Antisemitismus und Vernichtungsfantasien: Judenhass in München und Bayern nimmt zu

Antisemitische Vorfälle häufen sich seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel – auch in München und Bayern.
von  Maximilian Neumair
Polizeischutz für das Jüdische Museum und die Synagoge am Jakobsplatz. Den braucht es besonders seit dem Angriff der Hamas.
Polizeischutz für das Jüdische Museum und die Synagoge am Jakobsplatz. Den braucht es besonders seit dem Angriff der Hamas. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

München – "Nie wieder ist jetzt", sagten Politiker und Personen des öffentlichen Lebens vermehrt in den letzten Tagen. Wie sehr dieser Ausspruch ernstgenommen werden sollte, untermauern die Zahlen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias): Bundesweit gibt es 202 verifizierte antisemitische Anschläge, die in Bezug zum Terror der Hamas stehen. Das sind 22 Vorfälle pro Tag. Ein Zuwachs um 240 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Angriffe auf Synagogen, verbale Attacken und das Beschmieren von jüdischen Häusern mit Davidsternen – all das häuft sich in Deutschland. "Das sind Markierungen potenzieller Angriffsziele", sagt dazu Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Rias-Bundesverbandes auf einer Pressekonferenz des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) am Donnerstag. "Dass jüdische oder israelische Menschen seit der letzten Woche aus Angst zuhause bleiben, verdeutlicht, wie Antisemitismus derzeit die Gesellschaft prägt."

Erstarkter Antisemitismus: Juden trauen sich kaum noch auf die Straße

Rachel Spicker von der Mobilen Opferberatung (Mob) unterstreicht dies mit ihrer Schilderung. Jüdische Menschen würden sich nicht trauen, die Wohnung zu verlassen, religiöse Symbole verstecken und sich aus den Sozialen Medien zurückziehen, um die grausamen Bilder nicht mehr ertragen zu müssen und den antisemitischen Reaktionen zu entgehen.

Steinitz weist aber auch darauf hin, dass Antisemitismus kein integriertes Problem sei. "Es ist ein integraler Bestandteil rechter Ideologien", sagt er und erinnert an den rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle. Weiter sagt Steinitz: "In den vergangenen Jahren gab es eine zunehmende Normalisierung antisemitischer und rassistischer Positionen durch das Erstarken rechter Parteien und das Aufkommen antisemitisch aufgeladener Verschwörungsideologien wie in der Corona-Pandemie."

Jüdische Grabsteine mit Farbe besprüht: Immer mehr antisemitische Vorfälle in Bayern

Das jüngste Beispiel hierfür sei Bayern. "Die AfD ist drittstärkste Partei, die Freien Wähler haben ein historisch starkes Ergebnis eingefahren und das, obwohl noch wenige Wochen zuvor eine Debatte über ein antisemitisches Flugblatt geführt worden war", so Steinitz. Die Flugblatt-Affäre habe zu dutzenden besorgten Anrufen von jüdischen Menschen in Bayern geführt.

Wie stark antisemitische Vorfälle auch im Freistaat zugenommen haben, zeigen die Zahlen vom Landesverband Rias Bayern: Seit dem Anschlag der Hamas wurden 35 Fälle von Judenfeindlichkeit mit Bezug zu den Ereignissen in Israel dokumentiert. "Da wir aktuell sehr viele Meldungen erhalten, ändert sich diese Zahl fortlaufend", sagt ein Sprecher der Rias Bayern zur AZ. Erst am Donnerstag berichtete die Polizei von einem Vorfall in Tegernheim (Landkreis Regensburg), bei dem ein jüdischer Grabstein mit schwarzer Farbe besprüht wurde.

In München kam es nur zwei Tage nach dem Hamas-Terror zu einer israelfeindlichen Demo

Auf einer israelfeindlichen Kundgebung in München zwei Tage nach dem Terroranschlag wurden neben antisemitischen Parolen auch Vernichtungsfantasien geäußert. Ein Teilnehmer soll einem Polizeibericht zufolge dazu aufgerufen haben, alle Juden zu töten. Die Verbrechen der Hamas wurden auf besagter Kundgebung laut Rias Bayern mit keinem Wort verurteilt.

Politik und Rechtsstaat müssten dem Antisemitismus konsequent entgegentreten, sagt Rias-Geschäftsführer Steinitz. Das bedeute auch, nicht länger die Finanzierung der Beratungsstellen zu vernachlässigen: "In mehreren Bundesländern sind Beratungsstellen mit nur zwei Vollzeitstellen ausgestattet."

"Antisemitismus als Teilzeitaufgabe": Kritik an Landesregierungen in Deutschland

Auch an Planungssicherheit fehle es für die Behörden. "In der Regel werden Projektmittel nur für ein Jahr gewährt." Die Kollegen in Schleswig-Holstein wüssten etwa im Oktober noch nicht, in welchem Umfang es Stellen im nächsten Jahr geben wird.

Die finanzielle Unsicherheit bestätigen auch weitere Beratungsstellen-Organisationen, die an der Pressekonferenz der VBRG teilnehmen. "Wenn die Landesregierungen hier nicht eine Planungssicherheit herstellen, könnte sich der Eindruck durchsetzen, dass der Antisemitismus als Teilzeitaufgabe verstanden wird", sagt Steinitz.

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