Antisemitische Flugblätter: Ex-Stadtrat Offman verliert vor Gericht gegen Neonazi
München - Niemand muss es hinnehmen, sich so darstellen zu lassen. So lautete - zusammengefasst - die Begründung des Urteils, das das Amtsgericht München diesen Sommer fällte und mit dem es den rechtsextremen Politiker Karl Richter schuldig sprach.
Er hatte im Kommunalwahlkampf Flugblätter verbreitet, auf denen neben dem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und einer Reihe weiterer bekannter Kommunalpolitiker auch der frühere jüdische Stadtrat Marian Offman in einer diffamierenden Weise abgebildet war.
Das Urteil von damals hat das Münchner Landgericht am Dienstag in zweiter Instanz aufgehoben. Marian Offman und sein Verteidiger, der SPD-Stadtrat Christian Vorländer, sind nicht nur über das Urteil, sondern vor allem über das Verhalten des Richters während der Verhandlung schockiert. "In 20 Jahren anwaltlicher Berufserfahrung habe ich so etwas noch nicht erlebt", sagt Vorländer.
Flugblätter zeigen Anspielung auf Nazizeit
Marian Offman, der zuerst für die CSU und dann für die SPD im Münchner Stadtrat saß, war im Kommunalwahlkampf 2020 auf Flugblätter aufmerksam geworden. Darauf kehrt das Münchner Kindl unter der Überschrift "Raus aus dem Rathaus" unter anderem den Münchner OB, die grüne Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und ihn selbst auf dem Marienplatz davon. Unter den Abgebildeten ist Offman der einzige, der nicht in der ersten Reihe Politik macht - und er ist der einzige Jude.
Verbreitet hatte das Flugblatt Karl Richters "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA). Vor etwa 80 Jahren hingen in Wien ganz ähnliche Plakate: Nur kehrte darauf nicht das Münchner Kindl Kommunalpolitiker, sondern ein Mann mit Hakenkreuzbinde jüdische Händler davon.
Aus Marian Offmans Sicht war das Plakat aufgrund dieser Parallele ganz klar antisemitisch. Und das sah auch das Münchner Amtsgericht so. Es verurteilte Karl Richter deshalb wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 3200 Euro. Richter legte Berufung ein und bekam recht. Das Landgericht sprach ihn frei.
Der Richter wollte den Bezug zur NS-Zeit nicht sehen
"Die Verhandlung war von Anfang an eine Farce", sagt Christian Vorländer, der Offman als Anwalt begleitete. Der Richter habe gefragt, ob die beiden nah beieinandersitzen wollen, damit sie Händchen halten können. So erzählt es auch Offman. Er fasst die Äußerung ebenso wie sein Anwalt als homophob auf. Vorländer ist homosexuell.
Den Bezug zur NS-Zeit habe der Richter nicht sehen wollen, erzählen Vorländer und Offman. "Der Vergleich sei weit hergeholt, über Geschmack lasse sich streiten - und es sei eben Wahlkampf gewesen", so geben die beiden die Begründung des Richters wieder. "Wörtlich sagte er: Es ist eher witzig", so Vorländer. Er überlegt sich, ob er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter einlegen soll.
Offmann erstattete schon mehrfach Anzeige wegen Volksverhetzung
Dass Urteile so ausgehen, sei er nicht anders gewohnt, sagt Offman. Er habe sicherlich schon drei-, viermal wegen Volksverhetzung Anzeige erstattet, immer ohne Erfolg. Offman: "Dass das Amtsgericht zuerst anders urteilte, war eine wohltuende Ausnahme."
Sein Fazit zu dem Urteil gestern: "Man darf sich nicht wundern, wenn sich die Hassspirale weiterdreht und diese dann in Gewalt münden kann."
Grund zu Hoffnung hat Marian Offman trotzdem: Die Münchner Staatsanwaltschaft will sich mit dem Urteil nicht abfinden und hat bereits am Dienstagnachmittag angekündigt in Revision zu gehen.