Ärger um die Fraunhoferstraße: Die Kritiker hatten Recht

Parkplatz-Ärger, Anwohner-Proteste und die Frage, wie viel Neubau die Stadt noch verträgt. Stadtbaurätin Elisabeth Merk zieht ein Fazit des Jahres – und blickt auf 2020.
Emiliy Engels |
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Parklets schaffen an der Schwanthalerhöhe mehr Platz für Pflanzen.
Daniel von Loeper Parklets schaffen an der Schwanthalerhöhe mehr Platz für Pflanzen.

München - Es sind aufgeregte Zeiten, was die großen Fragen zur Zukunft Münchens betrifft. Bei der Stadt hauptverantwortlich für die großen Antworten: Stadtbaurätin Elisabeth Merk.

AZ: Frau Merk, Nachverdichtungsgegner treten mit einer eigenen Liste zur Kommunalwahl 2020 an und kritisieren, dass zu viel und zu schnell gebaut wird. Verliert München sein Gesicht?
ELISABETH MERK: Nein. München verändert sein Gesicht. An einigen Stellen passiert das schon zu schnell. Und zu massiv. Veränderungen brauchen Zeit, damit man sie gut macht – und damit sie sich gut verankern.

Wo ging es denn zu schnell?
Eigentlich überall. Und ich glaube, dass genau die Tatsache, dass Veränderung nicht nur noch am Stadtrand passiert, sondern überall auch mittelgroße Flächen erneuert werden, eine Art psychologischen Stress auslöst. Dass man da erst mal besorgt reagiert oder verunsichert ist, verstehe ich.

Wie wollen Sie die besorgten Münchner überzeugen?
Wir müssen uns anstrengen, um zu überzeugen. Auch gegenüber denen, die in erster Linie Schreckensgespenster an die Wand malen. Die Welt bleibt ja nie so, wie sie ist. Selbst da, wo wir uns das wünschen. Und: Wir brauchen auch Veränderung in der Stadt, um lebensfähig zu sein.

Wo hat sich München 2019 positiv verändert?
Der Stadtrat hat 2019 beispielsweise das Schulbauprogramm über mehrere Milliarden Euro beschlossen. Wir bauen überall neue Schulen – und eröffnen ständig neue. Etwa den großen neuen Campus in Freiham. Ein weiteres Beispiel ist die Zweite S-Bahn-Stammstrecke. Die wird zwar durch den Bau Unruhe bringen, aber langfristig eine große Entlastung für das System.

"Im Sommer sollen viele Parkplätze anders genutzt werden"

Wachstumskritiker sehen eine Lösung darin, in München einfach keine Arbeitsplätze mehr zu schaffen, keine Gewerbegebiete mehr auszuweisen.
Das ist ein verführerischer Gedanke. Denn wir brauchen nicht auf Teufel komm raus neue Gewerbegebiete. Aber was die Wachstumskritiker oft nicht berücksichtigen: Wir haben in den letzten Jahren definitiv weniger Gewerbeflächen ausgewiesen. Und dafür über 140 Hektar Gewerbeflächen umgewandelt in Wohnungsbau. Etwa die Bayernkaserne, das Diamalt- und Kirschgelände, bald auch das Junkersgelände. Das waren alles einst Gewerbeflächen, die zu Wohnraum umgewandelt werden.

Das sind alles versiegelte Flächen.
Mit unseren Planungen entsiegeln wir sogar. Am Ende bleibt ein größerer Anteil freiwerdender Flächen, auf denen Grün- und Freiflächen entstehen. Bei den Gartenstädten zeigen wir aber auch: Wir kümmern uns nicht nur um die größeren Entwicklungen.

Dort ist der Protest der Anwohner aber groß.
Deshalb überlegen wir jetzt, wie wir zum Beispiel Vor- und Rückgärten in diesen Bereichen stärker schützen können. Gerade auch unter den klimatischen Aspekten.

Wie soll das rechtlich gehen?
Über eine spezielle Satzung, die zwar Nachverdichtung erlaubt, die Bebauung von Vor- und Rückgärten jedoch verbietet.

In diesem Jahr haben Sie mit den Sommerstraßen Parkplätze in Aufenthaltsflächen umgewandelt. Die kamen nicht bei allen gut an.
Wir hatten den Eindruck, dass sie beim Großteil der Menschen sehr gut angekommen sind. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Plätze etwas Positives zur Nachbarschaft beitragen.

"Wir hätten die Fraunhoferstraßen-Pläne sofort mit allen diskutieren müssen"

Also 2020 länger und an mehr Plätzen in der Stadt?
Ja, dafür möchte ich mich unbedingt einsetzen. Ich will die Sommerstraße an so vielen Orten wie möglich.

