Anwohner und Händler genervt: Invasion der Krähen in München
MÜNCHEN - „Wie eine Armada von Kampfflugzeugen rauschen sie über unsere Häuser“: Saatkrähen breiten sich im Stadtgebiet aus, terrorisieren Anwohner – und beschäftigen jetzt sogar die Politik
Es ist fast wie im Hitchcock-Thriller „Die Vögel“: In den nächsten Tagen fallen wieder 5000 Saatkrähen aus dem Osten ein, um bei ihren Münchner Verwandten zu überwintern. Während sie sich vorübergehend auf großen Schlafbäumen niederlassen, haben über 500 Brutpaare die Landeshauptstadt zu ihrer Dauer-Heimat erkoren und hier ihre Nester gebaut. Der Biergarten am China-Turm ist Krähen-Territorium. Flächendeckend bevölkern die schlauen Vögel die Grünanlagen im ganzen Stadtgebiet, piesacken und terrorisieren Anwohner. Besonders im Münchner Süd-Osten, wo sie in großen Kolonien nisten.
Sogar Landtag und Staatsregierung befassen sich mit dem Krähen-Krimi. Am runden Tisch sollen Tierschützer, Experten und Anwohner noch im November nach einer Lösung suchen. Das beschloss jetzt der Umweltausschuss. Denn die „schwarzen Biester“ stehen auf der Liste der geschützten Arten. Das Umweltministerium ist bereits aktiv. Eine Sprecherin: „Wir werden ein Gesamtkonzept entwickeln, das sowohl den Belangen der Bürger als auch dem Artenschutz gerecht wird.“
Damit der Ärger über die Vögel nicht noch größer wird, appellieren die Artenschützer an alle Münchner Tierfreunde: „Bitte die Krähen nicht füttern!“ Matthias Luy vom Landesbund für Vogelschutz (LBV): „Das spitzt das Problem nur noch zu.“
Wenn die 5000 Wintergäste im Frühjahr wieder Richtung Osten abdüsen und der Spuk damit bis zum nächsten Herbst beendet ist, geht der Terror der Münchner Saatkrähen erst richtig los. Sie beginnen ihre Nester zu renovieren, bauen neue, balzen, brüten, ziehen ihre Jungen auf und verbreiten sich immer mehr im Stadtgebiet (siehe rechts).
Ulrich Mertig kann ein Lied davon singen. Er wohnt in der Zaunkönig-Siedlung in Ottobrunn. Dort herrscht inzwischen Ausnahmezustand. „Wie eine Armada von Kampfflugzeugen rauschen sie über unsere Häuser“, klagt er. Zwischen Zeisig-, Drossel-, und Zaunkönigstraße haben die „Vögel des Todes“ eine große Kolonie errichtet.
Erika Aulenbach, die Vorsitzende der Bürgervereinigung Ottobrunn, zählte im vergangenen Jahr allein in ihrer Nachbarschaft 24 Krähen-Nester. Heuer waren es schon 40. „Das sind 80 Mamas und Papas, die pro Nest vier bis sechs Kinder aufgezogen haben“, rechnet sie vor. Unerträglich sei das. Denn die Krähen, die zwar zu den Singvögeln gehören, aber nicht schön singen, krächzen von vier Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit. „Es ist die Hölle“, beschreibt Ulrich Mertig den Lärm. „Ich halte es da nur noch im Keller aus.“
Dazu kommt ein weiteres Problem. Saatkrähen sind stubenrein, verschmutzen nicht ihre Nester, sondern verrichten ihr Geschäft im Flug.
Auch vor Attacken schrecken die Vögel nicht zurück. Horst Wystemp, einer der Krähen-Gegner, zeigt die Stelle an seinem Hinterkopf, wo sie ihn angepickt haben. Ulrich Mertig bestätigt: „Ich habe die Wunde gesehen.“
Erst in den letzten Tagen hatte Doris K. eine Begegnung mit den ungeliebten Vögeln, als sie morgens durch die Zaunkönigstraße ins Fitnessstudio radelte: „Ich dachte erst, da ist mir ein Ast auf den Kopf gefallen. Aber es war eine Krähe.“ Sie meldete den Vorfall der Bürgervereinigung. „Die Betroffenen gehen nicht zur Polizei“, sagt Erika Aulenbach. „Sollen Sie eine Krähe anzeigen?“
Für Vogelschützer ist das starke Übertreibung. „Angriffe auf Menschen halte ich für eine Fabel“, sagt Matthias Luy vom LBV. In seiner Stellungnahme für die Staatsregierung allerdings heißt es: „Scheinangriffe auf den Menschen sind sehr selten, da der Mensch (am Boden) nicht als Feind für das Krähennest (im hohen Baum) angesehen wird. Jedes Jahr werden beim LBV zwei bis drei für den Großraum München gemeldet.“
Jedoch muss auch Luy einräumen, dass die Saatkrähen inzwischen ein Problem darstellen. Allein in Ottobrunn haben die Vogelschützer in zwei Kolonien 138 Brutpaare gezählt. Dazu weitere 183 „Krähen-Eltern“ an der Grenze Ottobrunn/Neubiberg. Das sind insgesamt rund zehn Prozent der bayerischen Population. Im Freistaat gibt es etwa 3000 Brutpaare. Davon krächzt die Hälfte in Oberbayern.
Florian Streibl, Fraktions-Vize der Freien Wähler, hat sich die Krähen-Plage angeschaut: „Da müssen wir etwas unternehmen.“ Tobias Thalhammer (FDP) erklärt im Umweltausschuss des Landtags:„Wir brauchen eine Lösung für Mensch und Tier.“ Ausschuss-Chef Christian Magerl (Grüne) fordert: „Wir müssen Anreize bieten, dass sich die Vögel wo anders niederlassen.“ Doch so einfach ist das nicht, wie Beispiele in Bayern zeigen. „Wird ein Teil einer Saatkrähen-Siedlung vertrieben, wachsen die Splitterkolonien noch schneller“, warnt Matthias Luy. Für eine Lösung sieht der Vogelschützer Schwarz: „Es ist Illusion zu glauben, man könne die Saatkrähen einfach umsiedeln. Das sind intelligente Tiere. So lange sie in der Natur von Jägern geschossen werden, werden sie sich immer zwischen den Menschen, wo nicht gejagt werden darf, ansiedeln.“
Angela Böhm