Interview

Arnulfsteg-Planer über Münchens neue Brücke: "Spielerisch und elegant"

Der Arnulfsteg: 26 statt 18 Millionen Euro und 2020 Einweihung statt 2017. Was aber macht die Qualität einer Bücke aus und was kostet das Design? Ein Interview mit dem Planungsingenieur.
von  Adrian Prechtel
Südseite, Blick nach Westen: Der Arnulfsteg imitiert ein wenig das Aussehen eines ICE mit unterem Stahl- und oberen Fensterband.
Südseite, Blick nach Westen: Der Arnulfsteg imitiert ein wenig das Aussehen eines ICE mit unterem Stahl- und oberen Fensterband. © Florian Holzherr

München - In Ausgangssperre und Lockdown wurde einen Tag vor Heiligabend der Arnulfsteg nach dreijähriger Verzögerung eingeweiht. Sofort entwickelte sich die reine Fußgänger- und Radfahrer-Brücke zwischen Arnulfpark am Rande von Neuhausen und dem Westend/Schwanthalerhöhe zu einem Magnet für Neugierige und Flaneure.

Im Norden führt eine Spindel-, im Süden eine großzügige Schleifen-Rampe hinauf. Zusammen mit dem Architekturbüro Lang Hugger Rampp hatte das SSF Ingenieurbüro den europaweiten Wettbewerb 2012 gewonnen. Ein Interview mit dem Planungsingenieur Peter Radl.

Peter Radl: Der 59-jährige Diplom-Ingenieur studierte Bauingenieurswesen an der TU München. Seit 1987 ist er beim Büro SSF und dort auch Prokurist.
Peter Radl: Der 59-jährige Diplom-Ingenieur studierte Bauingenieurswesen an der TU München. Seit 1987 ist er beim Büro SSF und dort auch Prokurist. © SSF

AZ: Herr Radl, wenn man von der Donnersbergerbrücke auf den Arnulfsteg blickt, wirkt er leicht und eher zurückhaltend. Warum hat man ihm nicht eine auffälligere, leuchtende Farbe verpasst?
PETER RADL: Sie meinen rot-weiß wie ein ICE? Nein, die Brücke sollte elegant sein, aber nicht alle Blicke effekthascherisch auf sich ziehen. Sie imponiert ja schon allein durch ihre 240 Meter Länge. Aber es gibt - von der Donnersbergerbrücke gut zu sehen - zum Beispiel ein Spiel mit Licht und Schatten: Die Konturen werden zur Mitte hin schärfer. Aber das ist nur einer der optischen Reize.

Auf der anderen Seite ist die Hackerbrücke, deren Gestänge bei schönem Wetter ein richtiger Freizeit- und Picknickort ist.
Das geht jetzt auch auf dem Arnulfsteg, sogar ohne Autoverkehr und bei schlechterem Wetter, wegen der Verglasung. Und die Ersten wurden beim Picknick trotz Winterzeit schon gesehen. Vor allem aber gibt es viele Neugierige, die einfach kommen, um die Brücke anzuschauen. Sie ist jetzt schon angenommen.

Lobend könnte man sagen, dass der Arnulfsteg eine spielerische Eleganz hat, in aller Zurückhaltung. Was waren die Leitideen?
Das beginnt beim Tragwerk. Das ist eine stählerne Vierendeelträgerkonstruktion. Da wechseln sich Pfosten und Querriegel ab. Man muss sich das so vorstellen, wie die moderne Randbebauung auf beiden Seiten der Bahntrasse, mit dem regelmäßigen Rhythmus aus hochkantigen Wandteilen und den Querriegeln mit den regelmäßigen Fenstern. Und dann haben wir an dieser Stelle natürlich noch einen optischen Bezug zur Bahn, wenn man an einen ICE denkt, dessen Grundgerüst ja auch so ist, unten Metallband mit dem Fensterband darüber. Und diese Gesten haben wir zusammen mit den Architekten von Lang Hugger Rampp beim Arnulfsteg so einfließen lassen.

Licht, Schatten, Grautöne. Der Arnulfsteg bei Tag.
Licht, Schatten, Grautöne. Der Arnulfsteg bei Tag. © FFS Ing

Mit dieser leiterartigen Grundkonstruktion konnte man dann die Brücke beim Bau über das Gleisfeld schieben. Das war doch wahrscheinlich die größte Herausforderung.
Ja, und beim Bau den Bahnbetrieb möglichst nicht zu stören. An dieser Stelle ist ja wirklich Gleis an Gleis und sogar eine ICE-Waschanlage. Nirgendwo Platz für einen Brückenbau. Also musste - abgesehen von zwei Pfeilern - die gesamte Brücke außerhalb gebaut werden. Und wir haben im Norden eine Bebauungslücke zwischen zwei Wohn- und Bürogebäuden von 37 Metern gehabt, die sich für den Aufbau einer Montageplattform anbot. Auf die wurden dann die angelieferten Brückenteile hochgehoben und oben zusammengeschweißt.

Von dort aus haben Sie dann die Brücke über das Bahnfeld geschoben.
Ja, nur mit den zwei endgültigen Pfeilern und noch vier kleinen Hilfsstützen über eine Weite von 230 Metern. Die Brücke musste dabei während des Hinüberschiebens in sich stabil bleiben. Da erfuhr sie jede Sekunde eine andere Belastungssituation.

