetzt ist einer auch noch krank.

Ein Dolmetscher übersetzt ihre Sorgen vom Albanischen ins Deutsche. Die schnellen Wortwechsel, das weinende Kind, die beiden hibbeligen Geschwister, all das macht eine unruhige Stimmung im Krankenzimmer.

Christian Haas (57) bleibt trotzdem ruhig. Der Kinderarzt leuchtet dem Bub in die Ohren, in den Rachen. Tastet vorsichtig den Bauch. „Das Problem ist der Durchfall, hab ich das richtig verstanden?“ Eine schnelle Übersetzung ins Albanische, die Mutter nickt. „Ich schreib ihm etwas auf, ein Pulver und Zäpfchen für den Durchfall.“ Am Schluss drückt Haas den Kindern noch Zahnbürsten in die Hand. Karies ist ein großes Problem in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Nur eine von vielen medizinischen Nöten, mit denen die Ärzte in der Bayernkaserne konfrontiert sind.

An der Tür wartet schon der nächste Patient

„Das gerade war nichts Ernstes, aber die Möglichkeiten, das abzuklären, sind hier beschränkt“, sagt Haas. Er hat nicht viel Zeit, an seiner Tür wartet schon der nächste kleine Patient, diesmal aus Schwarzafrika.

Einmal pro Woche untersucht Haas Flüchtlingskinder in der Erstaufnahmeeinrichtung. Das Sprechzimmer ist schlicht und funktional eingerichtet: Liege, Medikamentenschrank, Waschbecken, ein Abziehbild mit Blumen am Fenster – für eine freundlichere Stimmung.

„Die Leute, die hierher kommen, haben einen Anspruch auf medizinische Versorgung“, sagt Mathias Wendeborn (55). In der Praxis sieht es meist anders aus: Die Hilfe ist bürokratisch und muss langfristig beantragt werden. Viele Flüchtlinge sind damit überfordert, werden zu spät oder gar nicht behandelt. Das hinter dem Haus 20 in der Bayernkaserne heute zehn Container mit Arztpraxen stehen, die die Flüchtlinge ohne Voranmeldung und Bürokratie aufsuchen können, ist Wendeborns Verdienst. Der Kinderarzt hat „Refudocs“ gegründet. Seit 1. November letzten Jahres kümmert sich der Ärzteverein um die medizinische Erstversorgung der Flüchtlinge.

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Etwa 70 Ärzte engagieren sich für die Refudocs, viele Mediziner im Ruhestand sind dabei: „Die sind hochqualifiziert und hoch motiviert“, sagt Wendeborn. Vier Bereiche decken die Refudocs ab: Es gibt Sprechstunden bei Allgemeinmedizinern, Psychiatern, für Kinder und bei Gynäkologen.

Ihre schlichten Sprechzimmer sind seit Dezember in Containern untergebracht, ein Anbau hinter dem Haus 20. Ikea-Möbel in den Zimmern, Raufaserteppich auf dem Verbindungsgang.

Wendeborn führt nicht ohne Stolz durch die verschieden Räume. Es steckt viel Herzblut in diesem Projekt, das merkt man ihm an. Bevor der Kinderarzt die Staatsregierung von seinem Konzept überzeugte, gab es zwar vereinzelt medizinische Sprechstunden. Ärzte, die zwei bis dreimal die Woche kamen, aus Eigeninitiative den Flüchtlingen halfen. „Die Versorgung war auf Einzelinitiative angewiesen, aber nicht behördlich organisiert“, sagt Wendeborn. Ihm war das nicht genug.

Seit die Refudocs da sind, sind die Sprechstunden regelmäßig

Seit es die Refudocs in der Bayernkaserne gibt, gibt’s regelmäßig Sprechstunden. Je nach Fachbereich sogar täglich. Die Stadt München stellt die Dolmetscher, die Staatsregierung die Räume und eine Anschubfinanzierung, der Verein kümmert sich ums Praktische.

Noch etwas ist besonders an den Refudocs – sie arbeiten nicht im Krankenversicherungssystem. Für die Flüchtlinge bedeutet das: Sie müssen nicht erst einen Krankenschein beim Sozialamt beantragen, bevor sie sich behandeln lassen können. „Das ist der Zauber an unserer Praxis“, sagt Wendeborn, „dass wir weniger bürokratische Barrieren haben.“

Vergütet werden die Ärzte von der Regierung von Oberbayern mit einer Pauschale – zumindest theoretisch: „Wir sind tatsächlich unbezahlt seit 1. November“, sagt Wendeborn. Aber die Rechnungsstellung sei nicht perfekt gewesen und ziehe sich trotz Korrektur immer noch hin.

Dabei gibt es auch von Tag zu Tag viel an Organisation zu bewältigen. Das sieht man, sobald man die Container verlässt und das Haus 20 betritt. Früher war hier eine Wärmestube, heute ist hier der Warteraum mit Bänken und orangenen Stühlen. Fast alle sind besetzt.

"Es prasseln wahnsinnig viel Eindrücke auf einen ein."

Davon abgetrennt, ein kleiner Nebenraum mit Verbindungsfenster: die Rezeption. Hier sitzt Anne Frank, die Praxismanagerin, eng gedrängt zwischen Computer, Papierstapeln, einem Schrank und einem Dutzend dicker Ordner. Aber meistens ist Frank auf dem Sprung, füllt Patientenblätter aus, verteilt Wartenummern an die Flüchtlinge, schickt die Dolmetscher dorthin, wo man sie braucht. Oder sie organisiert einen Rettungswagen, wie gerade für einen Mann aus Afghanistan, der mit einer instabilen Angina pectoris, akuten Herzschmerzen, zu den Refudocs gekommen ist. Dann muss sie noch schneller zwischen Rezeption und Behandlungszimmern hin und her laufen.

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Gut 1300 Patienten hat sie seit Dezember aufgenommen. Dazu kommen noch mal dreizehn Ordner mit den Daten von Menschen, die behandelt wurden, bevor die Refudocs einen Computer hatten. „Es prasseln so wahnsinnig viel Eindrücke auf einen ein, die vielen Sprachen, Kulturen, das Telefon, die Technik“, sagt die 39-Jährige. Einmal, erzählt sie, war im Wartezimmer derart viel los, dass sie eine Gasse frei halten musste, damit die Ärzte in der Rezeption die Krankenakten abholen konnten. „Aber manchmal ist es auch ruhiger.“

Die Refudocs werden größer

Ganz ruhig wird es in absehbarer Zeit wohl nicht werden. Schon jetzt helfen Ärzte der Refudocs in den Flüchtlingsunterkünften in der Messestadt Riem und der McGraw Kaserne mit. Ab Mitte März wollen sie die Versorgung der Asylbewerber dort ganz übernehmen. Was fehlt, ist noch die finale Zusage der Staatsregierung.

Darüber hinaus kann sich Wendeborn weitere Angebote vorstellen: „Dann brauchen wir aber eine größere Verwaltungsstruktur.“ Nur mit Herzblut kann eben nicht einmal ein Mann wie Wendeborn ganz Bayern versorgen.

Um die Versorgung sicherzustellen, brauchen die Refudocs Unterstützung: Weitere Ärzte aber auch PCs für die Verwaltung. Wer spenden will: „Refudocs“, IBAN: 12 58 96 32 56 21 56 85, Kreissparkasse München

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