Parklets schaffen an der Schwanthalerhöhe mehr Platz für Pflanzen.
Parklets schaffen an der Schwanthalerhöhe mehr Platz für Pflanzen. © Daniel von Loeper

Die Fraunhoferstraße ist schon fast zu einem Symbol für die Diskussion um den Verkehr in dieser Stadt geworden. Wie bewerten Sie die Entwicklungen?
Sie ist ein Beispiel dafür, dass wir, wenn die Politik einen klaren Entschluss fasst, gute Chancen haben, als Stadt etwas umzusetzen.

Aber sie hat auch reichlich Kritik geerntet.
Und die Kritiker haben recht: Wir hätten es sofort mit allen diskutieren müssen. Dann wäre es zwar nicht ganz so schnell gegangen, aber wir hätten uns im Nachhinein ein paar Wunden gespart. Ich muss aber auch sagen: Von meinem Büro aus kann ich die Fraunhoferstraße gut beobachten. Und auch vor dieser Umgestaltung habe ich ständig Lieferfahrzeuge in zweiter Reihe parken gesehen. Und eine Trambahn, die nicht durchkommt. Dass vorher alles gut funktioniert hat, ist ein Märchen.

Beim Radentscheid fallen jetzt auch nochmal Hunderte Parkplätze weg.
Es gibt viele Oberflächenparkplätze in der Stadt, die einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Wir werden als Alternative aber auch an den richtigen Stellen Tiefgaragen zulassen müssen. Allerdings eher für Sharing-Fahrzeuge und E-Mobilität.

"Ich habe schon seit zwölf Jahren kein eigenes Auto mehr"

Muss die Stadt die noch mehr fördern?
Definitiv. Perspektivisch sollten innerhalb des Mittleren Rings vorwiegend Sharing-Fahrzeuge unterwegs sein. Das muss unser Ziel sein. Aber dafür muss man die Modelle auf die Stadtrandgebiete und die Region ausdehnen. Es reicht nicht, sie nur bis zum Mittleren Ring anzubieten.

Fahren Sie selbst noch Auto?
Ich habe seit über zwölf Jahren kein Auto mehr.

Hat die Stadt 2019 genug für bezahlbaren Wohnraum getan?
Wir haben 2.173 geförderte, preisgedämpfte Wohnungen auf den Weg gebracht. Darin enthalten sind ein großer Anteil für die unteren Einkommensgruppen, aber auch Wohnungen für bestimmte Zielgruppen wie Auszubildende, Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie Werkswohnungen. Natürlich bräuchte ich davon 10.000. Aber trotzdem ist das die höchste Zahl an neuen geförderten Wohnungen, seit 20 Jahren.

"Nicht unsinnig kleckerweise Wohnungen bauen"

Also 2020 dann noch mal mehr?
Da wird die spannendste Frage: In welcher Weise sollen wir den Münchner Nordosten entwickeln? Mit einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM), mit einem kooperativen Stadtentwicklungsmodell, oder entscheidet man sich dafür, dass man es gar nicht bebauen möchte. Da könnte ich auch gut damit leben.

Was wäre für Sie der schlechteste Ausgang?
Ich möchte nicht unsinnig kleckerweise Wohnungen bauen. Dann schaffe ich es nicht, sinnvolle Grünflächen und die nötige Infrastruktur wie einen U-Bahn-Anschluss mitzubauen.

Auf dem ehemaligen Paulander-Gelände entstehen Luxus-Wohnungen. Wie stehen Sie dazu?
Da ist mein Herz gespalten. Städtebaulich und architektonisch sind die Planungen ein guter Wurf. Was ich bei dem Projekt aber bedauere: Wir hatten damals dem Stadtrat vorgetragen, dass ein Block für Genossenschaften freigehalten werden muss. Damals gab es dafür aber noch keine Mehrheit im Stadtrat. Das würde man heute, glaube ich, anders sehen.

"Um wirklich etwas zu verändern, brauchen wir alle Parteien"

Apropos politische Mehrheiten. Was wäre für Sie der ideale Ausgang bei der Kommunalwahl?
Die wohnungspolitischen Beschlüsse in München sind in der Regel seit mehr als einem Jahrzehnt parteiübergreifend im Konsens beschlossen worden. Bei der Mobilität hat das bisher nicht so gut geklappt. Deshalb sind wir da ja auch hintendran. Nicht, weil wir Planer das nicht alles erkannt haben. Sondern, weil es keinen parteiübergreifenden Konsens gab. Um wirklich etwas zu verändern, brauchen wir den aber. Das geht mit jeder Parteikonstellation. Wenn die Menschen vernünftig sind.

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