Angeklagter weint vor Gericht

Weil er die Kupplung loslässt, macht sein Auto einen Satz nach vorne. Sein Kumpel steht vor der Motorhaube, kann nicht ausweichen und wird unter den Wagen gedrückt. Nun steht der junge Mann vor Gericht.
von  Sophie Anfang
Der 18-Jährige wurde komplett unters Auto gezogen (Symbolbild)
Der 18-Jährige wurde komplett unters Auto gezogen (Symbolbild) © Gaulke

Weil er die Kupplung loslässt, macht sein Auto einen Satz nach vorne. Sein Kumpel steht vor der Motorhaube, kann nicht ausweichen und wird unter den Wagen gedrückt.

MünchenGanz in sich zusammengesunken sitzt er da, Hemd und Pulli sind ordentlich glatt gestrichen und wirken doch zu groß für den schmächtigen Mann auf der Anklagebank. Michael R. (19, alle Namen geändert) hat durch einen Fahrfehler seinen besten Freund mit dem Auto überrollt. Verurteilt wird er bei der Verhandlung vor dem Jugendgericht am Dienstag nicht. Gestraft ist er trotzdem.

Es ist ein Prozess, der die Grenzen dessen aufzeigt, was Gerichte leisten können: Michael R. und Robert F. waren enge Freunde. „Wir haben alles zusammen gemacht“, erzählt Michael vor Gericht. Auch an jenem tragischen Nachmittag letzten August. Die Freunde wollten zum Einkaufen – mit Michaels BMW. Davor wollte der damals 18-Jährige aus Ottobrunn sein Auto kurz checken; an den Vortagen hatte es Klappergeräusche gemacht.

Was genau passiert ist, ist wie aus seinem Gedächtnis gelöscht

Die Freunde öffneten die Motorhaube, Robert blieb davor stehen, Michael ließ den Motor an, um probeweise Gas zu geben. Was dann passierte, ist wie aus seinem Gedächtnis gelöscht: „Der ganze Vorgang ist weg vom Kopf her.“ Doch er muss von der Kupplung abgekommen sein, denn der BMW machte einen Satz nach vorne, krachte mit einem davor geparkten Auto zusammen. Robert konnte nicht ausweichen, wurde unter das Auto gedrückt – so unglücklich, dass er nicht wieder herausgeholt werden konnte und erstickte.

„Ich habe noch seinen Puls gefühlt, einen Wagenheber in meinem Auto gesucht“, sagt Michael. Seine Stimme zittert, bricht immer wieder ab, weil er schluchzen muss. Dreimal habe er beim Rettungsdienst angerufen: Sie müssten einen Kran mitnehmen, um seinen Freund zu bergen.

Als die Feuerwehr den Wagen heben kann, ist es zu spät

Doch als die Feuerwehr Robert mit einem Luftkissen bergen konnte, war es zu spät. Wäre es früher gelungen, würde Robert vielleicht noch leben.

Im Gericht herrscht eine bleiern-schwere Stimmung, als Michael erzählt. Seine Eltern sitzen im Zuschauerraum in der ersten Reihe, sein Vater atmet oft schwer, als müsste er selbst mit den Tränen kämpfen. Roberts Familie sitzt als Nebenkläger Michael direkt gegenüber, seit dem Unfall haben sie nicht mit ihm gesprochen. Zur Beerdigung sollte er nicht kommen. „Das war schwer für mich“, sagt Michael. Er denke jeden Tag an seinen Freund.

Ein Vermittler soll helfen: Und macht nur alles schlimmer

Gesprochen hatten die Familien bis zum Gerichtstermin nur über einen Vermittler, einen Nachbarn der Familie F. Doch bei der Verhandlung drängt sich der Verdacht auf, dass dieser eher alles noch schlimmer gemacht hat: Viele der Kontaktversuche von Michael scheint er nicht an die F.s weitergegeben zu haben. „Eine Kommunikationsbremse“, stellt die Richterin fest.

Eine Bremse, die vielleicht gelöst werden kann: Obwohl „Robert das gefühlt nicht gerecht wird“, wie sein Vater unter Tränen erklärt, ist Familie F. am Schluss bereit, dass das Verfahren eingestellt wird – Auflage: ein Versöhnungsgespräch. Ob alle Familienmitglieder teilnehmen werden, ist ungewiss.

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