Anmache im Büro – so wehren Sie sich!

„Raus aus der Opferrolle“: Sexuelle Übergriffe sind fast schon alltäglich. „Wehren Sie sich“, fordert Stadtdirektorin Beyerle die Opfer auf, die nur allzu oft zu Schuldigen gemacht werden
MÜNCHEN Hier ein dummer Spruch, da ein schlüpfriger Witz, dort eine anzügliche Bemerkung, ein gieriger Blick oder „bloß“ ein Klaps auf den Po. „Was ist denn schon dabei?“ hört man – viel zu oft. Die erschütternde Feststellung ist: Jede zweite Frau soll schon einmal Opfer oder Zeugin von Sexismus oder sexueller Gewalt gewesen sein.
„Das ist ein Alltagsphänomen mit unterschiedlich dramatischen Auswirkungen. Aber jeder Fall ist einer zuviel“, sagt Barbara Pichlbauer, die Leiterin der städtischen Gleichstellungsstelle. Angelika Z. ist überhaupt kein Einzelfall: Jene Sekretärin der Messe, die an den Übergriffen ihres Chefs fast zerbrochen ist.
Die Zahlen nehmen zu: Bei der Stadt von drei Fällen im Jahre 2003 auf mindestens 50 voriges Jahr: Es trauen sich immer mehr Opfer, ihren Peiniger anzuzeigen. „Raus der Opferrolle, wehren Sie sich!“ fordert Stadtdirektorin Angelika Beyerle die Betroffenen auf: „Gehen Sie offensiv gegen den Belästiger vor und beschweren Sie sich.“
Viele Betriebe haben sich Verhaltensregeln gegeben. Zum Beispiel die LMU, die Stadt München oder die Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Die AZ fasst aus ihren Tipps zusammen:
- Ignorieren und verdrängen Sie Belästigungen nicht, sondern setzen Sie sich zur Wehr.
- Schaffen Sie klare Verhältnisse und signalisieren Sie, dass dieses Verhalten unerwünscht ist.
- Sagen Sie klar und deutlich, was Sie stört.
- Ignorieren Sie den Übergriff nicht. Das ist der uneffektivste Weg und wird oft als Zustimmung aufgefasst.
- Schlagfertige oder scherzhafte Reaktionen nutzen ebenso wenig wie Anpassung an das Verhalten. Schaffen Sie so bald wie möglich mit deutlichen Worten klare Verhältnisse und machen Sie sich bewusst, dass Sie kein Einzelfall sind und nicht die Schuldige.
- Nehmen Sie ihre Gefühle ernst: Wichtig ist, was für Sie selbst belastend ist. Schreiben Sie auf, wann und wie Sie belästigt wurden, mit wem Sie geredet haben.
- Sprechen Sie mit Menschen Ihres Vertrauens, mit der Beratungsstelle, mit anderen Vorgesetzten, dem Personalrat oder der Personalabteilung.
- Reden Sie in gravierenden Fällen mit einem Anwalt; geben Sie eine eidesstattliche Versicherung ab.
Alles leichter gesagt, als getan. Denn oft werden Frauen zweimal zum Opfer. Erst von ihrem Täter, dann von ihrer Umgebung: „Was ziehst du auch einen Minirock an“ oder „die Schülerin hat eine Fünf geschrieben und will sich an mir rächen“, müssen sie sich oft anhören.
Alles Ausreden. „Die Täter sind oft sozial angepasst, freundlich, hilfsbereit und unauffällig, so dass ihr Umfeld ihnen das Verhalten nicht zutraut und eher den Opfern misstraut“, sagt Angelika Beyerle. Und sie bedauert: „Es gibt oft nur wenig Solidarität unter den Frauen. Wer sich beschwert, wird oft von Frauen oder den eigenen Kollegen gemobbt.“
Oft verschanzen sie sich dann in einer Wagenburg: Und das Opfer steht draußen. Beyerle: „Das Umfeld fühlt sich durch die Tabubrüche selbst bedroht – sie hätten etwas bemerken müssen und hätten somit auch etwas falsch gemacht.“ Im Zweifelsfall will niemand etwas gesehen haben, oder die Frauen verharmlosen die Tat – sie hätten es wohl provoziert.
Die Messe-Sekretärin hat sich am Ende nur noch in weiten Hosen und mit hochgeschlossener Bluse an den Arbeitsplatz getraut. Angelika Beyerle: „Wenn ihre Vorgängerin sich gewehrt hätte, wäre Frau Z. in der Messe nichts passiert.“
„Völlig indiskutabel“
Übergriffe eines Messe-Mitarbeiters: Betriebsrat verlangt Konsequenzen
MÜNCHEN Bei der Messe München gab es gestern nur ein Thema: Der Bericht der AZ über den leitenden Mitarbeiter, der über Jahre seine Assistentin verbal und sexuell belästigt und mit Psychoterror fertig gemacht haben soll. Der Aufsichtsrat der Messe hat von diesem Skandal aus der AZ erfahren. Wie es im Moment aussieht, bleibt der Betroffene bis zum Ende seines Vertrages 2014 im Dienst.
„Dieses Verhalten ist völlig indiskutabel“, sagt Grünen-OB-Kandidatin Sabine Nallinger: „Mich wundert nur, dass der Mitarbeiter noch im Dienst ist. So jemand muss aus dem Unternehmen herausgenommen und suspendiert werden.“ Bei der Stadt selbst gibt es mit der „Zentralen Beratungsstelle für Sexuelle Belästigung“ eine eigene Anlaufstelle. Nallinger: „Wir müssen uns jetzt fragen, ob wir ähnlich niederschwellige Angebote auch bei unseren städtischen Gesellschaften haben.“
Messechef Klaus Dittrich will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Das sei in diesem Fall allein Sache der Gesellschafter Stadt, Freistaat und der beiden Kammern. In einem Schreiben hat er die Mitarbeiter gestern noch einmal daran erinnert, dass es vom kleinsten Mitarbeiter bis in die Geschäftsführung eine „Compliance“-Vereinbarung gibt, also einen internen Verhaltenskodex, der auch einen würdevollen Umgang untereinander verlangt.
Dittrich: „Verstöße gegen diese Compliance Policy können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Über die entscheidet im Falle von Mitarbeitern die Geschäftsführung, im Falle der Geschäftsführung die Gesellschafterversammlung.“
„Es muss ein Zeichen gesetzt werden, dass so etwas nicht geht“, verlangt der Betriebsrat. Er droht weiter damit, die Compliance-Vereinbarung zu kündigen. „Beschäftigte sind vor Sexismus und Grenzüberschreitungen zu schützen", verlangt der CSU-OB-Kandidat Josef Schmid. Das sei „nicht tolerabel“: „Grenzüberschreitungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen verbieten sich grundsätzlich.“
Opferschutz
Vor ein paar Jahren wurde ein Messe-Mitarbeiter fristlos entlassen, der einer Kollegin nachstellte und ihr Dessous nach Hause schickte. Jetzt wird ein Vorgesetzter zum Teil überführt – und er darf bleiben, bis sein Vertrag ausläuft. Das versteht bis auf ein Fachanwalt für Arbeitsrecht niemand.
Hier müssen die Gesellschafter der Messe ein klares Signal setzen. In solchen Fällen steht oft Aussage gegen Aussage. Wenn dies, außer einer begründeten Unschuldsvermutung, das einzige Argument ist, den Mann zu halten, dann verkommt der Opfer-Schutz zur Farce.