„Altersarmut? Daran haben wir nie gedacht“

MÜNCHEN - Sie hat drei Kinder großgezogen, dem Mann in der Firma geholfen und mit 50 noch eine Ausbildung gemacht. Heute kauft sie angestoßenes Gemüse, ein Cappuccino für 1,80 Euro ist der höchste Luxus. Die Münchner Rentnerin Marianne Sladky muss von fünf Euro am Tag leben.
Irgendwie muss es halt gehen.“ Marianne Sladky sagt diesen Satz oft, und dann streicht sie über das bestickte Tischdeckchen, ein Überbleibsel aus besseren Zeiten, und versucht, zu lächeln. Marianne Sladky möchte nicht jammern. „Anderen geht es viel, viel schlechter als mir.“ Aber besonders gut geht es ihr auch nicht: Marianne Sladky kann am Tag zwischen vier und fünf Euro ausgeben. Im Monat hat sie 150,46 Euro zur Verfügung.
Die 74-jährige Perlacherin ist eine von drei Millionen Rentnern in Deutschland, die akut von Armut bedroht sind. Sie ist eine von denen, die durch das Raster der gesetzlichen Kasse fallen: Sie hat jahrelang Kinder erzogen, ihr Mann war selbstständig und hat nichts eingezahlt. Sicher: Keiner Rentnergeneration ging es so gut wie dieser, und in der aufgeheizten Debatte warnt sogar Altbundespräsident Roman Herzog vor „Ausbeutung der Jungen durch die Alten“. Doch es gibt auch Menschen wie Marianne Sladky: die im Monat 331 Euro Rente hat, plus 236 Euro Witwenrente und eine kleine Zusatzrente von 32 Euro. Damit sie aufs Existenzminimum kommt, bezieht sie dazu 160 Euro Grundsicherung.
Früher lebte Marianne Sladky mit ihrem Mann in einem Reiheneckhaus. „Wir hatten keine Reichtümer, aber wir waren zufrieden. Ein Auto, ab und zu mal Urlaub. Ganz normaler Mittelstand eben.“ Viele Fotos zeugen von diesem Leben. Auf einem sitzt eine etwa 40-jährige Marianne im Garten und blinzelt in die Sonne. Auf dem Tisch Bier- und Weingläser, im Hintergrund blühen die Rosen. „Ich wollte das Bild rahmen, aber das war dann zu teuer.“ So klebt es jetzt mit Tesafilm am Schrank.
"Plötzlich ging alles ganz schnell"
Auch ihr Mann ist auf dem Foto zu sehen – er starb an Leukämie. „Plötzlich ging alles ganz schnell, wir mussten das Haus verkaufen, und naja, jetzt bin ich hier.“ Auf 31 Quadratmetern lebt Marianne Sladky jetzt, die kleine Wohnung ist vollgestopft mit Büchern, Stofftieren, Andenken. Mit Mitte 50 machte die gelernte Krankenschwester nochmal eine Ausbildung zur Altenpflegerin, arbeitete dann 13 Jahre in einem Seniorenheim. „Ich war halt 25 Jahre daheim, hab meine drei Kinder großgezogen und meinem Mann in der Firma geholfen. Er war selbstständig mit einem Sanitärhandel. Deshalb hab ich so wenig Rente.“
Vielleicht war es leichtsinnig, sich darauf zu verlassen, dass alles immer so weitergehen würde – „wir haben nie an so etwas wie Altersarmut gedacht. Das waren ganz andere Zeiten“, sagt Marianne Sladky. Ihrer Tochter jedenfalls riet sie, trotz Kind weiter arbeiten zu gehen. „Das kann man sich als Frau heute einfach nicht mehr leisten, daheim zu bleiben. Dabei ist Kindererziehung auch Arbeit, oder nicht?“
"Ich will kein Bittsteller sein"
Und wie lebt sie nun, mit fünf Euro am Tag? „Das geht schon“, erzählt Sladky. Die Sonderangebote kennt sie auswendig. „Auf dem Markt gibt’s angestoßenes Obst oder Gemüse kurz vor Schluss ganz billig.“ Außerdem arbeitet die 74-Jährige ehrenamtlich in einem Altenheim, geht mit Bewohnern spazieren und liest ihnen aus der Zeitung vor. „Oft kann ich im Heim umsonst zu Abend essen.“ Aber das sei nicht der Grund, warum sie sich dort engagiere: „Ich kann nicht den ganzen Tag nur rumsitzen. Ich will kein Bittsteller sein, ich will etwas Sinnvolles tun. Und außerdem macht’s Spaß.“
Ein wirkliches Problem bekommt Marianne Sladky, wenn etwas kaputt geht. Der Wasserkocher zum Beispiel. Wenn sie sich einen Tee machen will, klebt sie den ausgeleierten Einschalt-Knopf mit Tesafilm fest. Auch das Kabel des Bügeleisen ist mehrfach abgeklebt. Die Wohnung ist blitzsauber, auf dem altersschwachen Sofa hat sie sorgfältig ein Handtuch ausgebreitet. „Schön machen muss man es sich doch!“
Schokolade für die Enkel
Auch Kleider sind zu teuer. „Ich habe viel von meiner Mutter geerbt, das kann ich auftragen.“ Die schwarze, schicke Hose wird nur an besonderen Anlässen wie Weihnachten aus dem Schrank geholt. „Dass ich den Enkeln nichts Richtiges schenken kann, das find ich schon traurig“, sagt Sladky. „Für sie heb ich das ganze Jahr über Schokolade auf, die verschenke ich dann.“
Gibt’s überhaupt so etwas wie ein bisschen Luxus im Leben von Marianne Sladky? Die Rentnerin lächelt fast ein bisschen verschämt: „Wenn mir hier die Decke auf den Kopf fällt – dann radel ich ins Pep und trink einen Cappuccino für 1,80 Euro. Das gönn’ ich mir dann einfach.“
Annette Zoch