Aiwanger warnt vor Kipppunkt: "München muss schauen, dass es den Bogen nicht überspannt"

AZ: Herr Aiwanger, Sie weisen darauf hin, dass das öffentliche Geld von den Gewerbesteuerzahlern kommt. Es gibt die Tendenz, dass Firmen aus München ins Umland fliehen, auch bekannte und anerkannte wie etwa die Bayerische Hausbau. Halten Sie das für unanständig?
HUBERT AIWANGER: Na ja. Die Moral endet, wo es ums Geldverdienen geht. Jeder muss in diesen Zeiten mit spitzem Bleistift rechnen, das halte ich nicht für unmoralisch. Die Stadt München muss alles tun, um wirtschaftsfreundlich zu sein.
Steuerdumping zwischen bayerischen Kommunen halten Sie für unproblematisch?
Natürlich machen viele am Land die Gewerbesteuer möglichst niedrig, um überhaupt noch Ansiedlungen zu erleben. München kann doch da nicht sagen: mehr Schmuddel, mehr Leerstand, aber immer mehr Steuern. Irgendwann kippt das, wenn man immer mehr abkassiert. München muss schauen, dass es den Bogen nicht überspannt – und auch wieder mehr an der eigenen Attraktivität arbeiten.
Sie stehen als politische Figur sehr stark dafür, die bodenständigen, alteingesessenen Leute zu verstehen. Glaubt der Wirtschaftsminister Aiwanger, dass die Münchner es für eine gute Nachricht halten, wenn mit den US-IT-Riesen nochmal viele Tausende internationale hochausgebildete Leute nach München drängen?
München war immer eine weltoffene Stadt. Ich glaube, der alteingesessene Münchner hat kein Problem mit einem japanischen IT-Spezialisten. Eher eines mit einem Kiffer, der auf dem Schulweg seiner Kinder sitzt.
"Die Bauwirtschaft wird sich erholen": Aiwanger rechnet mit Trendwende in München
Der OB hat noch die Hoffnung, dass auch neue Firmen in den Bau von Mitarbeiterwohnungen einsteigen. Teilen Sie diese Hoffnung – oder halten Sie sie für naiv?
Ich wundere mich da vor allem. Wenn Sie nur an die Erbschaftssteuer denken: Rot-grüne Politik ist hausbaufeindlich. Die Stadtregierung müsste bei ihren Leuten in Berlin sagen: Schafft die Erbschaftssteuer ab! Heute werden Häuser an chinesische Investoren verkauft, weil die Leute sich die Erbschaftssteuer nicht mehr leisten können. Statt auf Bürgerfreundlichkeit zu setzen, schreit man: Google soll Häuser bauen! Besser sollten sie aufhören, die kleinen Leute zu belasten und dafür sorgen, dass die Einheimischen wieder in Immobilien investieren können.
In München liegen jetzt viele Flächen brach, trotz Wohnungskrise werden kaum noch neue Wohnungen gebaut. Rechnen Sie mit einer raschen Trendwende?
Der Bedarf ist da, die Bauwirtschaft wird sich erholen. Aber ich glaube, dass sie sich verändern wird, dass modularer gebaut wird, mit industriellen Fertigbauten in kurzer Zeit ein neuer Komplex in der Landschaft steht. Auch die Politik muss sich bewegen.

Inwiefern?
Es muss beim Bauen weniger Vorschriften geben. Das geht bis hin zu den Umweltschutzvorgaben, das sind ja Exzesse. Da werden große Baugebiete nicht vorangetrieben, weil Artenschützer ein Tier gefunden haben.
Ist München zu voll? "Das Wachstum unterbrechen zu wollen, das ist doch grüne Ideologie"
Grüne und Rote fordern deutlich mehr Mieterschutz. Das wäre gerade für München gut, oder?
Bei denen geht alles gegen die Eigentümer. Dabei ist der Eigentümer oft in einer Zwickmühle. Er soll teure Häuser mit besten Standards bauen und billig vermieten, das macht eben keiner mehr, wie man sieht. Einen Mietnomaden kriegst du nicht mehr raus, aber deine Kinder sollen viel Erbschaftssteuer bezahlen, wenn sie die ruinierte Wohnung übernehmen. Das ist die Lage.
Ist Ihr Eindruck auch, dass die Tourismuskrise überwunden ist? Werden in München bald wieder viele neue Hotels gebaut?
Ja, es könnte durchaus sein, dass die Übernachtungskapazitäten bald wieder ausgereizt sind und dass dann wieder investiert wird.
Viele Münchner nervt, dass die Bahnen noch voller sind – und wo Hotels gebaut werden, werden keine Wohnungen gebaut.
Das ist der Preis des Wachstums. Natürlich sind übersättigte Städte irgendwann an einem Punkt, an dem sie sagen: Ich will nicht mehr. Aber sie leben ja auch vom Wachstum. Das Wachstum unterbrechen zu wollen, das ist doch grüne Ideologie.
Sind die Grünen da aus Ihrer Sicht populistisch?
Eher realitätsfern und träumerisch. Träumen von einer heilen Welt ohne Wirtschaftswachstum, die in der Realität nicht funktioniert, leben von der Geldbörse des Vaters, der mit Wachstum sein Geld verdient hat.
Im Tourismus rechnet man heuer mit all den Riesen-Veranstaltungen auf jeden Fall mit einem Ansturm wie lange nicht. Herr Aiwanger, gehen Sie auch zu AC/DC? Oder zu Adele?
Nein, ich gehe auf andere Veranstaltungen. Ich bin nicht so der Konzerttyp.