Alpenverein und Bergwacht: "Da regnet’s und da breslt’s owa"

Der DAV präsentiert die Bergunfallstatistik 2015. Zwar sinkt das Risiko insgesamt, doch viele überschätzen sich und unterschätzen Gefahren.
von  az/dpa
Alpenverein und Bergwacht müssen zu immer mehr Einsätzen ausrücken.
Alpenverein und Bergwacht müssen zu immer mehr Einsätzen ausrücken. © dpa

München - Schon seit den 50er Jahren sinkt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Ausflug in die Berge tödlich zu verunglücken kontinuierlich. Allerdings nur in Bezug auf die Mitgliederzahlen des Deutschen Alpenvereins (DAV) – und die steigen stetig. Genau wie die Zahl derer, die in den Bergen unterwegs sind. Schon ohne geänderte Umstände mit reinzurechnen, ist es also eine recht komplexe Datenlage, die Sicherheitsforscher Christoph Hummel für den DAV mit ausgewertet hat.

Insgesamt nimmt die Zahl der Unfälle und Notfälle in den Bergen seit den 90er Jahren leicht zu. Dabei spielt allerdings auch das Handy, das im gleichen Zeitraum seinen Aufstieg erlebte, eine Rolle. Denn seither ist es wesentlich einfacher Hilfe zu rufen. So rückt die Bergrettung auch schon in Notsituationen häufiger aus – beispielsweise wenn eifrige Wanderer nicht mehr vor- und zurückwissen.

"Blockierungen" nennt Hummel die Situationen, in den die Bergfexe schlicht festsitzen. Fast jeder fünfte Einsatz ist inzwischen darauf zurückzuführen. Zum einen war es für solche Unglücksvögel freilich schwer möglich die Bergrettung anzurufen, als das nächste Telefon in der Hütte hing. Beim Versuch sich selbst aus der Lage zu befreien, landeten dann nicht wenige in der Statistik der Abgestürzten und Verunglückten.

Immer wieder geraten Wanderer auf den Prestige-Bergen in Not

Hummel weiß allerdings auch: "Die Blockierungen sind oft eine Folge davon, dass die Touren unter- oder die eigenen Fähigkeiten überschätzt werden." In Zeiten der Digitalisierung der virtuellen Zugspitzentouren scheinen die Berge näher denn je. "Wenn ich in den Bergen bin, kommt immer der Moment wo ich realisiere – das ist echt. Da regnet’s und da breslt’s owa", sagt Stefan Winter, Ressortleiter für Breitenbergsport beim DAV.

Auch die "Prestige-Berge" schlagen sich in den Zahlen des DAV nieder. 2015 ging jeder fünfte Notruf wegen Erschöpfung vom Jubiläumsgrat ein – die Zugspitze gehört zu den Prestigetouren. Mit rund acht bis zehn Stunden Gehzeit ist die Tour fast so anspruchsvoll wie das Matterhorn und sollte nur von fitten und erfahrenen Wanderern gegangen werden. Der DAV empfiehlt jedem, der sich nicht sicher ist, sich von Bergführern helfen zu lassen.

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Hinzu kommen falsche Ausrüstung und, wie Serie von Hitzesommern seit 2003 zeigte, zu wenig Wasser. Die Folge sind dann Kreislaufprobleme und Dehydrierung. Dennoch geraten auch Wanderer mit 500 Tagen Erfahrung in den Bergen immer wieder in Not.

Anders sieht es in den Klettersteigen aus: Dort, so ergeben die Nachforschungen des DAV, sind die Kletterer am Anfang vorsichtig. Wenn die erste Furcht überwunden ist, steigt allerdings die Risikobereitschaft. "Die meisten Unfälle beobachten wir bei jenen, die etwa zehn bis 30 Tage Erfahrung im Klettersteig haben", bilanziert Hummel.

Eine Flugminute des Rettungshubschraubers kostet rund 50 Euro

Besonders viele Unfälle gibt es in den Steigen der Schwierigkeitsgrade C und D, also durchaus anspruchsvollen. Die trauen sich einige Kletterer zu früh zu und bewegen sich nicht so, wie es im Steig sein muss. Übrigens: Eine Flugminute des Rettungshubschraubers kostet rund 50 Euro.

Die Bayerische Bergwacht musste im letzten Jahr 8148 mal ausrücken. Insgesamt würden die Unfälle mehr und komplexer, berichtet Pressesprecher Roland Ampenberger. Selten sei eine einzige Ursache auszumachen. Zum einen stellt die Bergwacht fest, dass der Zugang zu den Bergen leichter wird, gleichzeitig weiten sich die Aktionsformen, beispielsweise durch E-Bikes, aus. Außerdem würden dank der Handys Notrufe früher abgesetzt – die Hemmschwelle ist geringer. 514 Fehleinsätze verzeichnet die Bergwacht 2015.

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Dennoch stuft sie die Mobiltelefone als klaren Gewinn ein. "Handys sind als Notfallmelder ideal – auch um unklare Situationen in der Einsatzabwicklung zu koordinieren", stellt Ampenberger klar.

Im internationalen Vergleich mit den Alpennachbarn Österreich und der Schweiz kommen die Bergrettungen und Alpenvereine auf ähnliche Zahlen, wie die Bayern. Zwar seien die Zahlen aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen schwer vergleichbar, kommentiert Hummel. Dennoch ergebe sich ein ähnliches Bild. Hitzesommer, Ehrgeiz an den Prestige-Bergen und der Boom in den Klettersteigen fordern die Retter. Denn trotz Videospielen und digitalen Touren gilt: Der Berg, der ist echt.

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