Amok-Trittbrettfahrer halten die Münchner Polizei in Atem

Freimann, Bogenhausen, Pasing: In den letzten Tagen erfuhr die Polizei von zahlreichen Drohungen, die im Zusammenhang mit dem Amoklauf von München standen. Was dran war – und was den Trittbrettfahrern droht.
München - Es ist ein verstörendes Phänomen: Nach jedem Amoklauf schnellt die Zahl sogenannter Trittbrettfahrer, die neue Bluttaten ankündigen, in die Höhe. So zählte die bayerische Polizei nach dem Amoklauf in Winnenden mehr als 148 Personen, die mit Ankündigungen von einem neuen Amoklauf Angst und Schrecken verbreiteten.
„In München haben wir seit dem 22. Juli über 20 Hinweise dieser Art bekommen“, sagte Staatsanwalt Florian Weinzierl gestern zur AZ. „Die Urheber zu ermitteln, bedeutet einen großen Aufwand, der die Kräfte der Polizei extrem bindet“, sagt der Staatsanwalt.
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Meist wollen die Täter nur Aufmerksamkeit erregen, finden ihre Aktion „lustig“ oder hoffen auf einen schulfreien Tag. Doch das Lachen wird ihnen spätestens dann vergehen, wenn die Polizei ihnen die Einsätze in Rechnung stellt. „Alle diese Personen werden mit aller Konsequenz verfolgt und angezeigt. Die Einsatzkosten werden ihnen in Rechnung gestellt“, sagt Polizeisprecher Markus Ellmeier.
Und das kann teuer werden: 54 Euro werden pro beteiligtem Beamten pro Stunde berechnet. Kommt ein Hubschrauber zum Einsatz, wird’s noch deutlich teurer. So kann der „Spaß“ schnell mehrere 1000 Euro teuer werden. Außerdem droht den Tätern eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren wegen Störung des öffentlichen Friedens und Androhung von Straftaten.
Diese Fälle wurden in den vergangenen Tagen bei der Polizei aktenkundig:
Auf seinem Facebook-Account fordert ein Fräser (48) aus Freimann nur einen Tag nach dem Amoklauf im OEZ, dass „Köpfe rollen“ müssen. Wenig später bekommt der 48-Jährige Besuch von der Polizei, seine Wohnung wird durchsucht, der PC des Mannes sichergestellt. Verbotene Gegenstände findet die Polizei nicht. Der Mann wird wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten angezeigt. Danach darf er wieder nach Hause.
Im Gruppen-Chat einer Klasse kündigt ein 21-Jähriger, der noch zu Hause wohnt, am Sonntag einen Amoklauf an. Ein Zeuge, der die Nachricht gelesen hat, ruft die Polizei. Auch in diesem Fall nehmen die Beamten den Hinweis sehr ernst – Wohnungsdurchsuchung. Waffen oder Hinweise auf einen tatsächlich geplanten Amoklauf werden nicht gefunden. Der 21-Jährige sagt, er habe „provozieren“ wollen. Er bekommt eine Anzeige wegen Androhung von Straftaten.
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In einer Schule sagt ein Schüler aus Bogenhausen am Montag zu seinem Lehrer, dass er eine Pistole mit in die Schule bringen würde. Der Lehrer informiert die Schulleitung, die wiederum die Polizei verständigt. Es folgt: Wohnungsdurchsuchung, Belehrung, Anzeige. Gefunden wird nichts. Der Schüler gibt an, er habe das nur „aus Spaß“ gesagt.
Mit den Worten des Amokläufers postet ein Schüler (14) aus Pasing am Dienstag, dass er alle Bekannten zum „Meggi“ (McDonald’s) einlade. Die Polizei nimmt den Jugendlichen vor seiner Schule fest: Anzeige.
So teuer kann die „Störung des öffentlichen Friedens“ werden
Er wurde vom SEK unsanft aus seiner Wohnung geholt, verbrachte zwei Monate in einer Fünf-Mann-Zelle in U-Haft und wurde schließlich zu einem Jahr auf Bewährung und 300 Stunden gemeinnützige Arbeit verurteilt. Und vor allem: Das Polizeipräsidium München stellte ihm eine Rechnung, die es in sich hatte: 1,8 Millionen Euro für die polizeilichen Einsatzkosten! So ist es einem Trittbrettfahrer aus München ergangen, der 2006 Amok-Alarm an 38 Münchner Realschulen ausgelöst hatte. 1461 Polizisten waren an drei Schultagen im Einsatz gewesen. 41127 Überstunden hatten die Beamten geleistet.
Computer-Freak Wolfgang B. (damals 23) hatte am 8. Dezember 2006 unter der gefälschten Adresse „Robert Steinhäuser“ (Amokläufer von Erfurt) mit einem Blutbad an einer Münchner Realschule gedroht. „Ihr könnt mich nicht stoppen“, schrieb er per Mail ans Polizeipräsidium München. Dafür loggte er sich bei einem Vater in Gern ein, der eine Wlan-Verbindung ohne Kennwort benutzte.
Die Summe, die die Polizei diesem Trittbrettfahrer in Rechnung stellte, war extrem hoch. Meist liegt die Höhe der Kosten bei etwa 5000 Euro.
Am 22. September 2010 verschickte ein Schüler drei Emails, in denen er vor einem Amoklauf am nächsten Tag warnte. Er wurde zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit und zur Zahlung von 3840 Euro Einsatzkosten verurteilt.
Drei Tage nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November versetzte ein betrunkener 24-Jähriger in Neuperlach Passanten in Angst. Er drohte auf der Straße: „Morgen, 17 Uhr, passiert ein Anschlag. Yalla, yalla, ihr werdet alle sterben.“ Der vorbestrafte Mann wurde zu fünf Monaten Haft verurteilt.
„Kommt morgen um 17 Uhr meggi in arcaden“, lautete ein aktueller Facebook-Eintrag eines Schülers, der in Regensburg für Verunsicherung sorgte. Der Schüler wurde gefasst, legte ein Geständnis ab. McDonald’s erwägt eine Schadensersatzklage.