Ankunfts-Chaos am Münchner Hauptbahnhof: OB Reiter verspricht Verbesserungen

In bitterkalter Nacht wird die Wartehalle für Frauen und Kinder aus der Ukraine zur Endstation - niemand da, der sie zu einem Schlafplatz führt. OB Dieter Reiter gelobt Besserung.
von  Nina Job, Irene Kleber
Erschöpfte Kinder aus der Ukraine schlafen in der Bahnhofshalle. Die Erwachsenen haben Tüten und Reisetaschen zusammengestellt, damit sie nicht auf dem blanken Steinboden liegen müssen. Dieses Foto wurde nachts von einem ehrenamtlichen Helfer gemacht.
Erschöpfte Kinder aus der Ukraine schlafen in der Bahnhofshalle. Die Erwachsenen haben Tüten und Reisetaschen zusammengestellt, damit sie nicht auf dem blanken Steinboden liegen müssen. Dieses Foto wurde nachts von einem ehrenamtlichen Helfer gemacht. © Sascha Aberle

München - Die 100 Feldbetten in der ehemaligen Osteria im Hauptbahnhof, die 250 provisorischen Schlafplätze im Luisengymnasium und in der Bahnhofsmission - alle sind belegt mit erschöpften Müttern, Kindern, Babys. In einer der kältesten Nächte des Jahres ist die Wartehalle im Münchner Hauptbahnhof am Mittwoch für Dutzende Flüchtlinge aus der Ukraine Endstation geworden.

Von dort kamen sie nicht weiter. Niemand da, der sie zu einem Schlafplatz hätte führen können, keine Shuttles zu Notunterkünften, nicht einmal eine Sitzmöglichkeit im Baustellen-Bahnhof. Sie standen sogar vor verschlossenen Toiletten.

Fast stündlich kommen Ukrainer am Hauptbahnhof an. Erste Anlaufadresse ist nun die kleinere Halle am Reisezentrum.
Fast stündlich kommen Ukrainer am Hauptbahnhof an. Erste Anlaufadresse ist nun die kleinere Halle am Reisezentrum. © Daniel von Loeper

Entkräftete Kinder mussten auf dem kalten Steinboden schlafen

Ehrenamtliche Helfer, die in der Nacht vor Ort waren, schilderten der AZ und in sozialen Medien menschenunwürdige Zustände. Am meisten erschütterte sie, dass kleine Kinder, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten nach ihrer Flucht vor dem Krieg, in München auf dem kalten Steinboden schlafen mussten.

Natalie Ostrovska ist vor 21 Jahren selbst aus der Ukraine geflüchtet. Sie hilft seit Tagen ehrenamtlich am Hauptbahnhof mit. In der Nacht zum Mittwoch war sie vor Ort. "Es tat mir im Herzen weh, das zu erleben", sagt sie der AZ.

Hat sich extra freigenommen, um am Bahnhof zu helfen: Natalie.
Hat sich extra freigenommen, um am Bahnhof zu helfen: Natalie. © Daniel von Loeper

Ukraine-Flüchtlinge am Hauptbahnhof: Nicht einmal genug Toiletten

Zwei Gruppen strandeten sehr spät. Eine wollte mit einem ICE weiterfahren. Doch dafür hätten sie eine Bescheinigung aus dem Reisezentrum gebraucht, berichtet Natalie Ostrovska: "Das war aber geschlossen." Eine andere Gruppe - ebenfalls Frauen und kleine Kinder - strandete in der kalten Wartehalle, weil es keine Schlafplätze für sie gab.

Ein Flüchtling hat sich nachts in der Halle auf eine Bierbank gelegt.
Ein Flüchtling hat sich nachts in der Halle auf eine Bierbank gelegt. © Daniel von Loeper

Natalie Ostrovska berichtet: "Es gab nicht einmal genügend offene Toiletten. Die im Zwischengeschoss werden ab Mitternacht abgesperrt."

Die Erwachsenen legten Decken, Reisetaschen und Tüten auf den Boden, damit ihre Kinder nicht auf dem blanken Steinboden liegen mussten. "Zum Glück hatte jemand kurz zuvor Decken gespendet", sagt die freiwillige Helferin. "Wir haben uns hilflos gefühlt, wussten nicht, wohin wir die Leute schicken sollen."

Bis 5 Uhr konnten die Geflüchteten in einem Zug ausharren

Die Anlaufstelle von der Caritas sei nicht mehr besetzt gewesen. Die Flüchtlinge seien "panisch, paralysiert und verzweifelt" gewesen, Ansprechpartner von der Stadt und der Regierung von Oberbayern Behörden nicht erreichbar.

Wenigstens stellte die Bahn einen Zug zur Verfügung, in dem sich die Geflüchteten aufhalten konnten - allerdings nur bis 5 Uhr, danach musste das Gleis wieder frei sein für den regulären Zugverkehr. Auch, so berichten Helfer, durften einige den Zug nicht besteigen, um sich auszuruhen, weil sie wohl noch nicht registriert gewesen waren.

"Der einzige Lichtblick waren die freiwilligen Helfer"

Die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt wurde durch eine Helferin auf die Situation aufmerksam: "Ich habe mich noch nie so wie heute früh für mein Land und meine Stadt geschämt", sagt sie der AZ. "Es gab keinen Zugang zu den Toiletten, weil man dafür Toilettenchips braucht. In der Unterkunft in der Osteria fehlten Strom und Wasser, es hat gestunken, es fehlte jegliches Management in der Nacht. Der einzige Lichtblick waren die freiwilligen Helfer." Die FDP-Politikerin weiter: "Die Stadt hat völlig versagt."

Ehrenamtliche versorgen die Flüchtlinge mit Getränken und Essensspenden. Immer wieder bringen Menschen Töpfe mit Gekochtem vorbei.
Ehrenamtliche versorgen die Flüchtlinge mit Getränken und Essensspenden. Immer wieder bringen Menschen Töpfe mit Gekochtem vorbei. © Daniel von Loeper
Provisorische Unterkunft für eine Nacht: das Notlager in der ehemaligen Osteria. In der Nacht zum Mittwoch waren alle Feldbetten belegt.
Provisorische Unterkunft für eine Nacht: das Notlager in der ehemaligen Osteria. In der Nacht zum Mittwoch waren alle Feldbetten belegt. © Daniel von Loeper

Reiter: "Das war die letzte Nacht, in der jemand auf dem Boden schläft"

OB Dieter Reiter (SPD) machte sich am Mittwoch Vormittag ein Bild von der Lage. "Das darf sich nicht wiederholen", sagt er, "das war die letzte Nacht, in der jemand auf dem Boden schlafen musste." Die Stadt will nun die Ausschilderung an den Gleisen zum Infopoint verbessern, dort städtisches Personal einsetzen, Shuttlebusse zu Notunterkünften und professionelles Catering am Bahnhof organisieren.

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