Amsterdam sehen – und sterben

Die Münchnerin Susanne Rautenberg leidet unter der Krankheit ALS. Eine Heilung, das weiß sie, ist nicht möglich. Sie sagt: „Ich löse mich auf. Und mein Geist ist dabei vollkommen intakt“. Ihr einziger Wunsch: In Würde sterben - und den Zeitpunkt selbst bestimmen.
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Zum Segeln fehlt ihr heute die Kraft: Susanne Rautenberg ist an ALS erkrankt.
privat Zum Segeln fehlt ihr heute die Kraft: Susanne Rautenberg ist an ALS erkrankt.

Die Münchnerin Susanne Rautenberg leidet unter der Krankheit ALS. Eine Heilung, das weiß sie, ist nicht möglich. Sie sagt: „Ich löse mich auf. Und mein Geist ist dabei vollkommen intakt“. Ihr einziger Wunsch: In Würde sterben - und den Zeitpunkt selbst bestimmen.

LAIM „Bei ALS stirbt man zwei Mal. Das erste Mal bei der Diagnose.“ Susanne Rautenberg (47) bekam die Nachricht, die wie ein Todesurteil für sie ist, im Januar. „Ich habe viel geweint danach“, erzählt sie. Ihr Mann und viele Freude aber haben die Laimerin wieder aufgerichtet. Jetzt will sie einfach den Rest ihres Lebens genießen und dann selber frei entscheiden können, wo und wie sie stirbt. Eine Patientenverfügung hat sie bereits unterschrieben, aber auch aktive Sterbehilfe, wie sie in Holland praktiziert wird, ist für die Krankenschwester kein Tabu – wenn ihr das Leben nicht mehr lebenswert erscheint.

Susanne Rautenberg erinnert sich noch, wie sie im Mai 2007 zum ersten Mal merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmt. „Beim Segeltörn in der Adria gaben mir meine Beine nicht mehr den gewohnten Halt.“ Doch es vergingen noch Monate, bis sie sich untersuchen ließ. „Und das, obwohl ich Krankenschwester bin.“ Sie schüttelt den Kopf über die eigene Unvernunft.

"Wovor haben Sie Angst?"

Anlass, sich untersuchen zu lassen, war im November 2007 ein gebrochener Fuß. Ein Unfall, der beim Besuch ihrer Schwester in der Lüneburger Heide passiert war. Der eingeschaltete Neurologe äußerte erstmals den Verdacht auf eine so genannte motoneuronale Erkrankung (siehe Kasten). ALS ist die verbreitetste Form dieser Krankheit. Stephen Hawking und Jörg Immendorff sind bzw. waren bekannte ALS-Patienten.

„Der Arzt hat mich vor den Untersuchungen gefragt: "Wovor haben Sie Angst?" Ich habe geantwortet: ,Vor ALS.’“ Doch der Albtraum wurde wahr. Eine Hand ist bereits gelähmt. Sie spricht leise und langsam. Auch dies eine Folge der Nervenkrankheit. Immer mehr körperliche Fähigkeiten gehen ihr verloren. Inzwischen läuft die früher so sportliche Frau an Krücken, über längere Distanzen muss sie sogar den Rollstuhl nutzen. Die 47-Jährige ist zudem anfälliger für Lungenentzündungen geworden.

„Ich will am Leben teilnehmen."

„Im Westbad bin ich vor kurzem im Strömungskanal fast ertrunken. Eine Freundin hat mich rausgeholt.“ Letzte Woche musste sie dann wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. „Ich hatte zuviel Wasser geschluckt.“

Für Radfahren und Segeln, all die Dinge, die sie früher so gerne gemacht hat, fehlt ihr die Kraft. Ihrer Arbeit als Krankenschwester in einem Dialyse-Zentrum kann sie auch nicht mehr nachgehen. Kein Wunder, dass sie immer wieder in ein emotionales Tief gerät. „Aber Stimmungsaufheller will ich nicht nehmen.“ Sie strahlt Lebensfreude aus. Möchte es aus eigener Kraft schaffen: „Ich will am Leben teilnehmen. Wenn das nicht mehr geht, werde ich mich zurückziehen.“

"Noch einmal Amsterdam sehen und dann sterben.“

Und dann irgendwann entscheiden, wann sie gehen will. Auch Sterbehilfe schließt sie nicht aus. Ähnlich, wie es Oswalt Kolle kürzlich beim Tod seiner Frau beschrieb, hat sich die Laimerin Holland – dort ist Sterbehilfe legal – dafür ausgesucht. „Das habe ich schon im Hinterkopf. Noch einmal Amsterdam sehen und dann sterben.“

Dass sie jetzt noch lebt, dass sie noch viel machen kann, ist für sie schon eine positive Überraschung. Anfangs habe sie gedacht, der Verfall würde noch schneller fortschreiten. Das macht Hoffnung, dass ihr noch Zeit bleibt. „Der Maler Jörg Immendorff hat elf Jahre mit ALS gelebt.“ Eine Heilung aber, das weiß sie, ist nicht möglich. Der Verlauf der Krankheit kann lediglich durch das Artzney Riluzol verlangsamt werden. „Das nehme ich auch, aber es zerstört die Organsysteme.“ Noch schrecklicher als die Nebenwirkungen aber ist es für sie, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren. „Ich löse mich auf. Und mein Geist ist dabei vollkommen intakt.“ Als sähe man sich beim Sterben zu.

„Schlimm ist nicht der Tod, sondern die Zeit davor."

Doch sie bekommt Hilfe. Von ihrem Mann, der bereits seinen Vater durch ALS verloren hat, ihren Freunden, aber auch Fremden, die unerwartet viel Hilfsbereitschaft gezeigt haben. „Man lernt schnell zu unterscheiden: diejenigen, die helfen wollen und diejenigen, die auf Distanz gehen.“ Auch, weil der Anblick der Kranken an den eigenen Tod erinnert.

Hilfe bekommt Rautenberg auch vom Hospizdienst Da-Sein. Als die Diagnose kam, schaltete sie die Münchner Sterbebegleiter ein. Jetzt hofft sie, dass die Mediziner ihre Patientenverfügung ernst nehmen und ihr die Palliativ-Pfleger von Da-Sein beim Sterben helfen. „Schlimm ist nicht der Tod, sondern die Zeit davor. Ich möchte nicht jahrelang in völliger Abhängigkeit leben.“

Dann lieber in Würde sterben. Am liebsten zuhause, ihren Mann an der Seite. Sie lächelt. Der Gedanke ans Ende macht ihr keine Angst. Nicht mehr.

John Schneider

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