Anwalt vom Bayerischen Rundfunk: Nach Millionen-Betrug Villa gepfändet

Er soll die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten um bis zu 200 Millionen Euro geprellt haben – jetzt haben Polizisten die Wertsachen aus seiner luxuriösen Residenz abtransportiert.
Punkt 7 Uhr ist es vorbei mit der beschaulichen Ruhe in der ruhigen Wohngegend im Münchner Westen. Vor der größten Villa weit und breit – gesichert mit Alarmanlage, Überwachungskamera und 2,50 Meter hohen Hecken – fahren fünf Mannschaftswagen der Polizei vor. Staatsanwälte und uniformierte Polizisten klingeln neben dem gusseisernen Eingangstor ohne Namensschild. Die unangemeldeten Besucher wissen auch so, bei wem sie klingeln. Sie stehen vor der Villa des Patentanwalts Tilmar K.
Der Münchner soll Geld veruntreut haben, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD – darunter auch dem BR – und ZDF zustand. Bis zu 200 Millionen Euro soll er als Berater des Instituts für Rundfunktechnik (IRT) in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, indem er Verträge für Patenterlöse, die dem IRT zugestanden hätten, zu seinen Gunsten gestaltete. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen Untreue und Korruption in einem besonders schweren Fall sowie wegen Parteiverrats.
Die Ermittler, die am Dienstag vor seinem Haus stehen, vollstrecken einen "Arrestbefehl". Mehr als 130 Millionen Euro soll er nach AZ-Informationen betragen. Im Klartext heißt dies: Die Beamten werden alles aus dem Haus und der Garage tragen, was wertvoll ist: Gemälde, Autos, Schmuck – alles. Sie werden fast den ganzen Tag damit beschäftigt sein.
Der Bayerische Rundfunk – hier das Hauptgebäude in der Nähe des Hauptbahnhofs – erstattete Anzeige gegen den Patentanwalt. Foto: dpa
Mamor, Lift, Weinkeller und beheizte Zufahrt – ein Leben im Luxus
Die Nachbarn hatten sich schon länger gewundert. "Wir haben uns gefragt, ob ein Patentanwalt und eine Ärztin im Ruhestand so viel verdienen", sagt ein Anwohner. Das Ehepaar war in den vergangenen zehn Jahren – deutlich erkennbar – immer wohlhabender geworden. Das machte sich vor allem durch wachsenden Grundstücksbesitz und den luxuriösen Neubau bemerkbar.
Zuerst kauften die Eheleute das Grundstück hinter ihrem Einfamilienhaus dazu. Dort hatte die Frau bis zum Ruhestand ihre Arztpraxis betrieben. Schließlich kam auch noch ein zweites angrenzendes Grundstück dazu mit einem langen Zaun drumherum. Das Grundstück war nun drei Mal so groß.
Auf zweien der Grundstücke entstand eine riesige Villa – mit vielen Zimmern, Lift, Weinkeller sowie großer Garage mit beheizter Auffahrt, um sich im Winter das Schneeräumen zu ersparen.
"Die haben sich da einen Palast hingestellt. Der passt überhaupt nicht in die Gegend", sagt ein Nachbar. "Allein die Säulen und die Grundstückseinfriedung aus italienischem Marmor haben so viel gekostet, wie andere für ein ganzes Haus ausgeben", übertreibt ein anderer.
Zwei weitere Grundstücke im Viertel, auf denen neue Einfamilienhäuser stehen, sollen ebenfalls der Familie gehören.
Woher all der Wohlstand kam, konnte sich im Viertel niemand so richtig erklären. Eine Rentnerin: "Wir haben vermutet, dass die Familie geerbt oder im Lotto gewonnen hat." Tilmar K. und seine Frau lebten sehr zurückgezogen. Die Nachbarn sahen kaum einmal jemanden zu Besuch kommen, die hohen Tore waren immer geschlossen. Nur ab und zu sah man den Patentanwalt seinen akkurat gepflegten, kurzen Rasen mähen.
