Angeklagter Holger G. sagt im NSU-Prozess aus
Holger G. ist der zweite Angeklagte, der im NSU-Prozess aussagt. Er belastet seine Mitangeklagten Zschäpe und Wohlleben und gibt zu, dem NSU-Trio geholfen zu haben. Von Morden aber habe er nicht gewusst.
München - Holger G. holt noch einmal tief Luft, dann legt er los. Eine halbe Stunde lang trägt der Angeklagte im NSU-Prozess eine schriftlich vorbereitete Erklärung vor, in der er sich zunächst bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt. Er spricht hektisch, ohne Punkt und Komma, verschluckt Wörter und Wortfetzen, blickt immer wieder hilfesuchend zu seinen Anwälten – und scheint vor Aufregung fast das Atmen zu vergessen. Als er fertig ist, lässt sich der 39-Jährige in seinem Stuhl nach hinten fallen, fährt sich mit beiden Händen durch die Haare – er wirkt völlig erschöpft.
Holger G. ist nach Carsten S. der zweite Angeklagte, der im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) aussagt – auch wenn er zur Sache selbst nur die schriftliche Erklärung vorträgt und keine Fragen dazu beantwortet. Doch das, was G. vorträgt, hat es durchaus in sich.
G., der wegen Unterstützung der Neonazi-Terrorzelle angeklagt ist, schildert ausführlich, wie er Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Anfang der 90er Jahre kennenlernte. „Wir betrachteten uns als Neonazis“, sagt er. Und wie er den dreien nach deren Untertauchen half – bis ins Jahr 2011 hinein. Das wirft ihm die Anklage vor: Dass er das Trio mit Papieren versorgte, den dreien etwa seinen Reisepass und Führerschein überließ. Zudem soll er einmal eine Waffe vom ebenfalls angeklagten Ralf Wohlleben zu den drei Untergetauchten transportiert haben.
All das gibt er zu, auch den Transport der Waffe – womit er Wohlleben belastet, aber auch Zschäpe, die ihn vom Bahnhof abgeholt habe und bei der Übergabe dabei gewesen sei. „Wenn ich von ihnen spreche, meine ich immer die drei“, sagt er einmal. Das könnte den Vorwurf der Mittäterschaft gegen Zschäpe stützen. Die Bundesanwaltschaft sieht die Hauptangeklagte als Mittäterin bei allen der Gruppe angelasteten Verbrechen, darunter zehn Morden, auch wenn sie bei der Ausführung nicht direkt vor Ort war.
In einem Punkt allerdings widerspricht Holger G. der Anklage: Er habe nichts von den Morden und Bombenanschlägen gewusst, nicht einmal geahnt. „Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass die drei möglicherweise Gewalt in dem hier vorgeworfenen Ausmaß gegen andere ausüben könnten“, sagt er. Niemand in Deutschland habe die Existenz einer solchen Gruppe erahnt. „Das gilt auch für mich.“ Und an anderer Stelle sagt der 39-Jährige: „So etwas hätte ich mir nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen vorstellen können.“ Zschäpe, die während der gesamten Aussage direkt vor G. sitzt, hört ohne jede Regung zu.
Dass er den dreien geholfen habe, sei ein selbstverständlicher Freundschaftsdienst gewesen, sagt G. „Ich habe das damals gemacht, weil ich meinen Freunden helfen wollte.“ Zumal die drei stets betont hätten, mit seinen Papieren „keinen Scheiß“ zu machen. Vielleicht sei es „ziemlich naiv und bescheuert gewesen“, seinen Führerschein herauszugeben, sagt G. jetzt. Doch wofür seine Identität missbraucht worden sei, habe er erst nach dem Auffliegen der Terrorgruppe im November 2011 erkannt.
Als guter, gutgläubiger Freund, der nichts Schlimmes geahnt habe - so versucht sich G. vor Gericht darzustellen. „Eine normale Schutzbehauptung“, wird Bundesanwalt Herbert Diemer später sagen. Und Nebenklage-Anwältin Angelika Lex betont: „Man muss das alles noch einer Glaubwürdigkeitsprüfung unterziehen.“
Dabei klingt vieles durchaus glaubwürdig, was G. dem Gericht über sein Leben erzählt – wobei er seinen Lebenslauf derart nervös, hektisch und schwer verständlich herunterrattert, dass der Vorsitzende die Verhandlung zweimal unterbrechen und G. von vorne anfangen lässt – einmal an neuem Platz, einmal mit neuem Mikrofon.
G. berichtet damit dreimal hintereinander von seiner Kindheit und Jugend: von seiner „Standard-DDR-Erziehung“, von der Scheidung seiner Mutter von seinem „biologischen Erzeuger“. Er erzählt von seinem Schulverweis, seinen beiden Ausbildungen, dem Umzug nach Hannover. Und er berichtet von Problemen mit Drogen wie Speed und Ecstasy, aber auch von seiner langen Glücksspielsucht.
Irgendwann aber, so schildert es G., habe sich sein Leben verändert. 2004 sei er aus der rechten Szene ausgestiegen, 2007 habe er seine heutige Lebensgefährtin kennengelernt, die einen „stabilisierenden Einfluss“ auf ihn gehabt habe. „Ich führe seither das, was wir früher ein Spießerleben genannt haben“, sagt G. Auffällig ist bei alledem, dass er oft in der dritten Person von sich spricht. „Man war nicht mehr alleine“, sagt er. Oder auch: „Man hat halt lange gebraucht, erwachsen zu werden.“