Armutsbericht: Immer mehr Münchner verschulden sich

Auch 2019 ist die Zahl der Verschuldeten gestiegen. Vor allem Frauen und alte Menschen nehmen mehr Schulden auf. Das Viertel mit dem größten Problem: die Altstadt.
von  Paul Nöllke
Am Montag wurde der Schuldneratlas 2019 von der Stadt München und dem Inkassodienstleister Creditreform vorgestellt.
Am Montag wurde der Schuldneratlas 2019 von der Stadt München und dem Inkassodienstleister Creditreform vorgestellt. © Felix Hörhager/dpa

München - Immer mehr Münchner verschulden sich. Das zeigt der Schuldneratlas, den der Inkassodienstleister Creditreform am Montag zusammen mit der Stadt vorgestellt hat. Creditreform wertet dazu Daten von Gläubigern und Inkassoverfahren aus und erstellt so einen Überblick über die Situation von verschuldeten Menschen in München.

In der Stadt sind die Menschen verschuldet wie nie zuvor

Insgesamt gelten in München 55.070 Haushalte als überschuldet. 2018 waren es 54.670. Prozentual sinkt die Zahl der verschuldeten Menschen zwar leicht, was daran liegt, dass die Einwohnerzahl gestiegen ist. Dennoch waren vergangenes Jahr so viele Münchner verschuldet wie nie seit Beginn der Messungen vor acht Jahren. "Das liegt an den steigenden Wohn- und Lebenshaltungskosten", erklärt Philipp Ganzmüller, der Geschäftsführer von Creditreform.

Im Schuldneratlas zeigt sein Unternehmen die Zahl der verschuldeten Münchner, die Gesellschaftsgruppen, denen sie angehören, und die Stadtviertel, in denen die Verschuldung am schlimmsten ist.

So steigt zum Beispiel die Zahl verschuldeter Frauen weiter stark an. "Traditionell war Überschuldung männlich", erklärt Ganzmüller. "Doch das ändert sich." So sei die Zahl verschuldeter Männer in München 2019 nur um 260 gestiegen, die Zahl der Frauen um 420.

"Der Grund dafür ist, dass sich die traditionellen Rollenbilder ändern", glaubt Ganzmüller. "Frauen machen heute mehr Schulden." Hinzu käme das Problem, dass es immer mehr alleinerziehende Mütter gebe, die oft mit wenig Geld über die Runden kommen müssten. "Doch es gibt inzwischen auch alleinerziehende Väter, die vor dem gleichen Problem stehen."

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Wo die Münchner wie hohe Schulden haben, zeigt diese Karte von Creditreform. Die Einteilung der Stadtviertel entspricht dabei nicht überall den amtlichen Bezirksteilen. (Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken.) Grafik: anf, Quelle: Creditreform

Die Stadtviertel, in denen die Verschuldung am höchsten ist, überraschen auch (siehe Karte). Das Stadtviertel mit den meisten verschuldeten Einwohnern ist die Altstadt. "Hier leben nur wenige Leute", erklärt Ganzmüller dazu. "Dennoch sehen wir, dass hier viele Bürger aus einer mittleren und hohen Gesellschaftsschicht am Anfang einer Schuldenspirale stehen." Schulden – das zeigt der Atlas – sind in München kein Problem nur von Geringverdienern. "Dass Schulden nur in der Unterschicht vorkommen, stimmt in München nicht", erklärt Ganzmüller. "Schulden sind sehr gleichmäßig verteilt."

Senioren schämen sich bei Geldnot oft – und holen sich keine Hilfe

Gleiches berichtet auch Erika Schilz, die Leiterin der städtischen Schuldnerberatungsstelle. "Zu uns kommen Menschen aus allen Schichten." Vor allem seien dies aber Alleinerziehende, Familien oder Singles. "Paare machen einen viel geringeren Anteil aus", berichtet Schilz. Das liege daran, dass diese oft zwei Einkommen hätten und Miete und Lebenskosten teilten.

Auch alte Menschen kommen nicht oft in die Schuldnerberatungsstelle. Dies liege wohl auch daran, dass sie sich schämen. Denn, was der Schuldneratlas auch zeigt: Schulden werden in München durchaus immer mehr zum Problem für alte Menschen. "Die Zahl der verschuldeten Über-70-Jährigen steigt stark an", sagt Ganzmüller. Oft würden diese Menschen keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen wollen.

Schuldnerberatung könnte helfen

Klaus Hofmeister, der ebenfalls in der Schuldnerberatungsstelle arbeitet, erzählt von einem besonders schlimmen Fall. "Da gibt es eine alte Dame, der seit zwei Jahren der Strom abgestellt wurde, weil sie die Rechnungen nicht gezahlt hat." Eigentlich könnte die Schuldnerberatung der Frau helfen und mit den Stadtwerken eine Lösung verhandeln. Doch sie nahm keine Hilfe in Anspruch. "Diese Frau benutzte dann die Steckdose auf dem Hausflur um sich einen Wasserkocher anzuschließen und sich Tütensuppen zu machen."

Solche Situationen nennt die Schuldnerberatung Krisen. "Wenn Leute den Strom abgeschaltet bekommen oder die Wohnung verlieren, ist das eine Krise", erklärt Hofmeister. Die Stadt könne diesen Menschen mit Kooperationen und Beratungen helfen. Allerdings nur, wenn sie diese auch in Anspruch nehmen.

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