"Am 1. Mai stand er missmutig auf der Straße und hat seinen langen Zaun geputzt. Jugendliche hatten ihn in der Freinacht mit Schaum beschmiert", berichtet ein Hundebesitzer. Zwei Tage später wurde Tilmar K. verhaftet. Er sitzt wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Nun ist es erstmal vorbei mit dem Luxus-Leben.
Am 1. Mai putzte er seinen Zaun, zwei Tage später saß er in U-Haft
Die Polizisten pfändeten am Dienstag alle sechs Limousinen aus der Garage des Patentanwalts – darunter zwei Mercedes-Cabrios, mit denen die Ehefrau gern unterwegs war, sowie seinen schwarzen Porsche Panamera. Ein Porsche Cayenne wurde aus der alten Garage im früheren Wohnhaus in der Parallelstraße abgeholt. Auch hier standen am Dienstag die Mannschaftswagen.
Bis nachmittags trugen die Beamten die Wertgegenstände aus der Villa und verstauten sie in einem Umzugslaster – darunter soll auch mindestens ein Gemälde von Chagall gewesen sein.
Die Staatsanwaltschaft München I wollte die Aktion im Wohnhaus des Beschuldigten nicht bestätigen. Jedoch sagte Sprecherin Anne Leiding: "Wie immer in Wirtschaftsverfahren hat sich die Staatsanwaltschaft um geeignete Maßnahmen der Vermögensabschöpfung gekümmert." Es gelte aber die Unschuldsvermutung.
Ermittelt wird außer gegen den Patentanwalt auch gegen seine Ehefrau und den Sohn – wegen Geldwäsche. Die Ehefrau verbrachte eine Nacht in der Haftanstalt in der Ettstraße, dann kam sie wieder frei. Der Sohn ist ebenfalls auf freiem Fuß. Beide – Mutter und Sohn – sind laut Handelsregister Gesellschafter (s. u.).
Die AZ konnte am Mittwoch kurz mit der Ehefrau sprechen. Zu den Vorwürfen wollte sie sich nicht äußern. Sie sagte nur: "Das überlasse ich den Juristen."
AZ-Hintergrund: Die Familien-GmbH
Anders als in ähnlich gelagerten Fällen führt die Spur des Geldes beim mutmaßlichen IRT-Betrug nicht zu einem anonymen Nummernkonto, sondern ins schwäbische Donaumoos.
Im beschaulichen Leipheim bei Günzburg hat die B. Verwaltungsgesellschaft mbH ihren Sitz. Gegründet wurde sie laut Handelsregister am 24. Juli 1998 mit einem Stammkapital von 100.000 DM. Die Gesellschafterliste von damals weist als Gesellschafter aus: Patentanwalt Tilmar K. (24 Prozent), seine Frau (24 Prozent), seine Schwiegermutter (1 Prozent) und seinen Sohn, der 50 Prozent aller Anteile hält.
Der Sohn war erst 20 Jahre alt, als er Mehrheitseigner der Firma wurde, deren Geschäftsaufgabe „ausschließlich in der Verwertung von MPEG Patenten“ liegt und die von seiner Mutter geführt wird. Für ihre Tätigkeiten ließ sich die Ärztin im Ruhestand mindestens seit 2009 jährlich 350.235,01 Euro auszahlen – ein stattliches Gehalt, doch eines, das die B. Verwaltungsgesellschaft problemlos zahlen konnte. Die lukrativen MPEG-Patente des IRT spülten jährlich mehrere Millionen Euro in die Kassen, hinzu kamen pro Jahr rund 1,5 Millionen Euro aus Wertpapiererträgen und klassischen Guthabenzinsen.
Der Jahresabschluss 2015 weist ein Vermögen von knapp 85 Millionen Euro aus.
Den Geschäftsbericht für 2016 hatte die frühere Ärztin noch nicht erstellt, als der mutmaßliche Riesen-Betrug aufflog. Jetzt wird nicht nur gegen ihren Mann ermittelt, sondern auch gegen sie selbst und den gemeinsamen Sohn – wegen des Verdachts der Geldwäsche.