Wenn aber der Bahnverkehr dadurch unbehelligt bleiben konnte, warum hat sich denn die Bauphase so überlang hingezogen? 2015: Baubeginn. Freigabe erst Ende 2020.
Wir hatten als Büro gleich nach dem gewonnenen Brückenwettbewerb und dem Zuschlag für die weiteren Planungsleistungen Anfang 2013 die Bahn informiert, dass in gut drei Jahren die Brücke in mehreren Takten über die Gleise geschoben werden sollte. Die Bahn verlangt dazu beim Fernverkehr, dass Sperrungen immer mit einem Vorlauf von drei Jahren angemeldet werden müssen - mit genauem Datum und Uhrzeit und möglichst in der Nacht, damit der Verkehr möglichst wenig beeinträchtigt wird. Die ausführende Firma hat schließlich sechs Meter Verschub in der Stunde geschafft.

Aber wieso hat sich dann alles so verzögert? 2017 sollte die Brücke fertig sein.
Weil eine Firmenarbeitsgemeinschaft, die die Brückenteile bauen sollte, so lange nicht tätig wurde, bis die Stadt München denen gekündigt und die Bauleistungen neu ausgeschrieben hat. Und dann gab es wieder die dreijährige Anmeldefrist für das Überschieben bei der Bahn. Die neu beauftragte Firmenarbeitsgemeinschaft hat es dann astrein hinbekommen.

"Fußgänger auf der Schleife? Das war so nicht geplant!"

Aber was hat dann die Kostenerhöhung von 18 auf 26 Millionen Euro bewirkt?
Die zweite Ausschreibung fiel dann leider in eine Bauboomphase, in der die öffentliche Hand unwahrscheinlich viel Geld in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt hat. Firmen mussten in dieser baulichen Hochkonjunktur nicht so ambitioniert anbieten, wie in normalen Zeiten, um an einen Auftrag zu gelangen. Und so gingen die Preise dann hoch zuzüglich einer gewissen Inflation. Wenn man nicht sofort neu ausgeschrieben hätte, wären die Kosten mit Sicherheit noch weiter gestiegen.

Konstruktion und Design… dann war das also nicht der Kostentreiber?
Nein, der Clou unseres Entwurfes war, dass alles, was spielerisch wirkt, kein überflüssiges Teil enthält. Jedes Element ist erforderlich. Wir haben nur die aneinander gereihten Träger variiert für den Schwung, die Krümmung und Öffnung nach oben. Aber die Träger braucht man ja ohnehin als Grundelement. So weiten sich die Seitenwände zur Mitte immer mehr auf, so dass die Brücke immer einladender wird. Man geht von einem optisch geschützteren Bereich von Wänden begleitet ins immer Offenere. Alles ohne überzogene architektonische Gesten, eher spielerisch, elegant. Wenn man von der Seite rüberschaut, sieht man, dass das Fensterband in der Mitte am größten ist. Nach außen hin wird es schmaler und dafür das Stahlband höher.

Die Spindel am Nordende im Arnulfpark.
Die Spindel am Nordende im Arnulfpark. © Florian Holzherr

Von außen fällt die Glasvorblendung auf, die auch da ist, wo die Fenster noch kleiner sind.
Aber auch dieses Glasband über dem Stahlband ist keine teure optische Spielerei, sondern basiert auf einer Notwendigkeit: Jeder Überweg über Bahnoberleitungen muss einen so genannten Berührungsschutz, eine mindestens 1,80 Meter hohe Glaswand aufweisen. Bei 37 Gleisen ist das also ohnehin fast durchgängig erforderlich, und bietet nebenbei auch noch Wind- und Lärmschutz. Und wir haben es eben über den vorgeschriebenen Schutz hinaus als ästhetisches Gestaltungselement genutzt.

Wenn man die Brücke zur Zeit besichtigt, sind viele Fußgänger auf der schleifenförmigen Zugangsrampe für die Radler statt auf den Treppen.
Das ist natürlich so nicht geplant. Aber ich glaube, das ist nur ein Phänomen der Anfangszeit, dass Leute einen knapp 100 Meter längeren Weg wählen, weil sie die Brücke genießen wollen und sie aus verschiedenen Perspektiven sehen wollen, was diese Schleife ja ermöglicht. Von hier aus kann man die Blicke seitlich erhöht auf das imposante Bahnfeld und die neuen Stadtteile schweifen lassen. Dass das im Moment für Radfahrer nicht ideal ist, ist klar, aber das gibt sich, später im alltäglichen Gebrauch wird wohl vermehrt die kurze Treppe genutzt werden.

Dann weiter nach Süden landet man aber auf der Landsberger Straße, die man dort nicht queren kann. Man muss doch wieder bis zur Donnersbergerbrücke ausweichen. Das ist ein bisschen absurd.
Das ist dann die weitere Aufgabe der Stadt, dafür zu sorgen, dass man nach dem Arnulfsteg nach Süden in Zukunft ohne große Umwege ins Westend hineinfahren kann. Soviel ich weiß, laufen hierfür bereits die Planungen.

Die Südschleife für Fahrradfahrer auf der Seite zum Westend hin.
Die Südschleife für Fahrradfahrer auf der Seite zum Westend hin. © Florian Holzherr

Was meinen Sie, liebe AZ-Leser? Ist der Arnulfsteg gelungen? Schreiben Sie uns an: leserforum@az-muenchen.de oder AZ, Leserbriefe, Garmischer Straße 35, 81373 München

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